Teil 19

42 3 0
                                    

„Was war denn jetzt eigentlich los mit deinem freundlichen Besuch vorhin?" Jule sah sich in Fallons Büro um und betrachtete jedes Bild an den Wänden, während Jimmy am Schreibtisch saß und irgendetwas am Laptop arbeitete. „Ach weisst du..." murmelte er vertieft Richtung Laptop. Verwundert wandte sie sich um. Jimmy hatte seinen Kopf auf einer Hand abgestützt, während die andere lustlos mit der Maus über den Bildschirm fuhr. „Was denn? Kein Bock drüber zu reden?" Jule hüpfte auf den massiven Schreibtisch und schlug die Beine übereinander. „Ich weiß nicht. Ich habe keine Lust, mir die Laune verderben zu lassen." „Nee, stimmt schon. Das hatte sie ja vorhin bei dir zu Hause noch nicht geschafft. Dir schien förmlich die Sonne ausm Arsch." Etwas entrüstet sah Fallon zu Jule hoch. „Ich bin gleich auf Sendung, Jule... was soll ich sagen?" „Naja... ich dachte, ich wäre genau deswegen mitgekommen?" Fragend blickte sie Jimmy an, der sich in seinem Bürostuhl zurücklehnte, die Arme hinter seinem Kopf verschränkte und sie herausfordernd ansah. „Ach...? Und wenn ich einfach nur wollte, dass du mitkommst? Um meine Laune zu heben?" „Nun... wenn das so ist, Fallon...." Übermütig rutschte sie seitlich in die Mitte des Schreibtisches, Fallon saß nun direkt vor ihr. „....da kann ich mit Sicherheit Abhilfe schaffen." Fallon hob beide Augenbrauen und ließ die Arme sinken, überrumpelt von der plötzlichen Nähe und der Tatsache, dass sie ihn mit dem Stuhl zu sich heran rollte. Lächelnd beugte sie sich vor, sah Jimmy tief in die Augen und zog ihn am Kragen zu sich heran, legte eine Hand in seinen Nacken und ihren Mund hautnah an sein Ohr. „Du willst Aufmunterung.... Kein Problem, Fallon" hauchte sie mehr als sie sprach und bemerkte die Gänsehaut an seinen Armen. „Bist du bereit...?" flüsterte sie erneut, strich dabei mit ihren Fingernägeln durch seinen Nacken. „Was... Jule, was machst du??" erwiderte er, seine Stimme klang brüchig, er wusste nicht, wohin mit seinen Händen. „Dich aufmuntern.... Also: Treffen sich zwei Wellen im Atlantik. Sagt die eine: Ich glaub ich muss gleich brechen." Lächelnd ließ sie von ihm ab, rutschte vom Schreibtisch und setzte sich in den Stuhl ihm gegenüber. Jimmy starrte sie mit offenem Mund an, Jule sah, wie sich sein Brustkorb stärker als sonst hob und sank, und als er gerade das Wort ergreifen wollte, klopfte es und die Bürotür öffnete sich. „Hey Jimmy, noch 45 Minuten, Zeit dich in den Anzug zu werfen.... Oh, du hast Besuch. Hi!" Der Typ trug langes braunes Haar, eine Mütze und ein unfassbar buntes Hemd. Er kam auf Jule zu und reichte ihr die Hand. „Ich bin Mike." „Hi, ich bin Jule", erwiderte sie. „Jule, das ist Mike DiCenzo, mein Headwriter. Mike, das ist Jule Kaufmann... meine... neue Nachbarin." Fallon räusperte sich, blieb aber sitzen und lehnte sich an einem der Armlehnen zurück. „Oh, alles klar. Willkommen im 30 Rock, Jule. Wenn du etwas brauchst, sag Bescheid. Du kannst dir die Show gern hier im Büro oder mit uns zusammen in der Aufnahmeleitung ansehen, wenn du möchtest." Jule lächelte. „Das ist sehr cool, danke." „Okay, dann bis gleich. Jimmy, wir sehen uns gleich im Studio, ja?" Mike sah so aus, als erwarte er, dass Jimmy nun endlich aufstehen würde, um zur Garderobe zu gehen. „Ja Mike. Bis gleich!" Irritiert verließ Mike das Büro. Amüsiert sah sie zu Jimmy. „Alles okay?" „Das... gerade.. Jule, spinnst du??" „Nicht lustig?" Sprachlos blickte er sie an, schüttelte leicht mit dem Kopf, um dann ungläubig zu lachen. „Was zur Hölle ist in dich gefahren??" „Komm schon Jimmy... du sahst aus wie ein Häufchen Elend. Ich wollte dich nur aufmuntern... bin ich zu weit gegangen?" Endlich erhob er sich und lief um den Schreibtisch herum, blieb vor ihr stehen. „Vielleicht ja nicht weit genug. Ich muss jetzt in die Garderobe. Ich bringe dich noch zu Mike." Mit diesen Worten verließ er das Büro, und verwundert folgte Jule ihm.

