Diegos Sicht
"Von Jasmine hätte ich es erwartet, dass sie mir folgt. Aber du, Sara? Ich hätte dich als schlauer eingeschätzt", sage ich kalt und schenke ihr einen abwertenden Blick. Zu meiner Überraschung senkt sie den Blick, als wäre sie wirklich beschämt. Das macht mich noch rasender. "Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede", knurre ich verlangend. Ich will nicht so herrisch sein, aber ich muss ihr einfach so klar wie möglich machen, dass sie mir nie wieder folgen darf. Wenn die Alpas das mitbekommen würden, wäre sie auf jeden Fall tot.
"Wieso hast du das getan?", frage ich sie, meine Stimme dunkel und rau. Soy un lobo. "Ich wollte wissen, was du treibst. Wie du in die ganze Sache verwickelt bist", antwortet sie und schaut mir dabei in die Augen. Ihr Feuer ist erloschen. "Es geht dich einen feuchten Dreck an", knurre ich.
Das Feuer kommt in ihre Augen zurück. "Willst du mich verarschen?", meint sie ungläubig, nun auch wütend. "Es geht mich mehr als jeden anderen hier was an. Meine Eltern sind ermordet worden und die Spur führt zu dir, also wäre ich an deiner Stelle nicht so selbstsicher", tobt sie und tippt mir außer sich auf der Brust herum. Sie ist mir zu nah. Sie kneift noch kurz die Augen zusammen und wirft mir einen kalten, gehässigen Blick zu. Wenn Blicke töten könnten. Dann macht sie auf dem Absatz kehrt, murmelt etwas, das wie "Arsch" klingt und geht zurück ins Haus.
Dieses Weib treibt es echt auf die Spitze. Jasmine folgt ihr, aber noch lange nicht so selbstsicher wie Sara. Joaquín kommt zu mir herüber und klopft mir auf die Schulter, doch dann geht er auch ins Haus. Jetzt bin ich wieder der Böse, nur weil ich sie alle beschützen will.
Ich stapfe wieder zum Auto und steige ein.
*
Scheiße. Ich sehe einen Dreck. Die Sicht verschwimmt irgendwie und wenn ich mich auf einen Punkt konzentrieren will, wird alles um ihn herum noch unschärfer. Die Nebenwirkungen des Alkohols. Nur ist es verdammt wichtig auf der Autobahn einen klaren Blick zu haben. Zum Glück ist so gut wie nichts los, denn auch das Steuer kann ich nicht wirklich gerade halten. Eine argwöhnische Stimme in meinem Kopf sagt: "Wenn du jetzt wegen Trunkenheit am Steuer stirbst, ist es ganz allein deine Schuld". Diese Stimme hat Recht. Ich bin verantwortungslos.
Nur ist es nicht immer einfach. "Na.. sieh mal einer an.. badet da jemand im Selbstmitleid...? Oh nein...", lalle ich zu mir selbst. "Wenn dich Mamá so sehen würde... ohhh... sie wäre enttäuscht... auf jeden Fall... du enttäuschst alle... selbst dich selber... was ein Trottel".
Das Auto beschleunigt, wie von alleine auf 180 Kilometer pro Stunde. Das Lenkrad schlenkert kurz in meinen Händen, doch im letzten Moment fange ich es wieder ein. Die Augenlider werden plötzlich ganz schwer. "Scheiße... was mache ich nur... Sara", mit ihrem Namen auf den Lippen, schließe ich die Augen langsam... Nur kurz ausruhen...
Quietschende Reifen. Ich reisse meine Augen auf. Ein markerschütterndes Hupen. Dann der Aufprall. Ein Airbag. Meine knackenden Rippen... ganz allein deine Schuld.
*
"Und es ist unklar, wer er ist?"
"Ja, allerdings. Die Autokennzeichen-Abfrage hat nichts ergeben-", den Rest höre ich nur gedämpft.
Mein Kopf pocht, aber der Schmerz ist nicht zu Vergleichen mit dem in meiner Brust. Jeder Atemzug füllt sich an, als wären meine Lungen kurz davor zu zerreissen.Ich öffne meine Augen langsam und sofort blendet mich das grelle Licht, das von den Petroleumlampen ausgestrahlt wird. Ich kneife sie wieder zusammen, bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben.
"Doktor, der Patient ist wach", sagt eine mir unbekannte Frauenstimme. Sie gehört zu einer Krankenschwester, die in der Nähe meines Bettes steht und mich nun freundlich mustert.
"Guten Morgen Mister Unbekannt. Wissen sie denn, wer sie sind? Bei dem Autounfall haben sie eine schwere Gehirnerschütterung, drei Rippenbrücke und einige Prellungen erlitten. Sie sind also gut davon gekommen. Anders, als der andere-", ich verstehe nur sehr wenig davon, was sie mir mitteilt. Rippenbrüche? Autokennzeichen? Der Andere? Der Andere wer? Wo bin ich? Mein Gehirn fühlt sich an, wie in Watte eingehüllt. Oder wie mit Honig verklebt, denken fällt enorm schwer.
