Die Augen der Gestalt, welche unter der Kapuze hervor glommen wie brennende Kohlenstücke, erinnerten mich an etwas.
Sie erinnerten mich an Jadesteinchen. An mandelförmig geschliffene Jadesteinchen.
Und noch an etwas anderes, aber ich wusste nicht genau, was es war.
Die Gestalt musterte mich, dann zog sie sich langsam die Kapuze vom Kopf.
Die Frau, die darunter zum Vorschein kam, war vielleicht um die fünf Jahre älter als ich, hatte dunkelblondes Haar und ein filigran geschnittenes Gesicht.
Sie war wunderschön, sah aus wie ein Model. Ihre Wangenknochen waren hoch und ein unnatürlicher Glanz lag auf ihnen, genauso wie auf ihren Lidern und ihren vollen Lippen.
"Ich bin Amor", das Lächeln der Fremden erschien mir zerbrechlich wie Porzellan. Es war anziehend und bezaubernd.
"Amor?", stammelte ich etwas benommen, "Ist das nicht der Gott der Liebe?"
"Wie man es nimmt!", das Lachen der Frauen erinnerte mich an das Klingeln von Silberglöckchen, hell und klar, " Er konnte auch ziemlich bösartig sein. Denke nur an Apollon und Daphne."
Apollon und Daphne.
Aaah, ja. Ich muss gestehen, ich hatte im Geschichtsunterricht nie sonderlich gut aufgepasst.
War Apollon nicht dieser griechische Gott mit Pfeil und Bogen gewesen?
Ich war mir nicht ganz sicher.
Aber gut. Ihr Name war Amor.
Der Name eines Gottes.
"Und wieso heißt du so?", fragte ich und hätte mich im nächsten Moment am liebsten geohrfeigt.
So etwas fragte man nicht!
Amors Lächeln wurde schwächer, als würde sie diese Frage des Öfteren hören.
"Weil er meinen Charakter beschreibt", sagte sie, "Ich bin wie Amor, warm und kalt zugleich. Ich kann schmerzlich süß wie die Liebe und genauso scharfkantig wie der Hass sein."
Okay, das war eine interessante Charakterbeschreibung.
"Und wieso heißt du dann nicht Aphrodite oder Venus?"
Die hatten meines Wissens auch irgendetwas mit Liebe und dem ganzen Zeug zu tun.
Und es waren die Namen zweier Frauen, nicht der eines Mannes.
"Gute Frage", Amor strich sich eine Strähne ihres langen und glänzenden Haares über ihre Schulter und schien wirklich nachzudenken.
"Ich weiß es nicht", sagte sie dann schließlich, "Ich mag den Namen Amor. Er hat für mich seine ganz eigene Bedeutung."
Am liebsten hätte ich gefragt, welche Bedeutung der Name genau für sie hatte, aber ich wollte keine weiteren Frage über diesen Namen stellen.
Es ging mich schließlich auch nicht an, wie und weshalb Eltern ihrem Kind einen Namen gaben, egal wie schräg er war.
Stattdessen wurde mir bewusst, was die Frau vorhin als Erstes zu mir gesagt hatte und dass sie genau an dem Ort stand, an dem ich meinen Vater verloren hatte.
Ich wich einen Schritt zurück, als die Fremde die Finger ausstreckte und über den verbrannten Grabenrand strich, mit ihren Händen dann zwei große Steine, welche fest in der Erde steckten, packte und sich an ihnen hinauf auf die Wieso zog.
Sie bewegte sich elegant und schnell wie eine Raubkatze.
Ich stolperte zurück, diesmal nicht nur einen, sondern viele Schritte. Amor wischte sich unbekümmert ihre Hände an ihrem Samtumhang ab und sah mich dann an.

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Fury - Dunkles Herz
Fantasia"Du weißt nicht, zu was du Fähig bist, Carol Fury. Niemand weiß das. Und genau deswegen bist du eine Gefahr." ~~~ Nach dem Tod ihres Vaters beginnt Carol Fury ein neues Leben im Haus der Hekate, ein Internat für Domitoren, die Erben der Magie. Dort...