Gregory stand mit Mr. Marshall in Jules Esszimmer und sah sprachlos abwechselnd auf den Hund, die vielen Taschen und Tüten und die dazugehörige Dame. Ihre Blicke sprachen Bände, es spiegelte sich eine Mischung aus Ekel, Abwehr und Irritation in ihren Gesichtern. „Also... ihr Name war wie noch mal?", brach Gregory das Schweigen, und die ältere Dame sah ihn ängstlich an, während der Hund neugierig zunächst die Schuhe und schließlich auch das Gemächt der Beiden beschnupperte. Mr. Marshall versuchte, den Hund mit einer Hand wegzuwedeln, während er seinen Koffer schamhaft vor seinen Unterleib hielt. „Das ist Leanne mit ihrem Hund Pepper. Sie leben... hier in der Gegend. Und ich möchte, dass sie eine meiner Wohnungen bekommt, am besten heute." Jule duldete keine Widerrede, das war deutlich.
Sie hatte bei Trader Joe's Nahrung und Getränke für Leanne und Pepper gekauft und die Beiden anschließend eingesammelt. Leanne wusste gar nicht, wie ihr geschah und traute sich zunächst gar nicht weiterzulaufen, als sie vor dem Eingang des Gramercy Gebäudes standen, wohingegen Pepper zunächst Freundschaft mit Scott schloss und ansonsten auch eher unbedarft durch die Gegend sprang. Martha war natürlich zunächst überhaupt nicht angetan von diesem überraschenden Besuch, der definitiv nicht ihren Vorstellungen von Hygiene und Sauberkeit entsprach, letztlich brach aber auch hier Marthas mütterlicher Instinkt durch, sodass sie für Leanne zunächst einmal eine Mahlzeit bereitete. Mittlerweile waren sowohl Leanne als auch Pepper satt und saßen nun im Eßzimmer, wo Leanne etwas überfordert den Gesprächen lauschte.
„Also... das geht nicht so einfach, Jule, das ist etwas kompliziert..." versuchte Gregory einen zaghaften Widerstand, wohlwissend, dass dies vermutlich vergebene Liebesmüh war, und er sollte Recht behalten. „Inwiefern? Ich besitze Wohnungen. Eine ganze Menge davon, also kann ich wohl auch sagen, wer dort wohnen wird. Oder sehe ich das falsch?" Mister Marshall räusperte sich kurz, entschied sich aber zu weiterem Schweigen. „Jule, kann ich dich bitte kurz allein sprechen...?" erwiderte Gregory und lief in die Küche. Widerwillig folgte Jule ihm. „Sag mal, spinnst du jetzt völlig?? Was macht diese Frau hier, und dieser laufende Sack Flöhe??" flüsterte Greg scharf. „Was ist dein verdammtes Problem, Greg? Ich möchte ihr helfen. Das liegt doch wohl auf der Hand, oder? Ich habe eine Wohnung, sie nicht. Also???" „Jule, du kannst sie nicht alle retten, was soll das?" „Und wenn ich nur eine rette?" Greg stöhnte auf und rollte mit den Augen. „Oh Gott Jule! Was wird das jetzt, bist du jetzt der Rächer der Enterbten?? Robin Hood von New York City??" Er lachte kurz ob seines Spruches und Jule musste sich zusammenreißen, nicht komplett ausfallend zu werden. „Hör mir jetzt genau zu Gregory. Du wirst noch heute eine meiner Wohnungen an Leanne übergeben. Inklusive ihres Hundes. Und du wirst meine Entscheidungen nicht ins Lächerliche ziehen. Es ist mir scheißegal, wie du darüber urteilst, und es ist ein Armutszeugnis für dich, wie du über Menschen wie Leanne denkst. Du widerst mich an, Greg. Falls du das Mandat behalten möchtest, und ich gehe davon aus, dass der Name „Conant" in der Liste deiner Klienten kein Unbedeutender ist, dann solltest du dir gut überlegen, was du als Nächstes tust." „Das würdest du nicht tun" konterte er, sah aber schon an ihrem Blick, dass er es nicht herausfordern sollte. „Jule, bitte denk doch nochmal für einen Moment darüber nach. Hier ein Vorschlag zum Kompromiss: Sie bekommt die Schlüssel zu einer deiner Wohnungen. Die Wohnung bleibt in deinem Besitz, wir schauen nach Sozialarbeitern, die ihr helfen, wieder auf die Beine zu kommen und warten ab, wie es sich entwickelt. Wie klingt das?" Jule dachte nach. Die Idee klang nicht verkehrt, ganz im Gegenteil. „Okay. Das ist in Ordnung. Kriegen wir das heute noch hin, sie in die Wohnung zu bringen?" „Nun Jule, eigentlich bin ich hier, damit Mister Marshall deine Möbel schätzen kann für die Versteigerung..." „Dafür braucht er weder dich, noch mich. Die Möbel stehen hier rum und laufen nicht weg, und Martha kann dabei bleiben." Leicht genervt seufzte Gregory. „Musst du eigentlich immer so mit dem Kopf durch die Wand, Jule?"
