30. Kapitel

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Ein leises Keuchen entwich meinen Lippen und ich wischte eine einzelne Haarsträhnen hinter mein Ohr, welche mir ins Gesicht gefallen waren. Ein dünner Schweißfilm hatte sich über meine Stirn gelegt und auch meine Hände, die noch immer die Sitzfläche des Plastikstuhles umklammerten, fühlten sich rutschig an. Zitternd rang ich nach Luft, die Augen auf den schwarzen Brandfleck mir gegenüber gerichtet, der einen Großteil der Wand bedeckte.

"Reinkommen!", die Stimme des Schulleiters ließ mich zusammenzucken wie ein verschrecktes Tier. Sie duldete keinen Widerspruch und da der Typ neben mir sich nicht sonderlich angesprochen fühlte, stand ich langsam auf und ging mit wackeligen Beinen auf die Tür zu. Bevor ich jedoch über die Schwelle trat, blieb ich stehen und drehte mich noch einmal um. Nur, um zu sehen, wie der Junge, dessen Namen ich nicht kannte, mit dem Zeigefinger über die schwarz verfärbte Tapete fuhr, als wolle er ein Muster in Asche und Ruß malen.

"Beeil dich!", riss mich die Stimme des Schulleiters von seinem Anblick los, "Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!"

Ich?

Kein wir?

Ich runzelte die Stirn und trat eilig ein, um, wie von seinen Worten her erwartet, nur den kleinen Jungen auf seinem Drehstuhl vorzufinden. Das Mädchen war nirgends zu entdecken.

"Sie ist heute außerhalb tätig", erklärte der Schulleiter knapp und faltete die kleinen Stummelfingerchen vor seinem Bauch zusammen. Ich biss mir auf die Unterlippe.

Ach ja, der konnte schließlich Gedanken lesen!

"Vergisst man leicht, hm?", ein dünnes Lächeln spannte sich über seine Lippen. Ich schwieg.

So unauffällig wie möglich wischte ich die verschwitzten, bebenden Hände an meiner Hose ab und versuchte mir gleichzeitig selber zu erklären, was gerade eben in mir vorgefallen war.

All das Chaos, das vor wenigen Sekunden noch in mir getobt hatte, war nach meinem Aufschrei und der daraufhin folgenden Explosion von einem auf den anderen Augenblick verschwunden. Hatte mich nur zitternd und wahrscheinlich kreidebleich im Gesicht zurück gelassen.

Was war bloß mit mir los gewesen? Was hatte dieses Chaos in mir verursacht? Und wie hatte ich diesen Brandfleck auf der Tapete erzeugen können?

Okay. Letzteres erahnte ich bereits. Nämlich auf die selbe Art und Weise, wie ich auch Kate angegriffen und verletzt hatte. Mein Magen zog sich bei diesem Gedanken unwillkürlich zusammen.

"Da hast du vollkommen Recht, Carol", der Schulleiter saß, gleich wie am Vortag, hinter seinem Schreibtisch und betrachtete mich mit seinen perlweißen Augen. "Würdest du so freundlich sein und die Tür hinter dir schließen? Ich glaube, deine Begleitung braucht noch ein bisschen, ehe sie zu uns dazu stoßen wird."

"Meine Begleitung?", überrascht sah ich ihn an, "Sie meinen den Jungen dort draußen, den Sie geschickt haben, damit er mich zu Ihnen bringt?"

"Erraten."

"Und wieso sollte er dazu stoßen?", fragte ich verwundert.

"Mach einfach die Tür zu", antwortete der Schulleiter und entfaltete seine Hände wieder. Die kurzen Finger legte er auf die Armlehnen seines Stuhles und begannen sie dort auf und ab zu bewegen, wie als spiele er Klavier. "Na, wird's bald?", eine Spur von Ungeduld mischte sich in seine Stimme und ich drehte mich schnell um und zog eilig die schwere Eichenholztür hinter mir zu.

"Siehst du? Ist doch gar nicht so schwer", seine Finger wurden immer schneller und machten mich durch ihre flinken Bewegungen nervös. 

Schweigend kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Dann räusperte ich mich: "Das mit der Wand im Flur tut mir schrecklich leid. Ich wollte das nicht."

Fury - Dunkles HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt