„Aber das muss ein Irrtum sein. Nat ist der beliebteste Junge, den ich kenne, den Leuten würde es garantiert auffallen, wenn er sich verdächtig benehmen würde." Wie ein Mantra betest du diese Phrase herunter, seit Erin und du euch nach dem Unterricht in eines der kleinen Cafés in der Nähe der Schule gesetzt habt, um noch einmal in aller Ruhe darüber zu reden. „Und übrigens nenne ich ihn ‚Nat', weil jeder bei uns ihn so genannt hat. Einen anderen Grund gab es gar nicht", fügst du säuerlich hinzu, während die Rotblonde verlegen grinst. „Okay, nehmen wir an, ich würde überreagieren. Wie erklärst du dir die Ähnlichkeit zwischen dir und Emily? Und dass Nat ausgerechnet dir so hinterherläuft?", fragt sie.
Darauf weißt du keine Antwort. Lustlos stocherst du in deinem Kuchen herum und versinkst in der Geräuschkulisse des gut besuchten Cafés, zu abgelenkt, um auf dein Handy neben deinem Teller zu achten. Erin ist es, die dir das blinkende Display zuschiebt. „Hey, willst du nicht nachsehen?" Du wirfst einen teilnahmslosen Blick auf die SMS.
'Hi.'
Irritiert starrst du auf das Wort hinab. Die Geräusche treten in den Hintergrund, als schließe sich eine Tür in deinen Gedanken. Woher kommt dieses Gefühl des Déjà-Vue? So sehr du den Verlauf deiner Nachrichten durchforstest, das hier ist die erste SMS, die du seit Langem erhalten hast. Kurz darauf folgt eine zweite Nachricht.
‚Wie geht es dir?'
Deine Kehle schnürt sich zusammen. Das hast du schon mal erlebt. Genau das. Aber wo? Und wann?
„(Y/N)? Alles in Ordnung?", fragt Erins weit entfernte Stimme. Hastig legst du dein Handy zur Seite und setzt ein starres Grinsen auf. „Sorry, das war nur- Ist nicht so wichtig." „Also ich will Nathan ja nicht als-", das Mädchen senkt ihre Stimme, „Mörder darstellen. Aber wenn das stimmt, was man über Emily sagt, hat er garantiert etwas gewusst. Er muss etwas gewusst haben!" „Vielleicht hat sie ihm aber auch nichts erzählt", hältst du dagegen. „Wer weiß das schon?"
Wieder summt dein Handy. Diesmal öffnest du die Nachricht sofort.‚Wie schmeckt der Kuchen?'
Erschrocken siehst du dich im Café um, kannst aber kein vertrautes Gesicht erkennen. „Was ist los?", möchte Erin wissen. „Äh..."
'Suchst du jemanden?'
Das war's, du musst hier weg. Ruckartig stehst du auf, murmelst irgendeine halbherzige Entschuldigung und eilst nach draußen. Deine Gedanken rasen.
'Wer bist du?', schreibst du zurück. Der Schreck fährt dir in alle Glieder. Hast du diese Worte nicht vor Kurzem erst eingegeben? Aber dein SMS-Verlauf ist leer, so leer wie deine Erinnerung. Was geschieht hier?‚Achte auf die Straße, Prinzessin.'
Gerade noch rechtzeitig stoppst du vor der Straße und weichst hastig wieder zurück, als das Auto mit quietschenden Reifen abbremst. Durch das geschlossene Seitenfenster kannst du sehen, wie der Mann dir wüst etwas zubrüllt, bevor er kopfschüttelnd weiterfährt. Keuchend wirbelst du herum und hältst nach einer verdächtigen Person Ausschau - Vergeblich.
‚Glück gehabt. Pass auf dich auf.'
Panisch rennst du durch die belebten Straßen zurück zum Schulgelände. Dabei spähst du immer wieder nervös über deine Schulter, aber du kannst niemanden entdecken. Irgendjemand beobachtet dich, irgendjemand hat deine Handynummer und-
„(Y/N)? Was machst du denn hier?", reißt eine muntere Stimme dich aus deinen Gedanken.Im gemächlichen Tempo schlendern Nick und Jeff auf dich zu, in ihren Händen aufgeklappte Kartons, aus denen schmutzige Tücher und leere Putzmittelflaschen herausragen. „Bist du nicht mit Erin Kuchen essen?", fragt Jeff. Mit angestrengt verzogener Miene stellt er seinen Karton vor dir ab. „Ich dachte, sie wollte dich nach dem Unterricht einladen." Statt zu antworten, fragst du verdutzt: „Was habt ihr zwei denn gemacht?"
„Jemand hat gestern Nacht den Geräteraum der Sporthalle mit Farbe vollgeschmiert", erklärt Nick augenrollend. Zur Bestätigung hebt er den Karton in seinen Händen. „Jeff und ich sind im Basketballteam, und wir wurden alle dazu verdonnert, beim Aufräumen zu helfen." „Ich kann nicht fassen, dass wir den ganzen Tag dafür gebraucht haben!", schimpft Jeff bitterböse, „Wenn ich die Clowns erwische, die dafür verantwortlich sind, können sie was erleben!"
Jetzt weißt du, warum Nick heute nicht im Unterricht war. Du stammelst irgendeine Mitleidsbekundungen und willst dich auf dein Zimmer verdrücken, als der Junge mit den wuschelige kastanienbraunen Haaren dich zurückhält. „Wohin so eilig?", lacht er. „Wir wollten euch gleich für die Party abholen."
„Party?", echost du wenig begeistert und steckst dein Handy widerwillig wieder in deine Tasche. „Welche Party?" „Die ‚Back-to-School-Party hinten am Freibad!" Schwer atmend kommt Erin neben dir zum Stehen und stützt sich mit beiden Händen auf ihren Knien ab. „Mann, (Y/N), kannst du mir mal erklären, wieso du so plötzlich rausgerannt bist wie eine Bekloppte?!" „Es gibt traditionell jedes Jahr am zweiten Schultag eine 'Back-to-School'-Party hinten am Freibad", erklärt Jeff mit einem verwirrten Blick auf seine keuchende Schwester. Die drei mustern dich skeptisch. „Ist alles okay mit dir? Du siehst durcheinander aus", bemerkt Nick nun. Mit besorgter Miene tritt er näher an dich heran, aber du schüttelst hastig den Kopf. „Mit mir ist alles in Ordnung, wirklich", sagst du. Kein Mensch würde dir deine Geschichte glauben, du selbst kannst es ja auch noch nicht richtig fassen. „Dann kann's ja losgehen!" Lachend greift Nick nach deinem Handgelenk und zieht dich mit sich. „Komm, wir müssen nur noch schnell die Sachen wegbringen."
Unschlüssig trottest du hinterher.
•-•-•
Du merkst nicht, wie eine lautlose Gestalt aus dem Schatten des Gebäudes neben dir hervortritt und dir nachsieht. Er hat jedes einzelne Wort mitgehört. Gewissenhaft prägt er sich jedes einzelne Detail deines Körpers ein. Nichts entgeht seinem Blick, auch nicht deine nach hinten geneigte, ablehnende Haltung. Langsam wandern seine Pupillen über deine Gestalt bis hin zu Nick, welcher immer noch dein Handgelenk umklammert hält.
Heiße Wut kocht in ihm hoch. Er hatte dich so weit, dass du nur an ihn gedacht hast. Er hatte deine volle Aufmerksamkeit, bis diese drei albernen Musketiere sich wieder einmischen mussten. Zornig ballt er seine Hände zu Fäusten und spürt, wie seine Fingernägel blutende Wunden in sein Fleisch reißen. Der Schmerz schürt seine hasserfüllten Gedanken. Du gehst auf eine Party. Der Junge lädt dich auf eine Party ein. Für einen kurzen Moment der Panik fragt er sich, ob er ein Auge auf dich geworfen hat. Will er mehr von dir als Freundschaft? Willst du etwas von ihm? Ein leiser Windstoß fährt durch seine Haare und holt ihn zur Besinnung. Da ist sie schon wieder, seine Ungeduld.
Mühsam öffnet er seine verkrampften Fäuste und atmet tief durch. In der Luft, so bildet er sich ein, liegt dein Duft. Der Geruch deines Shampoos, deiner Gesichtscreme, des farblosen Lippenstifts, den du nur benutzt, um sie zu pflegen. Du machst dir nichts aus Äußerlichkeiten, du brauchst dich nicht zu schminken, um gut auszusehen. Du bist auch nicht der Typ für stinkende Partys. Vermutlich hättest du die Einladung abgelehnt, wenn du nur nicht zu höflich dafür wärst. Der Gedanke daran tröstet ihn. Mit einem tiefen Seufzer tritt er wieder zurück in die Schatten.
Nicht jetzt. Noch nicht.
Zuerst muss er dein Vertrauen gewinnen. Missverständnisse aus der Welt schaffen, die Geschichte richtig stellen. Er muss geduldig mit dir sein. Vielleicht war euer gemeinsamer Start nicht der Beste, aber noch gab es kein Problem, das er nicht zu lösen vermochte.
Mit finsterer Genugtuung wägt er ab, welches der Probleme er als Erstes angehen soll. Im Moment sind es drei.
Und sie heißen Nick, Jeff und Erin.
|=| Das hört sich nicht gut an. 😏 Wie gefällt euch die Geschichte? Schreibt eure Meinungen in die Kommentare und lasst mich wissen, was ihr denkt! Und danach sehen wir uns im nächsten Kapitel, hoffe ich jedenfalls! 🤧
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Obsession
Mystery / ThrillerDie Nächte sind am Schlimmsten. Die bedrohliche Leere gewinnt an Überhand, sobald er das Licht ausschaltet. Sie schleicht sich in seinen Verstand, verhöhnt ihn, lacht ihn aus. Erinnert ihn daran, dass ein weiterer erfolgloser Tag vergangen ist. Dass...