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Diegos Sicht

Dass Sara sich mir derart geöffnet hat, lässt mich an der Zurechnungsfähigkeit dieses Mädchens zweifeln. Klar, ich finde es gut endlich etwas Licht ins Dunkeln zu bekommen, doch sollte sie nicht vorsichtiger sein, wem sie etwas erzählt? Immerhin kennen wir uns erst drei Tage, aber es fühlt sich an, als ob wir uns schon ewig kennen. Ich verwerfe den Gedanken und rüttele leicht an ihrer Schulter.

Während sie in meinem Arm geschlafen hat, habe ich sie wieder ins Auto gebracht und bin nach Hause gefahren. Zuerst wollte ich sie aufwecken, doch als mir ihre Panikattacke vom Abend zuvor eingefallen ist, habe ich beschlossen, dass es wahrscheinlich eh besser ist, wenn sie nicht mitbekommt, dass sie wieder in einem Auto sitzt.

Als sie mir gestern von ihrem Autounfall erzählt hat, ist mir alles auf einen Schlag klargeworden. Die Panikattacke ist einfach ein Produkt aus verdrängten Gefühlen und einem aufwühlenden Tag gewesen. Trotzdem hat es mich kalt gepackt dieses starke Mädchen so am Boden zu sehen. Es war beängstigend.

"Wach auf, Sara. Wir sind da", sage ich sanft und hoffe inständig, dass sie keinen Schock kriegt wieder in einem Auto zu sitzen, obwohl der Wagen steht. Sie öffnet ihre Augen und blickt um sich. Kurz sieht sie verwirrt aus, fasst sich dann aber wieder, nimmt ihren Rucksack und steigt aus ohne ein Wort zu sagen. Wahrscheinlich ist sie immer noch müde.

Es ist etwa zehn Uhr morgens und Joakim und Jasmine werden wohl noch schlafen. Ich verlasse auch das Auto und folge ihr über den Kiesweg hoch zur Eingangstür. Sie wartet auf mich, damit ich sie aufschließe. Beim Aufschließen versuche ich einen Blickkontakt mit ihr aufzustellen, aber sie ignoriert meinem Blick erfolgreich. Vielleicht ist sie ja doch nicht müde und sie hat sich einfach an die vergangene Nacht erinnert. In der ich sie in meinem Arm gehalten habe. Das ist die erste Nacht, seit dem Tod meiner Eltern gewesen, in der ich ruhig und ohne Alpträume geschlafen habe. Das hat gut getan. Aber vermutlich wird sie es nie mehr zulassen und es war diesmal nur eine Ausnahme, weil sie bekifft war.

Sie tritt als Erste ins Haus und zieht sich die Schuhe aus. Ich tue es ihr gleich und gehe ohne ein Wort zu sagen hoch ins Wohnzimmer und dann über die Zweite Treppe in mein Zimmer. Wenn sie einen auf "es-ist- nichts-passiert" tun will, dann soll sie doch. Es ist ja nicht so als würde es mich kümmern. Allerdings muss ich ständig darüber nachdenken, wie sie mich zurückgehalten hat, als ich gehen wollte. Wie frustriert sie da aussah.

Genervt schüttele ich meinen Kopf. Ich klinge ja wie ein Highschool Mädchen. Ich muss die ganze Situation berechnend angehen. Das wird Sara auch tun und das tue ich auch sonst immer, was auch notwendig ist als Mafiaboss. Auf einmal bemerke ich, dass ich mich seit Sara da ist, in meinem Benehmen geändert habe. Ich bin verweichlicht geworden. Das darf nicht sein. Ab sofort wird das geändert.

Ganz leise höre ich ein zaghaftes Klopfen an der Tür meines Zimmers. Seuftzend stehe ich wieder aus dem Bett auf, in das ich mich gerade gelegt habe und schleppe mich zur Tür. Egal, wer an die Tür geklopft hat, er wird es bereuen.

Als ich genervt die Tür öffne und Sara vor mir sehe, fällt die Wut von mir ab. Will sie jetzt doch reden? Ich mustere sie nachdenklich.

"Ich bin hier wegen deinen Medikamenten. Ich habe dir ja versprochen dir damit zu helfen", meint sie und schaut mir ununterbrochen in die Augen. Sie will wissen, ob ich es ernst gemeint habe, als ich sie darum gebeten habe. Plötzlich schäme ich mich, so schnell über ihr Verhalten geurteilt zu haben. Ich lasse sie herein treten und schließe die Tür hinter ihr.

Sie setzt sich ohne zu fragen auf das kleine Sofa mitten im Raum und beginnt die Pillen, die sie mitgebracht hat, zu ordnen. Ich setze mich neben sie und mich beschleicht ein ungutes Gefühl. War es eine gute Idee ihr mein Leben derart anzuvertrauen? Immerhin könnte sie einfach zwei, drei Pillen vertauschen und das würde schon ausreichen mich ins Krankenhaus zu befördern, oder schlimmer.

On the Run (Wolves Heart)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt