08 - Verdächtig

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„Geht es dir wirklich gut? Du siehst ein wenig gestresst aus." Mit einem prüfenden Blick mustert Nick dein Gesicht. „Ich bin nur etwas müde, das ist alles." Irgendwie zwingst du dir ein verrutschtes Lächeln auf die Lippen, um deinen neuen Freund zu beruhigen. Das Bier lehnst du aber trotzdem ab.

Der Tag neigt sich dem Ende zu, die tief stehende Sonne hat Ähnlichkeiten mit einem orange glühenden Feuerball, der auf den Horizont zurollt. Noch ist es angenehm warm, und die Stimmung ausgelassen. Schüler schlendern in Grüppchen über die Rasenfläche, sitzen mit Getränken und Bratwürsten in Brötchen auf Picknickdecken oder tanzen zur Musik der Lautsprecheranlagen.

Die meiste Zeit hast du damit zugebracht, dich von Erin durch die Gegend schleifen zu lassen, dich unzähligen Leuten vorzustellen und ihre Namen fast so schnell wieder zu vergessen wie ihre Gesichter. Anscheinend verfolgt das rotblonde Mädchen das ehrgeizige Ziel, dich vor Tagesanbruch mit der halben Schule bekannt zu machen. Im Augenblick sind die Zwillinge in ein lautstarkes Volleyball-Spiel verwickelt, was dir eine kleine Verschnaufpause verschafft.

Verständnisvoll schaut Nick auf die Uhr. „Wenn du willst, bringe ich dich auf dein Zimmer." „Danke, aber ich bleibe lieber noch etwas." Dein nächstes Lächeln fällt eine Spur ehrlicher aus. „Ich habe das Gefühl, dass Erin noch nicht fertig mit mir ist." „Sie hat ein wirklich schlechtes Gewissen", stimmt der Junge mit den Lockenkopf grinsend zu. Ein Aufschrei lenkt eure Aufmerksamkeit wieder auf das sandige Spielfeld vor euch. Einer der Spieler, links und rechts von seinen Teamkameraden unterstützt, verlässt soeben humpelnd das Feld.

Ihr könnt sehen, wie Erin und Jeff auffordernd mit den Armen in der Luft winken. Die Botschaft ist eindeutig. „Willst du?", fragt Nick, woraufhin du energisch den Kopf schüttelst. „Ihr wollt mich ganz bestimmt nicht Volleyball spielen sehen." „Wer weiß, vielleicht verletzt sich ja gleich noch Einer", scherzt er und hält dir seine Bierflasche hin. „Passt du für mich darauf auf?" Du greifst nach dem kalten, klobigen Glas und bleibst allein zurück, als er mit einem freundschaftlichen Klaps auf deine Schulter los joggt. Erleichtert atmest du auf. Seit Stunden läufst du wie auf glühenden Kohlen, die unbekannten Nachrichten auf deinem Handy spuken in deinem Kopf umher und wollen dich einfach nicht in Ruhe lassen. Ständig bildest du dir ein, dass dich jemand aus der Dunkelheit belauert.

„(Y/N)." Die warme Stimme rinnt wie Honig in deinen Gehörgang. Erschrocken drehst du dich um und erblickst niemand anderen als Nat. Seine goldbraunen Augen funkeln, während er lächelnd auf dich zukommt. Im Schein der untergehenden Sonne wirkt er wie ein Gemälde. „Ich wusste nicht, dass du Partys magst."

Offensichtlich entgeht ihm nicht dein verstörter Gesichtsausdruck, denn das Lächeln in seinen Mundwinkeln vertieft sich. „Ich meine, im Vergleich zu früher. Ich hab dich jedenfalls noch nie auf einer Party gesehen." „Ah", machst du, als du begreifst, dass Nat auf eure gemeinsame Schulzeit anspielt. „Ja, ich..." Unschlüssig gestikulierst du mit der halb vollen Bierflasche in deiner Hand, auf der Suche nach einer schlagfertigen Antwort, welche nicht verrät, dass du nicht unbedingt zu denen gehörst, welche auf der Gästeliste einer ‚coolen' Party ganz oben stehen. Eher zu denen, von denen jeder erwartet, dass du dein ‚eigenes Ding' hast. Was auch immer das sein soll, denn scheinbar hast du abgesehen von deiner Schüchternheit nicht viel ‚Eigenes'.

„Möchtest du tanzen?" Das reißt dich aus deinen kunstvollen Verrenkungen. „W- Ich- t-tanzen?", stotterst du unsicher und machst automatisch ein paar Schritte rückwärts. „E-eigentlich tanze ich nicht-" „Es ist ganz leicht, ich kann's dir beibringen", bietet Nat dir zuvorkommend an, doch du schüttelst entschieden den Kopf. Erins Worte hallen in deinem Geist wieder, und nun, wo diese makellos reinen Topaze seiner Augen auf dich gerichtet sind, kommt dir diese Sache mehr und mehr verdächtig vor. „I-ich glaube, ich bleibe lieber hier und warte auf die anderen."

Eine unbehagliche Stille entsteht, in der Nat dich forschend mustert, ohne ein einziges Mal zu blinzeln. Auf einmal seufzt er auf. „(Y/N)", sagt er mit sanfter Stimme. „Ich weiß nicht, was deine Freunde über mich erzählt haben, aber das ist ein Missverständnis. Ich werde dir bestimmt nichts antun, falls es das ist, was du befürchtest." Mit klopfendem Herzen weichst du weiter vor ihm zurück. „Woher weißt du denn, was ich denke?", fragst du nach. Ein Schatten huscht über sein Gesicht. Plötzlich wirkt er nicht mehr ganz so harmlos wie vor wenigen Sekunden. „Das muss man nicht wissen, ich kann es an deiner Haltung erkennen", erklärt er. Ein harter Zug tritt auf seine Lippen. „Du hast Angst vor mir, (Y/N), aber dazu hast du keinen Grund. Lass uns Freunde sein."

„Ob sie etwas mir dir zu tun haben will oder nicht, entscheidet immer noch sie, nicht du", unterbricht Nicks scharfe Stimme euer Gespräch. Die Arme vor seiner Brust verschränkt, den blonden Jungen herausfordernd anfunkelnd, schiebt er sich vor dich, um dich vor Nats Blicken abzuschirmen. „Wieso verfolgst du (Y/N)?" „Verfolgen?" Nat klingt belustigt. „Wie kommst du denn darauf, dass ich (Y/N) verfolge?" „Du lässt sie nicht in Ruhe. Das ist dasselbe", kontert Nick und wendet sich zum gehen. Neben dir zupft Erin energisch am Saum deines Oberteils, während Jeff dir kurzentschlossen einen Stups gegen deinen Rücken verpasst.

Wachgerüttelt folgst du ihnen, und schöpfst ohne es zu merken nach Luft. „Wieso redest du überhaupt noch mit ihm?" Erins Stimme  klingt vorwurfsvoll und verängstigt zugleich. Schuldbewusst blinzelst du sie an. „Er hat mich irgendwie angesprochen." „Irgendetwas stimmt doch nicht mit Nathan. Ich hab' heute bestimmt schon vier Neue auf der Party gesehen, und mit denen versucht er nicht dauernd zu reden", beschwert Erin sich unterdessen und kneift verärgert ihre Augen zusammen. Nick und Jeff tauschen bedeutungsvolle Blicke aus, was dich auch nicht gerade beruhigt, doch bevor du etwas dazu sagen kannst, wechselt Erin mehr oder weniger geschickt das Thema.

„Kommst du noch mit zu den Bädern? Wir wollen uns etwas abkühlen", schlägt sie dir vor. „Wenn du dich von ihm fern hältst, sollte er den den Wink mit dem Zaunpfahl doch verstehen, oder?" Du willst gerade etwas erwidern, als das eindringliche Summen deines Handys deine Aufmerksamkeit auf sich lenkt.

‚HALT DICH FERN'

‚ICH WARNE DICH'

Auf der Stelle wirbelst du herum, zurück zu Nat. Der Junge steht noch an derselben Stelle, wo deine Freunde und du ihn stehengelassen habt, nun umringt von einigen kichernden Mädchen. In seiner Hand hält er ein Handy und schenkt seinen schmachtenden Begleiterinnen gar keine Beachtung. Langsam hebt er seinen Blick und sieht dir zielstrebig in die Augen.

Das Blut gefriert in deinen Adern. Kribbelnd weicht es aus deinen Wangen und hinterlässt nichts weiter als eine betäubende Kälte. Das ist absurd. Das kann nicht sein. Verstört blinzelst du den Jungen an, der mit jeder Minute merkwürdiger wird. Unheimlicher. Verdächtiger. Mit einem Schlag fühlst du dich hier draußen nicht mehr sicher. Du möchtest alleine sein. Ohne eine Antwort abzuwarten, murmelst du eine Entschuldigung und stürmst davon.

|=| Und weiter geht's mit einem neuen Kapitel. 🤧 Ich hoffe, es hat euch gefallen. Wenn nicht, sagt mir doch, was ich verbessern sollte! 🙌 Bis zum nächsten Kapitel!

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