Teil 33

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Der New Yorker Verkehr war mal wieder ein einziger Ausnahmezustand, und Maynard fragte sich, was es wohl kosten würde, wenn er einen Helikopter mieten würde. Nach kurzem Lagecheck entschied er sich, die U Bahn zu nehmen und die drei Haltestellen bis zur 86. Straße zu fahren, wenngleich es Maynard eine große Überwindung kostete. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen wäre. Der beißende Geruch aus Pisse, Müll und Fast Food stieg ihm sofort in die Nase, als er an der 57. Straße die Treppen zur U-Bahn Station herablief, und kurz benötigte er eine gewisse Überwindung. Maynard fühlte sich schäbig, als er die vier Minuten auf die Linie Q wartete, nicht, weil er dort stand, mit all den anderen New Yorkern, oder den Touristen, die immer so schauten, als würden sie gleich überfallen. Sondern, weil er sich so fühlte, wie in diesem Moment. Seine eigene Überheblichkeit kotzte ihn an. Hier stand er nun, bereit, sofort loszuheulen, sobald auch nur einer schräg käme, die Gedanken an Jule immer präsent, und dennoch widerte ihn alles an. Dabei war es egal. Es war vollkommen egal, denn es ging um was ganz anderes. Maynard fühlte sich plötzlich einsam, sehr sogar, ein Gefühl, was ihm nicht fremd war, ganz im Gegenteil - nur dieses Mal war es nicht erwünscht. Wenn das nun also das Gefühl war, was man verspürt, wenn man plötzlich jemanden in sein Leben lässt, dann stellte sich ihm die Frage, warum man das tat. Es bereitete doch nur Schmerz, Sorgen, Hoffnungen, die wieder zerschellten. Es machte absolut keinen Sinn. Es tat nur weh. „Dollar? Einen Dollar?" sprach ihn ein Penner an, völlig verwahrlost und übel riechend stand er vor Maynard, der Blick ungefähr auf ihn gerichtet und doch weit weg. Maynard sah sich angewidert um, kein Mensch schien die Szenerie zu registrieren, alle starrten auf ihre Smartphones oder ins Leere. „Dollar?" wiederholte der Mann, und Maynard kramte tatsächlich einen Schein hervor und gab das Geld dem Mann, wohl darauf bedacht, keinen direkten Körperkontakt entstehen zu lassen. Endlich kam die Bahn, Maynard bekam sogar einen Sitzplatz, und vermutlich war das auch nicht besser als stehen zu bleiben und sich an den bakterienverseuchten Stangen festzuhalten. Zumindest war der Sitz trocken. Drei Stationen später stieg er aus und beeilte sich, um wieder an die Oberfläche zu gelangen, und kurz darauf war er wieder im Krankenhaus angekommen. Eine Ärztin begrüßte ihn und bat ihn zum Gespräch kurz in das ihm schon bekannte Büro.

„Mister Maynard, Miss Kaufmann wurde aus der Langzeitnarkose geholt. Die Medikamente wurden von uns reduziert, sodass sie langsam aus dem Tiefschlaf zurückgeholt werden konnte. Frau Kaufmann reagierte bereits auf Berührung und Ansprache, auch das Bewegen der Extremitäten und die Koordination waren, sofern es ihre Verletzungen zuließen, im Normalbereich. Die Atmung funktioniert wieder einwandfrei selbstständig. Sie können zu ihr, aber bitte bewahren Sie Ruhe und überfordern Sie sie nicht. Und wundern Sie sich nicht, sollte Miss Kaufmann Sie nicht sofort einordnen oder erkennen können. Es ist völlig normal, dass Patienten nach einem künstlichen Koma orientierungslos und verwirrt sind. Man spricht auch vom sogenannten Durchgangssyndrom." „Wie lange kann das anhalten?" „Das unterscheidet sich von Patient zu Patient. Da ihre Tochter glücklicherweise nicht mal zwei Tage im künstlichen Koma verblieb, sollte sich dies zügig relativieren. Sie müssen aber Geduld mit ihr haben, Mister Maynard." Bei dem Wort ‚Tochter' blieb Gregory kurz das Herz stehen, nur kurz, aber lang genug, um fast die Fassung zu verlieren. „Sollen wir noch jemanden benachrichtigen?" „Das ist nicht nötig, danke." Die Ärztin nickte und lief über den Flur zu Jules Zimmer, während Maynard ihr folgte. Mit jedem Schritt stieg seine Anspannung an, seine Brust krampfte sich zusammen, das Herz schlug schnell. „So. Nun schalten Sie ihr Telefon aus und desinfizieren sich die Hände... bitte bleiben Sie nicht allzu lang, das könnte sie noch überfordern. Ich werde Sie begleiten. Wenn sie Fragen zu Miss Kaufmanns allgemeinen Zustand haben, dann stellen Sie diese bitte nicht, während wir im Zimmer sind." „Okay, danke." Maynard tat wie ihm geheißen, holte tief Luft und öffnete die Tür, um das Zimmer gemeinsam mit der Ärztin zu betreten.

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