Das Studio war nicht so groß, wie sie dachte. Jule fiel auf, dass sie tatsächlich noch immer keine einzige Show von Fallon gesehen hatte, selbst nachdem er ihr mitgeteilt hatte, was er beruflich macht. Aufgrund der Ereignisse in den letzten Wochen hatte sie den Kopf sowieso ganz woanders. Heute war der erste Tag nach langer Zeit, an dem sie sich gedanklich mal nicht mit ihrer Familiengeschichte auseinandersetzte, und sie war ganz dankbar für die Ablenkung. Staunend betrachtete sie das geschäftige Treiben, überall hantierten Menschen an irgendetwas herum. Lichtproben wurden durchgeführt, mehrere Kameras durch die Gegend gerollt, irgendjemand wischte den Boden. Jule sah etwas auf Selbigem liegen und lief zu dieser Stelle, um festzustellen, dass es ein goldenes, vierblättriges Kleeblatt war, das auf dem glänzenden Boden klebte. Sie holte ihr Telefon hervor und schoss ein Foto vom Kleeblatt. „Na, auch Irlandfan?" Erschrocken blickte sie auf. Mike stand lächelnd vor ihr und deutete auf das Kleeblatt. „Oh... achso... Ich finde das einfach nur... hübsch." „Von all den Dingen, die hier im Studio vor sich gehen, findest du dieses kleine Kleeblatt. Du schaust häufiger die Show, oder?" Prüfend musterte Mike Jule, welche seinem Blick standhielt. „Also, um ehrlich zu sein – nein. Ich wusste nicht mal, wer er ist. Jimmy und ich wohnen nebeneinander. Ich habe die Sendung noch nie gesehen." Mike war sichtlich erstaunt. „Also das ist abgefahren." „Findest du?" „Schon. Es gibt wohl kaum jemanden in New York, der Jimmy nicht kennt. Also als Showmaster. Kommst du mit mir hoch?" Mike deutete eine einladende Bewegung treppaufwärts an und lief vor, Jule folgte ihm in die Aufnahmeleitung. Dort angekommen, stellte er ihr kurz die anderen Mitarbeiter vor, und Jule war davon überzeugt, sich nicht einen Namen merken zu können. „Und du bist aus Deutschland oder? Zumindest ordne ich deinen Akzent so in die Richtung ein" stellte Mike fest. „Ja, stimmt." „Jimmy hat in Deutschland auch eine beeindruckende Fanbase." „Ist das so?" Mike lachte. „Okay, du hast tatsächlich keine Ahnung, was wir hier machen, oder?" „Nö." Nun lachte er ausgiebig, Jule kam nicht umhin, mitzulachen. „Sorry, das kommt vielleicht seltsam rüber. Aber ich finde es erfrischend, mal jemanden hier zu haben, der keine Ahnung hat von dem, was wir hier tun." „Gern geschehen", lachte Jule, als Fallon den Glaskasten betrat. Er war mittlerweile umgezogen, trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und gestreifter Krawatte. „Habt ihr Spaß?" fragte er lächelnd in die Runde, und die meisten Anwesenden redeten durcheinander auf ihn ein. Jule indes musterte Jimmy von oben nach unten und stellte fest, dass er fantastisch im Anzug aussah – gepaart mit dem zersausten Haar und dem wachen Blick. Verwirrt schüttelte Jule den Kopf. „Ähm.. ja klar. Von hier oben hat man alles im Blick. Spannend!" „Schön. Die Gäste kommen jetzt rein, denke ich", erwiderte Jimmy, „ich bin backstage. Willst du hier bleiben?" „Joa, schon." „Alles klar. Viel Spaß, ich denke wir sehen uns nach dem Taping." Fallon nickte kurz und verließ den Raum, um sich in den Backstage Bereich zu begeben. Er bewegte sich ganz anders im Anzug, wirkte souverän und selbstsicher. Lang blickte sie ihm hinterher, denn vor noch nicht allzu langer Zeit waren „Anzugträger" für Jule das Allerletzte, Kapitalistenschweine und arrogante Geldgeier, die nur an sich dachten. Nie im Leben hätte sie sich mit „so jemanden" eingelassen. Das alles war jetzt jedoch das Letzte, was sie über Jimmy denken würde – ganz im Gegenteil, es waren ganz andere Gedanken, die sie umtrieben, und Jule wusste nicht, was sie verstörender finden sollte: Die Tatsache, dass auch sie sich nicht vom einseitigen Schubladendenken freisprechen konnte, oder dass sie sich insgeheim fragte, was Mister Fallon wohl noch für Qualitäten besaß...

rich & brokenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt