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Überlebt

Eloise POV
Durch ein unangenehmes Piepen werde ich wach und ich realisiere, dass ich noch lebe. Ich öffne langsam meine Augen und wie auf einem mal schlägt mir der Ernst des Lebens entgegen. Die Realität holt mich ein, holt mich aus meinen wenigen Sekunden frieden heraus und konfrontiert mich mit der Wahrheit: Legolas ist tot. Noa ist tot. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und in meinen Augen steigen Tränen auf, bei dem Gedanken an sie. An meine beiden liebsten. An die beiden die mich am besten verstanden haben. Doch eins ist anders. Ich verspüre nicht mehr diese schwere auf meiner Brust. Ich habe nicht mehr das Gefühl, dass ich jeden Moment diese Welt verlasse und sterbe. Ich habe nicht mehr das Verlangen zu sterben. Der Schmerz ist jedoch noch da, so doll wie zuvor.
Das Piepen stört meinen Gedanken Strohm und ich schaue mich zum ersten mal richtig um. Ein großes Fenster, ein weiteres aber leeres Bett, ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen und ein Schrank. Und dann bin da ich, in einem Metallbett, mit weißer Bettwäsche, die nicht nach zuhause riecht. Insgesamt ist es nicht heimelig. Es ist kalt, es riecht nach Putzmittel und das Zimmer ist umeinladend, wie Krankenhauszimmer nun mal sind. Ich bin zurück in Deutschland. Der Gedanke versetzt mir einen Stich ins Herz; ich bin alleine. Ich bin ahnungslos und alleine, weiß nicht wer mich hier hin gebracht hat und warum überhaupt. Warum haben sie mich zurück gebracht? Warum bin ich nicht in Mittelerde geblieben? Leicht panisch kralle ich mich in meine Decke und versuche durch tiefe Atemzüge eine Panikattacke zu vermeiden. Die sich öffnende Tür lenkt mich ab. Für einen kurzen Moment habe ich gedacht es ist Johanna, die durch die Tür kommt; für einen kurzen Moment habe ich gehofft es sei Legolas. Doch als sich meine Augen fokussieren erkenne ich meine Mutter. Ihre kurzen braunen Haare fallen ihr leicht zerzaust über die Schultern, als hätte sie zu wenig Schlaf gekriegt, die Ränder unter ihren Augen sind klar zu sehen und sie strahlen zudem Sorge aus. Mit einem neutralen Gesichtsausdruck schließt sie die Tür mit der einen Hand, in der anderen hält sie einen Pappbecher, der wohl mit Kaffe gefüllt sein wird. Sie dreht sich zu mir um und ich sehe wie ihre Mundwinkel ein leichtes liebevolles Lächeln formen, als sie sieht, dass ich wach bin. „Mama?" sage ich leise und der Ton der mit schwingt ist unsicher und voller Fragen. Sie eilt zu mir, stellt den Becher ab und nimmt meine kalten Hände in ihre warme. In meinen Augen steigen Tränen auf.
    „Eloise, Mäuschen!", sie küsst meine Hände, „wie geht es dir?" Ich weiß auf ihre Frage keine Antwort, denn alles was ich spüre ist der Verlust. Ich kann meiner Mutter nicht sagen was wirklich passiert ist - sie wird denken, dass ich auf den Kopf gefallen bin oder so. Um ihrer Frage auszuweichen stelle ich ihr eine Gegenfrage um zu gucken wie viel sie weiß. Vielleicht weiß sie, dass ich in der Schlacht verwundet wurde. Vielleicht haben ihr die Mädchen alles erzählt?
„Was ist passiert?" Meine Stimme ist zittrig, als ich verwirrt meine Augen zusammenkneife.
„Dein Vater und ich haben uns solche Sorgen gemacht, als wir hörten, dass du im Krankenhaus bist. Ich bin sofort gekommen, aber du warst die ganze Zeit bewusstlos - ich war krank vor Sorge. Was hast du denn angestellt Mädchen?" Meine Mutter ist neben Noa, die Person, mit der ich immer reden konnte, über alles und jeden. Wie gerne ich ihr von den Geschehnissen erzählen würde und wie aufregend meine letzten Wochen waren. Ich würde ihr so gerne von Legolas erzählen, wie gut ich mich bei ihm gefühlt habe und, dass ich das erste mal seit langem das Gefühl hatte, wieder richtig Ich zu sein. Aber ich kann nicht, denn wenn ich es tue konfrontiere ich mich selber wieder mit ihm, und ich weiß nicht ob mir das im Moment so gut tut. Legolas ist weg, ich darf mich nicht wieder selbst verlieren, so wie ich es nach der Trennung von Levy getan habe. Ich muss mich selber retten. Deswegen gucke ich sie nur an und habe keine Antwort für sie. „Ich weiß es nicht, Mama" lüge ich und meide ihren Blick.
„Du hast eine Schnittwunde am Bauch. Soll 'ne ganz schön krasse Story hinter stecken. Aber Valerie und Valentina wollten sie mir nicht erzählen", sie zuckt mit den Schultern und kommentiert das ganze mit einem beeindrucktem Lächeln. Währenddessen höre ich bei den genannten Namen auf. Valerie und Valentina. Die beiden haben mich bestimmt hier her gebracht. Aber wieso?
    „Val und Tini? Sind sie hier?", hake ich nach während sich mein Inneres nach Antworten sehnt. Meine Mutter nickt und zieht wissend die Augenbrauen in die Höhe. „Hier im Krankenhaus? Hier?", ich deute mit meinem Zeigefinger auf den Boden um meine Frage zu verdeutlichen. Mama nickt noch einmal, während sie einen Schluck von ihrem Kaffe nimmt, daraufhin aber den Mund verzieht und ihn mit einem gehissten „heiß!" kommentiert.
„Kannst du... wo - kannst du sie holen?", bitte ich hastig und kriege einen leicht skeptischen Blick von ihr, „ich möchte gerne mit ihnen sprechen... über... über meinen Unfall" So sehr ich meine Mutter auch liebe, aber ich hoffe sie kommt gleich von alleine drauf das Zimmer zu verlassen und mich mit Val und Tini alleine zu lassen, denn ich weiß nicht, was ich ihr als Ausrede sagen soll. Nachdem sie mich noch einmal gemustert hat, vielleicht auch auf eine Antwort von mir gewartet hat, stellt sie den Kaffe zur Seite und steht auf. Leiste schließt sich die Tür hinter ihr und ich atme auf, fahre mir mit flachen Händen durchs Gesicht und könnte wieder anfangen zu weinen wegen mehreren Gründen. Unteranderem wegen meiner Wunde, die brennt und einen pochenden Schmerz von sich gibt. Ich hebe die Decke kurz hoch um zu gucken, ob ich irgendwas erkennen kann, aber das einzige was ich erfasse ist, dass ich ein schlichtes Krankenhaus Hemd anhabe und mein Bauch mit einem weißen Verband verbunden ist. Ich nehme an die Wunde wurde genäht.