Nur eine dreiviertel Stunde später standen sie in der Wohnung in 41 Wooster Street in Lower Manhattan. Leanne sah sich ungläubig um, bewegte sich vorsichtig, als hätte sie Angst, etwas kaputt zu machen, wenn sie auch nur zu laut atmete, während Pepper begeistert durch alle Räume lief und seiner Freude durch Schwanzwedeln und lautem Bellen Ausdruck verlieh. „Pepper, still! Komm her!!" versuchte Leanne ihn zu beruhigen. „Leanne, hier kannst du bleiben. Das ist dein neues zu Hause!" freute sich Jule, Gregory stand indes nur daneben und schüttelte kaum sichtbar mit dem Kopf. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.... Danke Jule!" Leanne begann zu weinen, „entschuldige... ich weiß nicht, wie ich das wieder gut machen soll." „Musst du ja auch gar nicht" erwiderte Jule, als sie in die Küche lief, die Lebensmittel einräumte und den Kühlschrank einschaltete. Während sie die Dosen mit dem Hundefutter wie eine Pyramide auf der Arbeitsplatte stapelte, hörte sie wie Gregory sich räusperte und das Wort ergriff. „Also,... Miss...äh... Leanne. Diese Wohnung beläuft sich auf 60 Quadratmeter, aufgeteilt in zwei Räume, Bad und Küche. Das Bad hat auch eine Wanne..." er baute eine kurze Pause ein und sah Leanne dabei zu, wie sie sich von Pepper durch das Gesicht schlecken ließ, „...und der Herd in der Küche ist gasbetrieben. Außerdem ist sie voll ausgestattet. Der Hausmeister wohnt im Erdgeschoss, falls sie Fragen haben." „Vielen vielen Dank!" antworte Leanne, stand auf und umarmte den überrumpelten Gregory. Jule sah amüsiert dabei zu, wie er sich währenddessen komplett versteifte und ihr unbeholfen auf die Schulter klopfte. „Brauchst du jetzt noch was, Leanne?" fragte Jule, und Leanne verneinte vehement. „Du hast schon mehr getan als ich jemals für möglich gehalten hätte!" „Und ist es okay für dich, wenn demnächst mal jemand vorbei kommt, um nach dir zu sehen?" „Von mir aus. Ich habe nichts zu verbergen." „Na, dann ist doch alles super! Wir müssen jetzt zurück. Ich habe dir meine Nummer aufgeschrieben, melde dich wenn du was brauchst." Triumphierend sah Jule zu Gregory herüber, der nur skeptisch zurückblickte.
