02 - Überraschung

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„Cion. Beim nächsten Mal gibt es einen Eintrag ins Klassenbuch. Egal, ob du in der Schülervertretung bist oder nicht", ermahnt euer Lehrer ihn unleidlich. „Setz dich hin." Geduldig nickt der Junge dem kleineren Mann zu, dann setzt er sich in Bewegung. Köpfe verdrehen sich nach ihm, Hälse werden gereckt. Niemand will verpassen, wohin der Dunkelhaarige sich setzen wird. Mit Ausnahme von dir.
Verkrampft fixierst du deine Fingernägel und lauschst dem leisen Klang seiner Schritte. Tap. Tap. Täuschst du dich, oder kommen sie in deine Richtung? Ein Paar Schuhe tritt in dein Blickfeld. Sie verharren kurz, dann wird der Stuhl neben dir zurückgeschoben. Erschrocken siehst du auf.

In einer fließenden Bewegung gleitet Cion auf den Platz und hat nur einen müden Blick für dich übrig. Zu deiner Verwirrung ist nichts von seiner feindseligen Art zu erkennen, im Gegenteil: Seine hellgrauen Augen schweifen gleichgültig über deine Gestalt, ehe sie sich dem Unterricht zuwenden. Langsam drehen auch die anderen Schüler sich nach vorne, bis ihr endlich ungestört seid.

Nach einer Weile linst du erneut in Cions Richtung. Selbst im Sitzen überragt er dich um einen halben Fuß, und du musst deinen Kopf nach hinten neigen, um ihn genauer betrachten zu können. Der Junge ist verdächtig ruhig gewesen, und nun erkennst du auch, wieso.
Lässig nach hinten gelehnt, eine Hand in der Hosentasche, hat er seine Augen wie für ein Nickerchen geschlossen und erinnert dich an eine römische Statue. Er wirkt tief entspannt, dabei hättest du schwören können, dass...

Stirnrunzelnd drehst du dich wieder nach vorne. Vielleicht hast du dir das doch nur eingebildet...

•-•-•

„Hey. Möchtest du dich zu mir und meinen Freunden setzen?", fragt Nick dich, sobald die Klingel zur Mittagspause ertönt. Die Stunden bis dahin vergingen in peinlich berührtem Schweigen, in der Cion sich letztendlich als wortkarger Banknachbar herausstellte. Auch jetzt steht der Dunkelhaarige kommentarlos auf und verlässt als Erster das Klassenzimmer.

Da sich aufzudrängen nicht deine Art ist, wolltest du unauffällig hinter deinen lachenden und schwatzenden Mitschülern hinterherdackeln. Umso erleichterter nimmst du Nicks Angebot an und folgst dem schlaksigen Jungen nach draußen. „Und, gefällt es dir hier?", fragt dieser unterdessen, „Wann bist du überhaupt angekommen?"
„Heute Morgen. Von der Schule habe ich noch nicht viel gesehen", erzählst du wahrheitsgemäß. „Ich konnte noch nicht einmal mein Zimmer beziehen." „Ah, du gehörst zu den Schülern, die in den Wohnheimen leben." Er wirft dir einen schiefen Seitenblick zu. „Dafür wirkst du aber ganz normal."

„Normal?" Der Duft von lieblos zusammengestellten Speisen steigt dir in die Nase, sobald ihr die weitläufige Kantine betretet. Wenig begeistert stellst du dich mit Nick an die Essensausgabe. Nudeln, Frikadellen, Kartoffeln und gekochtes Gemüse. Kantinenessen eben. „Wie meinst du das?", hakst du nach. Dein Begleiter zuckt mit den Schultern. „Nicht arrogant." Verwirrt bestellst du eine Portion Makkaroni mit Tomatensauce beim ausdruckslosen Kantinenpersonal. „Wohnst du nicht auf dem Schulgelände?" Neugierig bleibst du stehen, um auf Nick zu warten. Dieser lässt sich, zum Missfallen aller anderen um euch herum, besonders viel Zeit bei der Auswahl seines Essens. Er schüttelt den Kopf. „Meine Familie wohnt hier ganz in der Nähe. So wie die meisten Schüler aus den Wohnheimen", fügt er vielsagend hinzu und deutet endlich auf die Frikadellen. „Ihre Eltern glauben, dass sie sich auf diese Weise besser auf's Lernen konzentrieren können."

