Jimmy saß ratlos in dem großen, aber leeren Bett, als sein Blick auf den Zettel auf der Kommode fiel. „Jagdhund und ich fangen Nahrung. Bleib in der Höhle! Bis gleich..." stand dort mit großen Druckbuchstaben geschrieben, darunter ein kleiner Smiley. Jimmy musste lächeln, er hätte nie damit gerechnet, dass Jule tatsächlich mal Frühstück für ihn besorgen würde. War das der nächste Schritt? Der nächste Schritt zu was eigentlich...? Jimmy stieg aus dem Bett und zog sich an. Im Bad spritzte er sich kaltes Wasser ins Gesicht und betrachtete sich im Spiegel. Der Abend gestern war so nicht geplant. Eigentlich. Er hatte sich nur gefragt, wo sie bleibt - so lange konnte sie ja nicht unter der Dusche stehen. Als er sie dann in ihrem Schlafzimmer sah, nur mit diesem Handtuch bekleidet, die Locken noch nass und wirr, ihre dunklen Augen auf ihn gerichtet... er hätte beinah den Verstand verloren, wenn sie nicht todtraurig dabei ausgesehen hätte. Zu gern wollte Jimmy alle Last von ihr nehmen. Sie hätte es verdient, einfach mal glücklich zu sein, und er hoffte, dass solche Aktionen wie der Ausflug zum Strand sie dem Ganzen wenigstens etwas näher brachte, wenngleich sie nicht ihre Probleme lösen würden. Sie wusste das zu schätzen, dessen war er sich sicher, und doch ließ sie ihn immer wieder vor eine Mauer rennen, wenn die Themen zwischen ihnen mal etwas ernster wurden. So auch gestern wieder, und es war klar, dass er sich nicht abgrenzen konnte, als sie ihn küsste.
Der Sex mit Jule war... irre. Ein besseres Wort fiel ihm nicht ein, im wohl gemeinten Sinne. Selten schlief er in der Vergangenheit mit Frauen, mit denen die Chemie so stimmig war wie bei Jule und ihm. Bei dem Gedanken an letzte Nacht durchlief ihn ein wohliger Schauer, am liebsten würde er dort weitermachen, wo sie aufhörten. Als sie schliefen, hielt Jule Jimmy fest umklammert in der Nacht, sobald er sich weg bewegte, murmelte sie ein kaum hörbares „Nein!" und rückte wieder heran, und er genoß jede Minute. Jimmy seufzte, verließ das Bad und die Wohnung, nicht ohne ihr eine Nachricht zu schreiben, dass er sich in seinem Appartement auf das gemeinsame Frühstück freute. Während er in seiner Küche Kaffee zubereitete, fragte er sich, ob Jule ähnlich dachte. Jimmy war verunsichert. Vielleicht war er nur eine gelungene Abwechslung, sobald sie jemanden kennenlernte, der besser in ihr Schema passte, war Jimmy passé. Oder, wenn sie sich in New York richtig heimisch fühlen und sich Freunde suchen würde. Was sollte sie dann schon mit ihm anfangen, er war Mitte 40, ihre Leben waren grundverschieden, es gab keine großen Gemeinsamkeiten. Sagte man nicht, dass sich Gegensätze anziehen?
Jimmy setzte sich mit seinem Kaffee ins Wohnzimmer und scrollte durch seine Mails. Heute Abend würde er schon ins Studio müssen, die ersten Aufnahmen für die neue Woche nach der Sendepause standen an. Direkt kam ihm der Gedanke, sie mitzunehmen, er wusste nicht mal genau, warum. Aber er schätzte ihre Anwesenheit, liebte ihre Art zu denken und wie sie einfach aussprach, was ihr durch den Kopf ging, ohne Rücksicht auf Verluste - auch wenn Jule manches Mal über die Stränge schlug und ein gewisses Feingefühl missen ließ. Wie gern hätte Jimmy in der Vergangenheit schon diversen Menschen seine Meinung deutlich mitgeteilt ohne das blumige Geschwafel drumherum. Vor allem seinem Boss Lorne. Nachdem Jimmy einige Mails beantwortete und einen Drehplan für den heutigen Abend erstellt hatte, machte sich sein Magen bemerkbar und meldete Hunger an. Wo blieb Jule eigentlich?