Kurz darauf saßen Greg und Jule im Wagen zurück nach Gramercy. „Richard, würdest du gleich bitte den Wagen reinigen lassen? Hier riecht es nach Hund!" „Lohnt sich wohl kaum, du fährst ja jeden Tag mit dem Wagen" schoss es aus Jule heraus, und Gregory blickte sie wütend an. „Jule, es kann nicht jeder deiner Meinung sein. Ich glaube, du begehst hier einen großen Fehler." „Und warum?? Was sind denn deine Befürchtungen? Ich höre die ganze Zeit, dass ich einen Fehler mache, aber du sagst nie, warum? Was soll denn geschehen?" „Jule, mit einer Wohnung ist es nicht getan. Eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft benötigt so viel mehr als nur ein Dach über den Kopf, sie braucht ein regelmäßiges Einkommen, eine Krankenversicherung..." „Aha, Wer sagt denn, dass sie sich wieder eingliedern will, Greg? Vielleicht möchte sie das gar nicht?" „Achso... aber deine Wohnung nimmt sie gern? Ohne dafür etwas leisten zu müssen? Ist das deine Idee einer besseren Welt, Jule?" „Weißt du denn, was sie bereits in ihrem Leben geleistet hat? Oder wie sie in diese beschissene Situation geraten ist?" „Nein, du denn?" „Nein, noch nicht, und selbst, wenn sie nichts ‚geleistet' hat - ist das nicht egal? Woran wird denn bemessen, was ein Mensch verdient? Müssen sie erst irgendetwas geleistet haben, bevor sie ein Dach über den Kopf verdient haben?" „Zumindest müssen sie es sich ja wohl leisten können, oder?" „Nun, wenn acht der reichsten Menschen der Welt so viel Kohle besitzen wie die drei Milliarden ärmsten Menschen der Welt, dann könnte man sich schon fragen, ob Leistung nicht etwas... falsch bemessen wird." „Jule, das geht jetzt wohl ein bisschen am Thema vorbei!" „Ach. Findest du?" Entnervt beendete Gregory die Diskussion, wissend, dass sie sowieso nicht auf einen Nenner kommen würden. „Meine Mitarbeiter suchen nach den passenden Sozialarbeitern für Leanne. Wenn irgendetwas passiert, bist du dafür verantwortlich, Jule. Ich will nichts damit zu tun haben." „Von mir aus."
Eine Woche später wurden die Möbel aus Jules Appartement abgeholt, und nach nur einer Stunde war die Wohnung so gut wie leer. Jule hatte vereinbart, dass die gesamte Summe aus der Möbelversteigerung an United Way of New York City gespendet werden sollte, einer Vereinigung, die sich um verarmte New Yorker kümmerte.
Zufrieden saß Jule in der noch verbliebenen Küche und trank Kaffee, während Martha geschockt dabei zusah, wie alles aus dem Appartement verschwand. „Jule, warum hast du das getan? Ich verstehe das nicht. Das waren doch alles so schöne Möbel...." Kopfschüttelnd trank Martha den letzten Schluck aus ihrer Tasse. „Martha. Es waren auch schöne Möbel, das bestreite ich ja nicht... aber ich möchte mich nicht länger wie ein Gast in meiner eigenen Wohnung fühlen. Ich mag die Wohnung mittlerweile. Aber ich möchte..." Marthas Gesicht hellte sich zunehmend auf, während Jule sprach. „Du möchtest ankommen!" rief sie fast schon aus, und Jule sah sie kurz schweigend an. „Das stimmt wohl."
„Miss Kaufmann, wir wären dann so weit!" Einer der Möbelschlepper kam auf sie zu und hielt ihr ein Klemmbrett entgegen, auf dessen Blatt die abgeholten Möbel aufgelistet waren. Jule unterschrieb, gab dem Mann noch ein Trinkgeld und verabschiedete ihn. Begeistert lief sie durch die nun fast leere Wohnung, gefolgt von ihrer Haushälterin. „Du meine Güte. So groß ist das alles hier!" sagte sie erstaunt, als Beide beim letzten Zimmer angekommen waren. „Ja oder? Ich muss mal überlegen, was ich aus den Zimmern mache..." „Mir drängt sich da nur eine Frage auf, Jule." „Was denn?" „Wo schläfst du jetzt eigentlich?" Beide blickten auf die nun leere Stelle neben der Kommode, wo bisher das King Size Bett stand. „Oh. Verdammt."
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rich & broken
FanfictionJule Kaufmann, 30 Jahre, ist am Ende. Sie kifft und trinkt zu viel, ist notorisch pleite, steht kurz davor, aus der Wohnung zu fliegen und verdient sich ihren Lebensunterhalt als kleine Straßendealerin. So weit, so bescheiden - bis eines Tages ein f...