Gemeinsam marschiert ihr auf eines der unzähligen Tische zu, wo ein Mädchen und ein Junge mit auffällig ähnlichen Gesichtszügen dasitzen und euch neugierig anstarren. „Hey, das ist (Y/N). Sie ist neu in meiner Klasse", stellt Nick dich vor, bevor er dich neben ihm auf die Bank zieht. Mit einer ausschweifenden Geste in Richtung der beiden Fremden redet er weiter.
„(Y/N), das ist Jeffrey." Der Junge mit den wild abstehenden, rotblond gelockten Haaren zieht eine Grimasse. „Nenn' mich Jeff. Bitte", fügt er mit Nachdruck hinzu und zwinkert. Er kommt dir auf Anhieb sympathisch vor. In seinen grünbraunen Augen steckt unverhohlene Neugier. Unzählige Sommersprossen sprenkeln seine Nase und verleihen ihm einen frechen, verschmitzten Ausdruck. „Und das ist seine Zwillingsschwester Erin." Die gleichfarbige Lockenpracht nach hinten werfend, inspiziert das zierliche Mädchen dich mit einem deutlich forscheren Blick als ihr Bruder.

„Hi. Was führt dich denn hierher?", fragt sie im herausfordernden Tonfall. Wenn sie damit beabsichtigt, dich einzuschüchtern, gelingt es ihr sehr gut. Verlegen spielst du mit der Gabel in deiner Hand und murmelst; „Stiefvater."
„Oh", macht das Mädchen. Auf ihrem Gesicht entsteht ein faszinierender Übergang von ‚misstrauisch' zu ‚betroffen', bevor sie umständlich etwas aus ihrer Tasche kramt und dir hinhält. Ein Karamellbonbon. Ihre geschwungenen Lippen verziehen sich zu einem versöhnlichen Grinsen. „Hier, für dich!"

Irgendwie fühlst du dich auf den Arm genommen, nimmst die Süßigkeit aber trotzdem an. „Danke." „Keine Sorge, man gewöhnt sich daran", tröstet Nick dich. Er kaut bereits munter auf einer Portion Frikadellen mit Senf herum und schiebt sich schon die nächste volle Gabel in den Mund, bevor er umständlich hinzufügt: „Erin ist oft komisch."  „Ha, ha", erwidert die Erwähnte augenrollend. "Das sagt der Kerl mit der Superman-Unterwäsche!"  Bei diesen Worten verschluckst du dich fast an deinen Makkaroni. Hustend greifst du nach einer Serviette, während Nick mit hochroten Wangen eine Erbse über den Tisch in Erins Richtung schnippst. „Wo hast du den Scheiß denn her?!" Sein Blick schießt zu Jeff, welcher entschieden mit dem Kopf schüttelt. „Zieh' mich da nicht mit hinein", warnt er seinen Freund. Kichernd hörst du zu, wie die drei Jugendlichen sich in ein lautstarkes Wortgefecht über die Grenzen von Privatsphäre hineinsteigern, als plötzlich eine fremde Stimme hinter dir erklingt. 

„Oh, wow. Du kommst mir verdächtig bekannt vor." Ahnungslos drehst du dich um und blickst ein Paar wunderschöner Augen.

Augen wie gelbe Topaze, Augen wie die Sonne.

|=| Tja. Wer mag das nun schon wieder sein? /TvT/
Ja, aller Anfang ist schwer, und bestimmt sind alle entsetzt, dass noch niemand entführt oder umgebracht wurde. 🤧 Aber wer weiß, was noch alles passieren wird... 😏

Lasst doch etwas Kritik zu diesem Kapitel oder meinem Schreibstil an, damit ich mich verbessern kann! \;^;/

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