Am selben Abend stand Jule im hinteren Schlafzimmer ihres Appartements und räumte die neu erworbene Kleidung in den Schrank. Gregory und sie waren noch durch gefühlt ganz NYC gefahren, und Jule hatte nun eine ansehnliche Ausstattung an Klamotten. Das hintere Schlafzimmer hatte sie von Beginn an in Beschlag genommen, während sie die anderen Räume nur selten betrat oder gar nutzte. Sie hätte nicht gewusst, warum oder wie. Das Klopfen an der Tür vernahm sie nur dumpf.
„Hey!" Jimmy stand lächelnd vor der Tür. „Oh, hi Jimmy! Komm rein!" Kurz war sie irritiert über sich. Mal wieder. So selbstverständlich, wie sie ihren Nachbarn in die Wohnung ließ, das hätte sie in Deutschland vermutlich nie gemacht. Wieder fiel ihr der Spion ein, den sie einbauen lassen wollte. „Was gibt's?" fragte sie Jimmy, der beide Hände in die Chinos steckte und mit ihr im Flur stand. „Ach... nichts eigentlich. Wollte nur mal sehen, wie es dir ergangen ist in den letzten Tagen." Jule lächelte. „So so! Kann mich nicht beklagen. Ich war einkaufen... kommst du mit?" fragte sie, während sie ins Schlafzimmer zurückkehrte. „Oh, das ist eine ganze Menge... planst wohl länger zu bleiben?" Jimmy setzte sich in den Sessel neben dem Schrank. Jule stoppte in der Bewegung, Shirts in den Schrank zu räumen und ließ die Arme sinken. „Was? Hab ich was Falsches gesagt?" „Nein... nein hast du nicht, aber offensichtlich ist das ein Thema, mit dem ich mich beschäftigen sollte. Müsste." „Dein Aufenthalt? Du darfst doch 90 Tage bleiben... soweit ich weiß." „Ja... nein, darum geht es nicht." Jule warf das Shirt, welches sie noch immer in den Händen trug, in den Schrank und setzte sich aufs Bett. „Okay, das Thema ist Heimat. Jimmy, was ist Heimat?" Überrascht zog er seine Augenbrauen hoch. „Oha! So tiefgründig heute? Ich muss da wohl nicht lange überlegen. New York ist meine Heimat. Und wird es immer bleiben. Hier bin ich geboren, und hier ist alles, was ich liebe. Meine Familie, mein Job, meine engsten Freunde... schon komisch, ich bin zwar schon weit gereist, aber es zieht mich immer wieder zurück hierher. Ohne Überlegung, ganz im Gegenteil. Das Gefühl von „Heimkommen" ist ein ganz Großartiges. Aber du fragst vermutlich nicht ohne Grund." Jimmy sah, wie Jule mehrfach schluckte, während sie mit dem Finger das Muster der Tagesdecke nachfuhr. Und schwieg. „Jule... alles okay?" Langsam schüttelte sie den Kopf, und Jimmy sah die Träne auf die Decke tropfen. Geräuschvoll zog Jule die Nase hoch und wischte sich mit dem Handrücken über Selbige. „Sorry." Sie stand auf und verschwand ins Badezimmer, einen ratlosen Jimmy zurücklassend. Er wusste nicht so recht, ob er nun überhaupt noch erwünscht war, und aus lauter Hilflosigkeit stand er auf und begann, die restlichen Kleidungsstücke in den Schrank zu räumen. Wenige Minuten später kehrte sie zurück. Jule blieb im Türrahmen stehen, Jimmy hatte sie nicht bemerkt. Erstaunt beobachtete sie, wie er akribisch jedes Kleidungsstück faltete und ordentlich in das Fach im Schrank legte. Fast liebevoll seine Bewegungen, zumindest jedoch vorsichtig, als wäre die Kleidung aus wertvollem Glas, und Jule bemerkte ein seltsames Gefühl der Wärme aufkeimen. Aus der Bauchgegend heraus zog es in wohligen Schauern durch ihren Körper, bis sie sich räusperte, um das für sie unbekannte Gefühl abzuschütteln. Erschrocken wandte sich Jimmy um. „Sorry, ich dachte nur, ich mache mich mal nützlich... ist das okay?" Jule spürte das starke Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen, von ihm in den Arm genommen zu werden, sie konnte es sich nicht erklären, während sie stumm auf ihn zulief, um dann doch zu stoppen. „Äh...ja... ja klar, danke dir. Ist ja nicht mehr so viel." Schweigend räumten Beide die restliche Kleidung ein, in der Luft eine Atmosphäre von Spannung, jedoch nicht allzu unangenehm, wenngleich auch rätselhaft für Jule und Jimmy.
„So. Erledigt!" unterbrach Jimmy als Erster das Schweigen, während sie auf den nun gut gefüllten Schrank blickten. Jule schob die Tür des Schranks zu. „Jule... was hälst du davon, wenn wir zu mir gehen, Pizza bestellen, Bier trinken und den Abend einfach zerquatschen... oder zerschweigen, das geht auch!" schob er schnell hinterher. „Ich denke, das ist eine sehr gute Idee!" antwortete sie, und Beide zeigten sich deutlich erleichtert, diesen Raum verlassen zu können, das Rätsel um die Anspannung nicht lösen zu müssen, zumindest nicht heute. „Ist ja nicht so weit, zum Glück", frotzelte Jimmy, und Jule sah ihm an, dass ihm der alberne Spruch sofort unangenehm war. „Für deine Show hast du aber Autoren, oder?" fragte sie trocken und erntete böse Blicke, während sie zu Fallons Wohnung hinüberliefen. „Hast du besondere Wünsche für die Pizza?" fragte er, während er seine Tür aufschloss. „Salami und Pepperoni, ich bin da ganz unspektakulär." Jimmy stieß die Tür auf und ließ ihr zuerst Einlass. „Perfekt, genau mein Geschmack!" Ein Bewegungsmelder schaltete die Deckenlampen im Flur an, und Jule stand im Prinzip in ihrer Wohnung, nur spiegelverkehrt. Unschlüssig stand sie im Flur und sah sich um. „Na, den Weg zum Wohnzimmer müsstest du kennen, oder?" grinste Jimmy. „Jaa...ist ja schon gut", verdrehte sie die Augen und lief durch den Flur in den großen Raum. Jimmy folgte ihr und schaltete mehrere Stehlampen an, ließ sich auf das Sofa fallen und lud Jule mit einer Geste ebenso dazu ein, also tat sie es ihm gleich. Mit seinem Smartphone steuerte er die Musikanlage und startete eine Playlist.
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rich & broken
FanfictionJule Kaufmann, 30 Jahre, ist am Ende. Sie kifft und trinkt zu viel, ist notorisch pleite, steht kurz davor, aus der Wohnung zu fliegen und verdient sich ihren Lebensunterhalt als kleine Straßendealerin. So weit, so bescheiden - bis eines Tages ein f...