"Ich- bin- Diego", antworte ich abgehakt und heiser. "Diego Weiter?". "Lobo. Was ist passiert, wo bin ich? Wo ist Jasmine?", frage ich plötzlich panisch. Seit ich fünfzehn Jahre alt bin sorge ich schon für Jasmine, natürlich ist sie meine erste Priorität in solch einer verwirrenden Situation.
"Sie sind im Krankenhaus, sie hatten einen schweren Autounfall", antwortete wieder eine dunkle Männerstimme, den die Frau vorhin mit Doktor angesprochen hat. Ein Krankenhaus also. Jetzt sehe ich es auch. Das sterile Weiß ist überall zu sehen, der Geruch von Desinfektionsmittel und Krankheit liegt in der Luft. Ich will hier raus. "Von einem schweren Autounfall spricht man erst, wenn es Tote gegeben hat und ich lebe noch", stelle ich fest. "Das zweite Auto, dass in den Unfall verwickelt war, hat sich überschlagen und ist in Flammen aufgegangen. Der Mann in dem Fahrzeug ist noch am Unfallort gestorben", erläuterte der Arzt. Ich nicke. Ein weiteres Leben auf dem Gewissen. Wie unnötig. Wie verschwendet.
"Sie sprachen gerade von einer Jasmine? Ist das ihre Frau? Sollen wir sie verständigen?", fragte die Krankenschwester. Ich schüttele den Kopf. "Ich möchte mich gerne selbst entlassen", fordere ich. "Mr. Lobo, das ist keine gute Idee. Die Rippenbrüche sind noch frisch und müssen erst anheilen, bevor sie sich auch nur wieder normal bewegen können", erklärt der Doktor, auf dessen Namensschild Williams steht. "Ich möchte mich nichtsdestotrotz entlassen", verharre ich stur.
"Schön. Misses Hampton bringen sie die Papiere", seufzt der Arzt und putzt dabei seine Brille. Als die Krankenschwester das Zimmer verlässt, setzt sich Doktor Williams ans Ende meinen Bettes auf einen Stuhl. Da ich jetzt immer mehr erkennen kann und meine Sicht klarer wird, sehe ich, dass er ein sehr nettes, aber auch sehr alter Gesicht hat. Weiße, unordentliche Haare auf dem Kopf, einen leichten, auch weißen, Bart und leuchtende blaue Augen. Seine Haut zerknittert von den vielen Falten. Sorgenfalten, wie auch Lachfalten. Er fixiert mich einen Augenblick mit seinem Blick und fragt dann frei heraus: "Wollten sie sich umbringen?".
Sofort schüttele ich den Kopf. "Nein", sage ich noch bekräftigend. "Mister Lobo, ich hatte hier schon viele Patienten, die wegen Trunkenheit am Steuer gestorben sind. Sie hatten immens Glück. Verdammt Glück, möchte ich meinen. Der Polizeibericht ergab, dass sie mit mindestens 200 Sachen aufeinander geprallt sind. Niemand überlebt so einen Aufstoß normalerweise", spricht er ernst und sieht mich immer noch an. Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Ich schweige. "Uns wurde nur dieses eine Leben geschenkt und es so leichtsinnig aufs Spiel zu setzten ist unverantwortlich, es sei denn sie wollen sterben. Was hat sie dazu bewegt ins Auto zu steigen, obwohl sie offenbar nicht mal mehr geradeaus sehen konnten?", fragt er mit seichtem Interesse.
"Kummer", gebe ich schlicht zurück. "Kummer", wiederholt er. "Kummer", sage ich nochmal bestätigend. Stille. "Nun gut", meint er und erhebt sich. Die Krankenschwester ist wieder zurück mit einem Brett und den Papieren für meine Entlassung. "Ich hoffe für sie, dass sie jetzt nicht ihr ganzes Glück aufgebraucht haben", meint er Arzt noch abschließend und verlässt das Zimmer. Das lässt mich über einiges Nachdenken. Während ich die Papiere ausfülle und unterschreibe, mich unter Schmerzen ankleide und das Krankenhaus verlasse, geht mir ständig dieser einer Satz in meinem Kopf herum.
Ich hoffe für sie, dass sie jetzt nicht ihr ganzes Glück aufgebraucht haben.
Danke fürs Lesen ! :)
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On the Run (Wolves Heart)
Chick-LitDiego. Sara. Er ist gefährlich und wild. Sie ist provokant und rachsüchtig. Er ist ein Mafiaboss. Sie hat gerade erst die Highschool beendet. Zwei Menschen die unterschiedlicher nicht sein können. Auf der Suche nach dem Geheimniss ihrer Eltern und d...