Jule starrte Gregory an, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihm schien es ähnlich zu gehen. Eine gefühlte Ewigkeit standen sich Beide schweigend gegenüber, bis Pepper an der Leine zog. „Ich... ich muss einkaufen!" Entschlossen wandte Jule sich um und lief los, ohne sich umzusehen, sie wusste dass er ihr folgen würde. „Jule... warte! Wie geht es dir denn? Sind deine... sind deine Wunden gut verheilt?" Jule blieb kurz stehen, drehte sich zu Gregory. „Welche?" Greg sah aus, als wäre er in den letzten Wochen um Jahre gealtert. Schon komisch, wie sehr sich die Blickwinkel verändern können, obwohl es sich um ein und denselben Menschen handelte. Gregory schwieg, also lief Jule weiter. Schweigend liefen sie eine Weile nebeneinander her, Jule fand es mehr als seltsam, wusste aber auch nicht, was sie tun oder sagen sollte. Kurz darauf erreichten sie den Supermarkt und Jule lief ohne Umschweife hinein. „Jule.... Jule!! Der Hund darf hier nicht rein. Jule!" „Dann kannst du das ja klären. Du bist doch mein Anwalt." Unbeirrt griff sie einen der Einkaufskörbe und warf Ware hinein. „Julia. Bitte lass uns reden. Dieses kindische Gebocke macht doch keinen Sinn!" Jule spürte die Welle der Wut und riss sich zusammen, sie fasste nicht was er gerade sagte. Äußerlich gefasst lief sie durch die Gänge und versuchte, sich auf die Lebensmittel zu konzentrieren, legte Eier, Toast, Milch und weiteres in den Korb und rannte fast zur Kasse, noch immer gefolgt von Gregory. Sie fragte sich, ab wann diese Szenerie derart burlesk wurde und warf die Lebensmittel fast aufs Band, während der Kassierer skeptisch abwechselnd auf Jule und Pepper blickte. „Hunde verboten." Er nuschelte es mehr, schaute dafür aber besonders gelangweilt drein. Jule quittierte dies mit Schweigen. „Bist du taub?? Hunde verboten!" Jule holte Luft, wollte gerade antworten, als Gregorys Stimme hinter ihr ertönte. „Entschuldigung, aber ja, sie ist taub. Das hier ist ihr Assistenzhund, sie ist auf ihn angewiesen, wenn sie sich außerhalb der Wohnung bewegt. Hast du ein Problem damit?" Der junge Mann sah unbeeindruckt auf den Hund herab. „Der ist ja nicht mal gekennzeichnet" nuschelte er und sah ausdruckslos zu Gregory herüber. „Du willst ernsthaft Ärger machen, weil sie den Hund nicht gekennzeichnet hat?" „Ich mach hier nur meinen Job, Sir" zuckte er mit den Schultern, fing aber an, Jules Einkauf zu scannen. Jule hatte beschlossen, weiter zu schweigen und möglichst ratlos dreinzuschauen, als sie die Kreditkarte über den Scanner zog. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, während sie die Einkäufe in den Beutel packte und mit Pepper den Supermarkt verließ, wiederum gefolgt von Gregory. Nachdem sie ein paar Meter liefen, blieb Jule stehen und wandte sich an Gregory. „Das ändert nichts!" „Was??" „Deine Aktion im Supermarkt. Ich hätte das auch alleine gekonnt. Willst du jetzt ernsthaft Daddy spielen? Glaubst du, dass mich das beeindruckt?" „Nein... ich... wollte nur helfen." „Helfen. Alle wollen immer nur helfen. Als du damals in meine Wohnung gekommen bist, ist dir da was aufgefallen? Hast du dieses Loch gesehen, in dem ich hauste? Kannst du dir vorstellen, dass ich es nicht anders kannte - mein ganzes verdammtes Leben lang?? Weißt du, wie es ist, mit einer alkoholkranken Mutter aufzuwachsen? Ich war ihr SCHEISSEGAL, Greg. Ich hätte verrecken können. Sie hätte es vielleicht erst Tage später bemerkt, weil kein Alk mehr da gewesen wäre. ICH habe stellvertretend DEINE SCHEISSE ausbaden müssen! Ist dir das klar? IST DIR DAS EIGENTLICH KLAR????" Schwer atmend und mit hochrotem Kopf stand Jule nah vor Gregory und sah ihm unumwunden in die Augen, während er dem Blick nicht standhalten konnte. „Ich.... Es... Jule, es tut..." „TUT ES NICHT!!!" Gregory wich einen Schritt zurück, die Frustration stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich würde es dir gern in Ruhe erklären. Ich verstehe, wenn du noch nicht dazu bereit bist, Jule. Du sollst wissen, dass ich es dir gern jederzeit erklären kann und werde, wenn... sobald du das auch möchtest." Mit diesen Worten wandte er sich um und ging. Zitternd sah Jule ihm hinterher, bevor sie schnellen Schrittes den Heimweg antrat. Wortlos stürmte sie an Scott vorbei und nahm die Treppen zum achten Stock, immer zwei Stufen gleichzeitig, sie war völlig außer Atem, als sie in ihrem Appartement ankam und weinend im Flur auf den Boden sackte. Pepper ließ Jule nicht aus den Augen und legte geduldig seinen Kopf und eine Pfote auf ihren Schoß, während sie den Tränen freien Lauf ließ. Jule dachte, sie sei stabiler, abgeklärter. Sie hatte sich komplett überschätzt und nicht damit gerechnet, dass es sie so überwältigen würde, auf Gregory zu treffen. Sie war außer sich vor Wut, vor allem auch, weil er ohne Vorwarnung vor ihr stand. Das war nicht fair. Greg ließ ihr keine Chance, sich vorzubereiten, in irgendeiner Form sich gedanklich darauf einzustellen, mit ihm nicht mehr als Anwalt, sondern als leiblichen Vater zu reden. Tief atmete sie ein und aus, streichelte Peppers Kopf und beruhigte sich langsam wieder. Am liebsten wäre sie wieder ins Bett gegangen, besann sich jedoch und lief mit Einkäufen und Pepper zum gegenüberliegenden Appartement.
