Wiedersehen

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Es war das erste Mal, dass er mich wieder sah. Das letzte Mal war am Tag der Beerdigung unseres Sohnes gewesen. Er schaute mich betroffen an. Ärgerlich und traurig trafen es auch ganz gut. Ich wollte nicht diejenige sein, die er so ansah. Ich wollte sein Gesicht berühren, ihm über die vom Wind zerzausten Haare streichen, ihn küssen, aber stattdessen wurde ich so angeschaut. Warum dachte ich das nur? Ich liebte ihn doch nicht mehr, oder doch? Das würde alles nur verkomplizieren. Er beugte sich nach seinem kurzen Schock zu mir hinunter und flüsterte mir unseren damaligen Lieblingsplatz ins Ohr: den Park. Er wollte mich also sprechen, aber etwas abgelegener. Ich nickte, nahm Maxi von meinen Schultern und nahm ihn an der Hand. Als Stefan seinen Sohn betrachtete, konnte ich eine einzelne Träne in seinen wunderschönen Augen ausmachen. Ich nahm Maxi und verschwand von dem öffentlichen Platz. Ich musste ins Hotel. Auf dem Weg dorthin, war Maxi ganz still. "Mama", er klang so erwachsen. "Was ist mein Schatz?", fragte ich ihn hektisch. "Warum hat der König dir was ins Ohr geflüstert und noch wichtiger: was?" Ich war erstaunt. Maximilian hatte nicht einmal etwas falsch ausgesprochen und seine Grammatik war perfekt. Auf einmal. Irgendwas an dieser Begegnung hatte ihn sich verändern lassen. Und das gefiel mir ganz und gar nicht. Sollte ich nicht am Park unter dem Birnbaum erscheinen? Sollte ich meine sieben Sachen packen und wieder zurück nach Australien? Oder sollte ich mich meiner Vergangenheit stellen und Maxi neue Perspektiven für die Zukunft ermöglichen? Sollte er nicht erfahren, wer sein Vater war? Sollte er nicht mit seiner Schwester spielen? Doch, all das sollte er. Er hatte all das Recht dazu. Wir waren eine Familie, ob es mir nun passte, oder nicht. Ob es Stefan passte, oder nicht. Wir mussten einen Weg finden, miteinander auszukommen. Und dieses Treffen wäre der Grundstein dafür. Ich dürfte nicht nach Australien. Australien war vorbei. Danke Susanna. So was nennt sich beste Freundin. Goodbye Australia, hello Denmark. Hello old love. Oh Gott, was ist, wenn ich wirklich noch Gefühle für ihn empfinde? Was wäre wenn... Ich weiß es nicht, wir werden einfach nach diesem Treffen weitersehen. Ich sollte duschen, das hat so eine beruhigende Wirkung auf mich.
Nach dem Duschen war ich wenigstens halbwegs beruhigt, sodass ich dem Treffen nicht mehr mit Furcht entgegensah. Ich freute mich eher darauf und wieder war der Funke Hoffnung da, dass ich Leonia wiedersehen würde. Meine Tochter und mein Sohn vereint. Ich hatte noch ein paar Minuten, bis wir uns in ein Taxi setzen würden und in den Park fuhren. Ich war aufgeregt. Was würde ich sagen? Was würde er zu sagen haben? So viele Fragen, die ich nur beantworten konnte, wenn ich hinginge.
Ich nahm mir ein Taxi und hatte Glück, dass der Taxifahrer sich nicht so sehr für die Monarchie und Klatsch interessierte, sodass ich eine ungestörte Taxifahrt mit meinem Sohn verbringen konnte. "Mama, wo fahren wir hin?", fragte er mich. Ich beschloss, mit offenen Karten zu spielen. Ich seufzte, bevor ich ihm antwortete und damit sein ganzes Leben auf den Kopf stellen würde: "Zu deinem Vater." Ich schloss meine Augen und wartete auf seine Reaktion. Seine Augen würden ganz groß und fingen an zu leuchten. "Denkst du, er wird mich mögen?" Bei dem Gedanken musste ich lachen. "Er wird dich nicht nur mögen, mein Schatz, er wird dich über alles lieben!" Ich streichelte ihm über den Kopf und die restliche Taxifahrt verging schweigend. Maxi schaute genauso wie ich aus dem Fenster. Nachdem ich den Taxifahrer bezahlt hatte, lief Maximilian vor mir her und ich ging ihm hinterher, bis er bei der Bank unter dem riesigen Birnbaum angelangt war. Ich hatte Glück, dass hier keine Menschenseele war, denn die waren alle noch immer mit ihrer tollen Parade beschäftigt. Ich konnte mich immer noch verfluchen, zu dieser Parade gegangen zu sein. Sie hatte Welten geschlossen und neue Welten geöffnet. Welten, die ich eigentlich nie wieder betreten wollte. Maxi saß gespannt neben mir auf der Bank und spielte mit meinen Haaren. "Wo ist Daddy?", fragte er mich nach einer knappen Viertelstunde. "Daddy hat vielleicht noch zu tun", antwortete ich ihm. "Ich will nicht mehr auf ihn warten. Daddy soll kommen; jetzt!", forderte er und ich senkte meinen Kopf. Es war vielleicht keine gute Idee gewesen, ihn aus Dänemark fortzunehmen. Das war das erste Mal in drei Jahren, dass ich mir Gedanken über diese Entscheidung machte, die ich jahrelang als gut angesehen hatte. Und nun zweifelte ich an ihr. Aber ich konnte die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Ein Mann näherte sich uns. Es war Stefan. Fragend drehte sich unser Sohn zu mir um: "Ist das Daddy?" Ich nickte und sah seine Augen erneut blinken. Er sprang von der Bank und rannte auf seinen Vater zu. "Daddy", er lächelte ihn an und 'Daddy' schloss ihn in seine Arme. Mein Herz ging auf. Die Zeit verstrich, ohne dass die beiden sich lösten. Selbst als sie auf mich zukamen, hielten sie sich immer noch an den Händen. "Hi", ich erhob mich von meiner Bank und senkte verlegen den Blick. "Danke", begrüßte er mich und lächelte mich an. Das war es, was ich mir vorhin von ihm gewünscht hatte und mein Herz ging auf. Schon wieder. Und ich wünschte mir, es würde wieder so sein, wie früher. Aber so würde es nie wieder werden.

Plötzlich Royal 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt