15 - Nichts Nettes

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Die nächsten Stunden bekommst du kaum noch mit. Jeff liegt im Krankenhaus. Er wurde von einem Auto angefahren - Bei Rot über die Kreuzung gefahren, lautet die Aussage einiger Augenzeugen, Ein trauriger Unfall. Aber du glaubst ihnen kein Wort. Dafür war die Botschaft zu eindeutig.
Mit bedrückter Miene stehst du draußen vor dem Hauptgebäude und siehst zu, wie die weinende Erin in einem Taxi davonfährt, um bei ihrem Bruder zu sein. Danach senkst du langsam deinen Blick auf dein Handy. Immer wieder ziehen die Buchstaben in einer Endlosschleife vor deinen inneren Augen vorbei. ‚ICH HABE DICH GEWARNT.' Unmöglich. Niemand kann einen derartigen Unfall herbeiführen. Oder?

Eine neue Nachricht schreckt dich auf. Zögernd überfliegst du das dreisilbige Wort.

‚Überzeugt?'

‚Lass mich in Ruhe!', antwortest du mit zitternden Fingern und siehst hastig wieder auf. In einiger Entfernung steht der von Cion herbestellte Krankenwagen. Zwei Sanitäter bugsieren soeben einen genervt wirkenden Nick von der Trage in seinen beengten Innenraum. Als eure Blicke sich begegnen, hebt er zum Abschied seine Hand. Mechanisch erwiderst du sein Winken, lässt deinen Arm dann aber rasch wieder fallen. Was, wenn dich jemand in diesem Augenblick beobachtet?

Wieder summt dein Handy. ‚Halt dich fern von ihm.' Ein Schauer läuft deinen Rücken hinab. Verstört siehst du umher, doch bei den vielen gaffenden Schülern ist eine verdächtige Person schwer aufzuspüren. Ihre unverhohlenen Blicke bohren sich unangenehm in deinen Nacken. Und darunter befindet sich nun auch die fremde Person und amüsiert sich über deine schutzlose Gestalt. Wütend hämmerst du gegen die Tasten. ‚Wer bist du?!', fragst du, doch erhältst zur Antwort nur leeres Schweigen.
Frustriert lässt du die Luft zwischen deinen Zähnen entweichen. Wieso droht man dir? Mit lautlos blitzenden Lichtern entfernt sich der Krankenwagen, zusammen mit Nick, der einzigen Person, der du jetzt noch vertraut hättest. Verloren starrst du ihm hinterher. Eine unerklärliche Angst überkommt dich dabei. Was, wenn noch mehr Leute verletzt werden?

„Hey." Wahrscheinlich steht Nat schon länger neben ihr, dennoch jagt seine sanfte Stimme dir einen gewaltigen Schrecken ein. Sichtlich besorgt beobachtet der Junge mit den hellbraunen Haaren deine Reaktion. „Was ist passiert? Du stehst hier schon seit einer ganzen Weile und rührst dich nicht vom Fleck." Einen aberwitzigen Moment lang wägst du ab, ob nicht er der mysteriöse Nachrichtenschreiber ist. Langsam huscht dein Blick über sein offenherziges Gesicht, wo er an seinen fürsorglich funkelnden Pupillen hängen bleibt. Wenn du nur Gewissheit hättest...

„Was war zwischen dir und Emily?", platzt es aus dir heraus. Du kannst sehen, wie der weiche Glanz aus seinen Augen weicht. Schockiert sieht er dich an, als könne er seinen Ohren nicht trauen. „Was hast du gesagt?" Das Herz schlägt dir bis zum Hals, während du wiederholst: „Was war mit dir und Emily, bevor-"
„Wie- Woher weißt du- Warum?!" So aufgelöst hast du Nat noch nie erlebt. Erschrocken weichst du zurück, als er das letzte Wort förmlich hinausschreit. „Was soll das? Woher kommt auf einmal Emily?!", ruft er. Du schluckst. „Erin hat mir von ihr erzählt", erklärst du unsicher, „Sie hat darüber geredet, dass ihr Freunde wart, bevor sie..." Der Ausdruck in seinem Gesicht bringt dich zum Schweigen. Blanker Zorn hat sein engelhaftes Antlitz in eine mordlustige Fratze verzerrt. Das Bild hält nur für einen kurzen Augenblick, so flüchtig, als hätte er nie existiert.

Entgeistert machst du einen weiteren Schritt rückwärts und bemerkst mit wachsender Besorgnis, wie seine Miene sich immer weiter verdüstert. „Hat sie das also?", stellt er gefährlich ruhig fest. Ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen, doch die Wärme in seinen topazfarbenen Iris ist verflogen. „Und was hat Erin noch so gesagt?", will er wissen und schließt die Lücke zwischen euch. Ein stählerner Ausdruck tritt in sein Gesicht. „Ich wette, es war nichts Nettes." Dein Herz beginnt zu rasen. Hektisch atmend siehst du dich nach Hilfe um, aber die anderen stehen zu weit weg, um etwas zu bemerken. Deinem Gegenüber entgeht das nicht. „Tja, was willst du machen? Erin ist fort, Jeff auch, und Nick ebenfalls", kommentiert er mit tonloser Stimme. „Niemand da, hinter dem du dich jetzt noch vor mir verstecken kannst." Mit einer raschen Bewegung greift er nach deinem Arm, als-

„Was geht hier vor sich?" Cions Stimme hat nahezu eisige Temperaturen erreicht, während seine dunkle Gestalt sich vor dein Blickfeld schiebt. Sein hoch aufragender Körper zwingt Nat dazu, stehenzubleiben. Unwirsch schnalzt dieser mit seiner Zunge. Seine charmante Ausstrahlung ist wie weggewischt. „Aus dem Weg, du Nerd", verlangt er, doch Cion rührt sich nicht vom Fleck. Seine strengen grauen Augen bohren sich Nats. „Bedaure, euch unterbrechen zu müssen", sagt er und wirkt beinahe gelangweilt, „Aber ich muss mit ihr reden." „Das muss ich auch." Mit jeder Sekunde sieht Nat wütender aus. „Geh zurück zu deinen staubigen Aktenordnern, du-"

„Nathan", unterbricht Lauren unerwartet das Gespräch. Mit einem süffisanten Grinsen kommt sie auf eure kleine Gruppe zugeschlendert und hakt sich bei dem nun schweigenden Jungen ein. Den verärgerten Blick, den dieser ihr dafür zuwirft, scheint sie gar nicht zu bemerken. Ihre Pupillen fixieren Cion, als wolle sie ihm etwas mitteilen, ehe sie sich mit einem lässigen Haareschnipsen an Nat wendet. „Was machst du hier eigentlich? Beeilen wir uns, sonst fangen die anderen ohne uns mit den Hausaufgaben an", flötet sie zuckersüß.

Langsam lässt Nat sich von der Brünetten wegziehen. Seine Pupillen lösen sich dabei kein einziges Mal von Cion. Erst nachdem das hübsche Pärchen irgendwo in der trödelnden Schülermenge untergegangen ist, macht sich ein Schwindelgefühl in deinem Kopf bemerkbar. Keuchend lässt du deinen angehaltenen Atem entweichen und schnappst nach Luft. Währenddessen beobachtet Cion dich und runzelt verärgert seine Stirn.

„Und du erzählst mir, was hier los ist", befiehlt er knapp. „Ich würde lieber gehen-", widersprichst du, einen Schauder unterdrückend, aber der Dunkelhaarige schneidet dir unsanft das Wort ab. „Komm mit." „Äh, ich....", willst du noch protestieren, doch dein Flurnachbar hat dir schon den Rücken zugekehrt und marschiert davon. Mit einem letzten nervösen Blick über deine Schulter folgst du ihm.

|=| So, endlich erzählt auch dieses Kapitel in der Du-Perspektive. Vielen Dank für eure Unterstützung, die Du-Perspektive gefällt mir wirklich am Besten. 😆💕

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