„Da bist du ja! Hast du dich verlaufen?" Jimmy rief es aus dem Wohnzimmer herüber, als er die Türe hörte. „Ich hoffe, du hast auch Eier mitgebracht. Ich hab so einen Hunger auf Rühr.." Jimmy erschrak fast beim Anblick von Jule, die leichenblaß und verschwitzt vor ihm stand und zitterte. „Was... Jule! Was ist passiert?" Jimmy lief zu ihr, wollte sie in den Arm nehmen, Jule hielt ihn jedoch auf Abstand. „Gregory... dieses Arschloch stand vor unserem Haus!" „Wie?? Einfach so? Hatte er sich bei dir angekündigt?" „Nein, eben nicht. Ich war.. ich war überfordert, Jimmy. Er wollte reden, lief mir bis in den Supermarkt nach und wieder zurück." „Das war nicht besonders geschickt von ihm. Was ist dann passiert?" Jule seufzte, lief in die Küche und packte ihre Einkäufe auf die Theke. „Ich bin ausgeflippt. Kurz bevor wir wieder hier ankamen, habe ich ihn ziemlich angeschnauzt. Ich konnte einfach nicht mehr. Daraufhin ging er. Sagte noch, dass ich mich melden soll, wenn ich bereit wäre, mir seine Sicht der Dinge erklären zu lassen. Was auch immer das bedeuten soll... seine Sicht der Dinge? Was gibt es denn da zu sehen? Er hat meine Mutter geschwängert und ist dann über den großen Teich abgehauen. Oder sehe ich das falsch?" „Sagen wir so; falsch wohl nicht grundsätzlich, rein technisch betrachtet. Aber du weißt, dass deine Mutter zuerst ging, oder? Sie verschwand ohne eine Spur zu hinterlassen und meldete sich nie wieder. Weder bei ihren Eltern, noch bei Gregory." Jule sah zu Jimmy auf, der mittlerweile an der Küchentheke gegenüber stand, und funkelte ihn an. „Er hätte sie suchen können. Sich etwas mehr bemühen. Was weiß ich!"
„Jule, ich will hier für niemanden der Beiden eine Lanze brechen.. ich war einfach nicht dabei, ich kann dir nicht sagen, was in ihnen vorging. Ich finde nur, er hätte zumindest eine Chance verdient, es dir zu erzählen. Eine! Ganz gleich, was du dann damit machst... und du brauchst mich auch gar nicht so anzusehen, Jule. Ich glaube einfach, dass ihr damit abschließen müsst. Sonst beschäftigt euch das Thema dauernd, es wird immer zwischen euch stehen." „Wäre das so schlimm? Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch einmal mit ihm reden möchte." „Jule. Schau dich doch an! Du bist völlig fertig! Soll das jetzt immer so weitergehen?" Kurz schwiegen sie sich an, bis Jimmy die Eierpackung griff und zum Herd ging, eine Pfanne aus dem Schrank holte und die Eier in eine Schüssel schlug. „Kaffee ist fertig. Ich kann dir auch gerne einen Tee kochen, wenn du willst." Jule lehnte sich an die Küchentheke und sah ihm zu, wie er, mit dem Rücken zu ihr gewandt, das Rührei zubereitete. „Danke... Kaffee ist gut."
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rich & broken
FanfictionJule Kaufmann, 30 Jahre, ist am Ende. Sie kifft und trinkt zu viel, ist notorisch pleite, steht kurz davor, aus der Wohnung zu fliegen und verdient sich ihren Lebensunterhalt als kleine Straßendealerin. So weit, so bescheiden - bis eines Tages ein f...