„Letzter Aufruf für Passagierin Julia Eleonore Kaufmann, bitte erscheinen sie unverzüglich an Gate Z52. Das Boarding für den Lufthansa Flug LH404 nach New York schließt in wenigen Minuten. Julia Eleonore Kaufmann, bitte kommen sie zu Gate Z52..." Jule tippte dem sich hektisch umschauenden Maynard auf die Schulter, der verzweifelt versuchte, sie auf dem Handy zu erreichen. Wirsch drehte er sich um, und als er Jule erblickte, vermischten sich Wut und Erleichterung gleichzeitig in seiner Mimik. Jule hingegen stand kaugummikauend vor ihm, ließ eine Blase aus dem Mund steigen und zerplatzen. Sie grinste Maynard an. „Klischees sollten gepflegt werden. Können wir?" Ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie an Maynard vorbei und reichte der genervten Bodenstewardess die Boardingkarte. Maynard schüttelte gestresst mit dem Kopf und folgte ihr.
„Wo in aller Welt waren sie?? Und warum beantworten sie meine Anrufe nicht?" „Verschlafen. Handy vergessen." „Warum??" Jule sah ihn fragend an, während sie durch das Gate in die Maschine liefen. „Was ist das denn für ne Frage? Warum verschläft man halt? Wecker nicht gehört, Wecker nicht gestellt, was auch immer..." „Zu viel getrunken gestern..." erwiderte Maynard. Jule stockte kurz. „Jooa... auch", sprach sie, um sich ihm dann in den Weg zu stellen. „Außerdem hatte ich gigantischen Sex! Sollten sie mal probieren. Das entspannt. Toootaaal...." Das letzte Wort zog sie im leiernden Singsang in die Länge, während sie sich albern auf einem Fuß umdrehte und wieder Richtung Flugzeug lief.
Im Eingang des Flugzeugs standen zwei Stewardessen, um die Fluggäste zu begrüßen. Jule kicherte, reichte den irritierten Stewardessen die Hand. „Hallo, Schönheiten. Ich freue mich sehr, mit ihnen mehrere Stunden in tausenden Kilometern Höhe die Zeit verbringen zu dürfen...mein GOTT, wie sehr ich mich freue." Jules Stimme klang verwaschen und unklar, fast wie betrunken. Maynard reichte es. Er packte Jule am Arm, schob sie durch den Gang in die Businessklasse. „Entschuldigung. Die Aufregung... sie ist noch nie geflogen" sagte er im Vorbeigehen, während die Stewardessen versteinert weiter lächelten und höflich-beflissen nickten.
Maynard schob Jule weiter bis zu ihren Plätzen, nahm ihren Rucksack ab und drückte sie sanft, aber bestimmt in den Sitz. „Ich will aber..." „Sitzenbleiben!" Schnaufend ließ sie sich in den Sitz sinken, sah dabei aus wie ein schmollendes Kind. Maynard verstaute das Gepäck in die oberen Fächer und setzte sich auf die Fensterseite. Er sah sich kurz um, wandte sich dann an Jule. „Ok... sie sagen mir jetzt, was sie genommen haben, und sie werden einen Teufel tun, mich anzulügen." Jules Lider fühlten sich schwer an. „ROooOOhhyyYPP....." „Pssschht....ok,... ok ist gut, ich hab verstanden" beschwichtigte Maynard die lauter werdende Jule. „Sssscchhhhtt!!!" Jule legte den Zeigefinger auf ihre Lippen und äffte den Anwalt nach. „Oh mein Gott..." seufzte er, stand auf und fragte eine Stewardess nach einer Flasche Wasser. „Wissen sie, meine Begleitung hat ein wenig Kreislaufprobleme, ich denke sie muss nur etwas trinken..." Zurück am Platz reichte er Jule die geöffnete Flasche. „Trink. Los." Während Jule trank, schnallte der Anwalt seine Mandantin an. „Du wirst gleich schön schlafen... mit etwas Glück. Und du wirst heute und in diesem Flugzeug kein einziges Wort darüber verlieren!" Jule setzte die Flasche ab, salutierte vor Maynard, jedoch leider mit der falschen Hand, und schüttete sich mit einem „Jawoll, Herr Kapitän!" die halbe Flasche über sich. „Huch." Seufzend nahm er ihr die Flache aus der Hand. „Kann man sich nicht ausdenken..." sprach er mehr zu sich selbst. Kurz darauf rollte die Maschine Richtung Rollfeld, Jule indes fiel in einen tiefen Schlaf und erlebte nicht mal den Start.
Die Stimmen flüsterten, kamen von weiter Ferne immer näher, und Jule versuchte die Augen zu öffnen. Sie wunderte sich über die fremden Stimmen um sie herum, und als sie endlich in die Realität blinzelte, stellte sie zu ihrem Schreck fest, gar nicht in ihrem Bett zu liegen. Maynard strich ihr kurz über den Arm. „Guten...ähm... Abend, Jule. Ich hoffe es geht dir besser." Irritiert richtete sie sich auf und sah sich um. Maynard lächelte kurz. „Also, kurz die Eckdaten zur Realitätsüberprüfung: Wir fliegen nach New York, es ist 18 Uhr Ostküstenzeit, wir landen in circa eineinhalb Stunden und du hast im Prinzip den gesamten Flug verschlafen. Ich habe dich hingelegt, also deinen Sitz, falls du dich wunderst. Hunger?"
Jule rieb sich den Schlaf aus den Augen und suchte noch immer Orientierung, bis ihr Blick auf Maynard hingen blieb. Kurz sahen sie sich in die Augen, bis Jule anfing, den Knopf zu suchen, der ihren Sitz wieder aufrichtete. Wortlos deutete Greg auf die Schaltmontur und drückte den Knopf, der den Sitz langsam wieder aufrichten ließ. „Können wir uns darauf einigen, dass so etwas nicht mehr vorkommt, solange wir miteinander zu tun haben?" Maynard sah sie durchdringend an. „Bist du sowas wie mein Vater... oder versuchst du es, zu sein? Das kannst du vielleicht einfach mal lassen, Maynard." Jule wich dieses Mal seinem Blick nicht aus. „Wir machen nur diese... Sache dort klar, und dann verschwinde ich wieder. Du wirst mich nicht wiedersehen, also zerbrich dir mal nicht deinen Kopf für mich, okay?" „Ich befürchte, das ist nicht so einfach, wie du dir vorstellst, Jule. Und glaub nicht, dass ich dich so davon kommen lasse." „'Und glaub nicht, dass ich dich so davon kommen lasse'..."unterbrach sie Maynard und äffte ihn nach. „Was soll der Scheiß? Glaubst du, wir haben so etwas wie irgendeine geartete Beziehung oder so? Du stehst einfach vor meiner Tür, erzählst mir was von 70 Millionen Dollar, schleppst mich in die USA, und tust geradezu so, als müsstest du mich besonders beschützen... geh mir einfach nicht auf den Sack." Wortlos starrten sie sich an, bis Jule erneut das Wort ergriff. „Und falls es dir noch nicht aufgefallen ist... ich bin 30. Und ich konnte 30 Jahre lang verdammt gut auf mich selbst aufpassen." Maynard lächelte sanft, als er den Blick löste und sich in seinem Sitz zurücklehnte. Eine Stewardess kam vorbei, und er bestellte Whisky für sich. „Oh ja. Das hat richtig gut funktioniert. Wunderbar hast du dich da eingerichtet, in der anonymen Großstadt. Deine Wohnung spricht Bände und zeigt, wie wohl du dich fühlst. Dein Aussehen hast du auch wohlweislich gewählt, Miss Rührmichnichtan in Lederjacke und Stiefeln. Natürlich bist du auch eine ganz harte Trinkerin, und es ist auch eine Selbstverständlichkeit, sich Benzodiazepam vor dem Flug einzuwerfen. Ganz harte Nummer, so hart wie deine Worte...." Der Whisky wurde gereicht, Maynard nahm einen genüsslichen Schluck und ließ den Alkohol kurz auf sich wirken. „Unser Präsident könnte wirklich von dir lernen – zumindest, was das Mauer bauen angeht. Wie sagtest du so schön? Klischees müssen eben gepflegt werden. Ist ja auch in Ordnung." Jules grüne Augen verdunkelten sich zusehends. „Wer bist du eigentlich, dass du so über mich urteilst, Greg?? Was denkst du dir eigentlich?" „Das vermagst du mich zu fragen? Du urteilst doch die ganze Zeit, nichts Anderes tust du! Letztlich ist es mir jedoch egal. Nur eines eben nicht..." er sah sie an. „Bring mich nie. wieder. in Schwierigkeiten. Nie wieder." Einige Sekunden herrschte Stille. „Ich hätte nicht mitkommen sollen. Die Kohle ist mir scheißegal!" „Natürlich ist sie das. Und trotzdem bist du hier", lächelte er und trank den letzten Schluck.
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rich & broken
FanfictionJule Kaufmann, 30 Jahre, ist am Ende. Sie kifft und trinkt zu viel, ist notorisch pleite, steht kurz davor, aus der Wohnung zu fliegen und verdient sich ihren Lebensunterhalt als kleine Straßendealerin. So weit, so bescheiden - bis eines Tages ein f...