    Im Gegensatz zu meiner Mutter reißen die Mädchen die Tür zu meinem Zimmer auf. Die Erleichterung steht ihnen quasi ins Gesicht geschrieben, als sie zu mir herantreten. „Oh Gott, ich dachte du stirbst uns weg!", sagt Tini aufgeregt und schlingt ihre Arme um meinen Nacken und umarmt mich während Valerie sich an meine Füße setzt und mich liebevoll anguckt.
„Warum bin ich hier?", komme ich gleich zur Sache und gucke beide fragend an. Valerie entfährt ein Stöhnen als sie ihre Augenbrauen hebt und auf die weiße Bettdecke guckt.
„Naja Eloise..." fängt sie an und ich habe das Gefühl, dass sie nicht so ganz weiß wie sie mit mir reden soll. „Du warst quasi schon tot", die Tränen steigen ihr in die Augen, „und ich habe mich gefragt, wie das sein kann. Denn deine Wunde hat nicht mehr wirklich dolle geblutet. Klar hast du etwas Blut verloren, aber nicht soviel, dass du davon hättest sterben können und die Klinge, von der du verwundet wurdest war auch nicht vergiftet. Aber trotzdem saßt du da, regungslos, außer Kraft und Willen und wir wussten nicht mehr weiter" erzählt sie und streicht sich unter den Augen entlang. „Valerie...", hauche ich, und fühle mich schrecklich bei ihrem Anblick. „Es war echt krass El, du hast uns Angst gemacht", entgegnet sie und ich muss mir die Hand vor den Mund schlagen um nicht wieder zu weinen.
„Doch dann haben wir es irgendwann realisiert. Du wolltest sterben - also deine Elbengestalt wolle das. Dein Elbenherz wollte ohne Legolas nicht weiter machen." Valeries Erklärung bringt mich schließlich doch zum weinen, weil sie mir so logisch erscheint. „Deswegen sahen wir den einzigen Ausblick in einer Rückkehr nach Deutschland. Das war in dem Moment das einzige richtige und für uns logischste was wir hätten machen können."
    „Und was ist mit Noa?", bringe ich leise hervor, den Mund immer noch hinter meiner Hand versteckt. Ich habe gesehen, wie sie von einem Orkpfeil getroffen wurde. Ich habe gesehen, wie das Leben langsam aus ihr wich, aber eine Bestätigung für ihren Tod habe ich nicht bekommen. Noa und Thranduil waren wie vom Erdboden verschlungen, sie waren auf einmal unauffindbar und keiner wusste wo sie sind. Ich muss also diese Frage stellen, auch wenn die Antwort mir abermals das Herz zerreißt, aber ich muss wissen was mit ihnen passiert ist.
„Das ist alles etwas ein bisschen kompliziert, weil die Situation viele Fragen aufweist. Thranduil hat versucht sie zu retten. Wir haben die beiden tatsächlich zurück im Düsterwald gefunden und keiner von uns weiß, wie sie dort so schnell hingelangt sind. Thranduil konnte es selbst nicht beantworten", meint Tini und streicht sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Dann legt sie einen Arm um mich und streichelt meine Schulter.
„Und?"
„Was und?"
„Lebt Noa noch?", meine Stimme ist nur ein Hauch, als ich die Frage stelle und nicht weiß, was ich erwarten soll. Wenn man nichts großes erwartet, kann man auch nicht enttäuscht werden. Als Valerie dann aber unter Tränen anfängt zu nicken, kann ich nicht anders als meinen Schluchzern freien lauf zulassen und ich spüre wie mir ein Stein vom Herzen fällt.
„Sie lebt noch?", vergewissere ich mich. „Ja, Noa lebt noch!", versichert Valerie mir, während Tini wieder meinen Kopf zu sich ran zieht und wir uns so gut es geht umarmen. Zusammen weinen wir vor Freude und halten uns gegenseitig.
Noa ist nicht tot. Noa lebt noch. Noa ist noch bei uns.

Von Deutschland nach MittelerdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt