Das verhaltene Kichern der Mädchen klingelt in deinen Ohren, während du an ihnen vorbei marschierst. Die drei Schülerinnen sitzen auf einer sonnenbeschienenen Bank unter den breiten Säulen des Hauptgebäudes, wo sie sich sicher sein können, dass du auf deinem Weg zum Wohnheim vorbeikommen wirst.
Du ignorierst sie, so gut es geht, mit brennenden Wangen und unterdrückter Verärgerung. Bei dem Aufwand, den Lauren betrieben hat, um sich fünf Minuten Fußweg zu ersparen, möchtest du dir nicht die Blöße geben, indem du auf sie ein schimpfst - Am Ende fängt sie noch damit an, auf dir rumzuhacken.Nats winkende Hand vor deiner Nase unterbricht deine Gedanken. Überrascht reißt du deinen Kopf herum. „H-hey", begrüßt er dich mit hochgezogenen Augenbrauen, während er neben dir herschreitet. Seine sanften Augen begutachten dein hölzernes Gesicht. „Alles in Ordnung? Du siehst nicht gut aus." Sofort ringen die Alarmglocken. Nachdrücklicher, als es deine Art ist, nickst du. „Alles bestens. Wie lange folgst du mir schon?" Der Junge zögert sichtlich angesichts deiner forschen Gegenfrage. „Seit ein paar Metern. Du sahst aufgewühlt aus." Er lugt über seine Schulter nach hinten. „Macht Lauren dir Ärger? Sie kann ab und zu etwas schwierig sein." ‚Schwierig' wäre das mit Abstand netteste Wort, das dir zu deiner Situation einfallen würde, aber du hältst wohlweislich deinen Mund.
Gemeinsam biegt ihr um die Ecke, wo die drei hämischen Blicke dir nicht mehr im Nacken sitzen. "Was hast du jetzt vor?", fragt Nat im Plauderton, „Hast du Zeit zu reden? Es dauert auch nicht lange." Unschlüssig spähst du zu ihm herüber. Im hellen Schein der Nachmittagssonne wirken seine Gesichtszüge friedlich und entspannt. Seine Mundwinkel zucken verdächtig. „Keine Sorge, wir können uns gleich hier unterhalten." Er deutet auf eine der öffentlichen Sitzbänke. „Hier kann uns jeder sehen. Und wenn dir etwas nicht gefällt, gehst du einfach."
Ein kurzes Gespräch kann ja nicht schaden, oder?
Aufatmend setzt du dich auf die verblichenen, glatten Holzbretter und stützt dich mit beiden Händen am Rand der Sitzfläche ab. Das von der Nachmittagssonne aufgeheizte Material fühlt sich angenehm warm an.
Neben dir lässt Nat sich auf die Bank fallen. Du hörst, wie er seufzt, als du konzentriert auf deine Schuhe starrst anstatt ihn anzusehen. „Ich beiße nicht, (Y/N)", erklärt er vorsichtig. „Du brauchst wirklich keine Angst vor mir zu haben." Dein Blick zuckt in seine Richtung. „Wieso sollte ich Angst haben?"
„Sag du es mir." Eure Blicke treffen sich. In seinen goldgelben Pupillen glitzert eine Betrübtheit, welche den attraktiven Jungen überraschend verletzlich aussehen lässt. Freudlos lächelt er dich an. „Du bist kein bisschen froh darüber, mich zu sehen, oder?" Nun ist es an dir, zu lächeln. Allerdings wirkt es im Vergleich zu seinem starr und distanziert. „Ich wüsste keinen Grund, wieso ich mich so sehr darüber freuen sollte. Wir haben uns doch gar nicht richtig gekannt."„Das ist wahr", stellt Nat nach einer kurzen Pause fest und lacht. Es ist ein nervöser, unsicherer Laut, als hätten deine Worte ihn verletzt. Ein Stich in deiner Magengegend kündigt dein schlechtes Gewissen an. „Was ich damit sagen will, ist", fügst du daher eilig hinzu, „Ich war erstaunt, dass du dich überhaupt an mich erinnert hast. Es ist ja schon ein Jahr her, seitdem du unsere alte Schule verlassen hast, und wirklich viel hatten wir damals nicht miteinander zu tun." „Das ist auch richtig." Verlegen kratzt er sich am Kopf. „Ich schätze mal, ich war zu sehr aus dem Häuschen, weil ich ein altbekanntes Gesicht wiedergesehen habe. Unsere Schule hat mir wirklich sehr gut gefallen, aber dann wurde ich hierher versetzt." Klingt vernünftig.
„Wieso hast du überhaupt die Schule gewechselt?"
Sofort verschließt sich Nats Gesicht. Abwesend schweift sein Blick ins Leere. „...Darüber möchte ich nicht reden. Noch nicht", ergänzt er und zwinkert ablenkend. „Aber wir kommen vom Thema ab. Eigentlich wollte ich mich entschuldigen." „Entschuldigen?" „Du weißt schon." Er gestikuliert vage mit seiner Hand. „Für diese Sache neulich im Krankenzimmer. Und für alles Andere. Ich habe einen falschen Eindruck hinterlassen, und das tut mir Leid." Endlich finden seine hellen Augen wieder zu dir. Diesmal ist sein Lächeln entspannter, als er weiterspricht: „Das war schon alles, was ich sagen wollte!" Er lacht befreit auf. „Für diese Worte bin ich dir drei Tage lang nachgejagt! Einen Fisch mit bloßen Händen zu fangen wäre einfacher gewesen."
Schlussendlich musst du doch grinsen, die Vorstellung, wie der charmante Junge mit hochgekrempelten Hosenbeinen knietief im Wasser steht und unbeholfen nach Fischen angelt ist zu witzig. „Das wusste ich gar nicht. Tut mir Leid", entschuldigst du dich. Daraufhin schüttelt Nat seinen Kopf. „Das braucht dir nicht Leid zu tun. Ich habe mich echt daneben benommen. Kein Wunder, dass du mir aus dem Weg gegangen bist." Streng genommen lag es daran, dass Erin dich davor gewarnt hat, mit ihm zu reden. Geknickt beißt du dir auf deine Lippen. „Ich habe Glück gehabt. Wer weiß, wann ich endlich die Gelegenheit dazu gehabt hätte, mit dir zu reden, wenn ich nicht gerade auf dem Weg zum Hauptgebäude gewesen wäre", fährt er besonnen fort. „Meinst du, wir können mal-"
„(Y/N!)", ertönt eine rufende Stimme hinter euch.
Neugierig dreht ihr euch um und erblickt Jeff. Der Junge mit dem lustigen Lockenkopf und dem frechen Grinsen sieht gar nicht gut aus, als er auf dich zuhält. Sein Gesicht ist kreidebleich. „Scheiße, wir sollten mal unsere Handynummern austauschen!", keucht er und kommt vor dir zum Stehen. Er nimmt Nat nicht einmal wahr, während er beide Hände an seinen Knien abstützt. „Nick liegt im Krankenzimmer!"
|=| Das erste Kapitel im Jahr 2018! Nat scheint auch eine nette Seite zu besitzen. 💕 Was sagt ihr?
Habt ihr Fehler im Text entdeckt? Oder negative Aspekte? Lasst doch Kritik und Korrekturen für Frostie da! \•^•/
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Obsession
Mystery / ThrillerDie Nächte sind am Schlimmsten. Die bedrohliche Leere gewinnt an Überhand, sobald er das Licht ausschaltet. Sie schleicht sich in seinen Verstand, verhöhnt ihn, lacht ihn aus. Erinnert ihn daran, dass ein weiterer erfolgloser Tag vergangen ist. Dass...