6. Eine gute Aussicht

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"Rose!" Ich wache langsam auf, drehe mich im Bett um und sehe auf meine Taschenuhr. Irgendjemand steht vor meiner Tür und hämmert wie wild auf ihr herum. "Wer ist da?", frage ich halb verschlafen. "Ich bin es, Jacob." "Jacob? Was machst du hier um halb vier morgens?" "Hat Evie dir nicht gesagt, dass ich dir heute die Stadt zeige?" "Doch, aber wieso so früh?" Ich drehe mich wieder um und ziehe die Decke über meinen Kopf. "Jetzt komm schon raus da. Ich gebe dir zehn Minuten, wenn du bis dahin nicht fertig bist, ziehe ich dich aus dem Bett, ok?" Ich will zwar immer noch nicht aufstehen, aber ich glaube, jetzt aufstehen ist immer noch besser als aus dem Bett gezogen zu werden. Also stehe ich auf und ziehe mich an. Sieben Minuten später bin ich fertig und gehe in Jacobs Waggon. "Sieh mal einer an, wer es doch noch geschafft hat auf zu stehen. Dachte schon ich muss dich wirklich aus deinem Bett schmeißen." Er fengt an zu lachen, bekommt von mir aber nur ein verschlafenes Grummeln. Wir fangen an Richtung Themse zu gehen. "Und was willst du mir jetzt so früh zeigen?", frage ich immer noch sehr verschlafen. Er sieht mich mit einem Lächeln an, sagt aber nichts. Wieso habe ich mir das nicht gleich gedacht. Wäre ja mal was ganz Neues, wenn er antworten würde, also folge ich ihm einfach. Wir überqueren die Themse und sind nun im Bezirk Westminster. Hier sind fast nur vornehme Leute, aber das ist kein Wunder, wenn die Queen hier wohnt. Ein paar Straßen weiter sind wir auch schon beim Big Ben. Ich wollte schon immer mal hier her und jetzt bin ich wirklich hier.
Plötzlich fühle ich wieder nur, wie ich vom Boden abhebe, meine Augen schließe und mich sofort fest an Jacob anhalte. Oben öffne ich wieder meine Augen. Die Aussicht ist wunderbar und wir kommen genau rechtzeitig für den Sonnenaufgang. Ich stehe mit offenem Mund da und kann nichts anders tun, als zu staunen. Jacob stellte sich nun auch neben mich und meint: "Es war also doch gut, dass ich dich so früh aufgeweckt habe." Ich lache und gebe ihm einen leichten Schlag auf die Rippen. Ich muss zugeben es war eine sehr gute Idee von ihm. "Und wo geht es als nächstes hin?" "Ich kenne noch einen Ort, den ich dir unbedingt zeigen muss. Komm mit." Wir machen beide einen Todessprung hinunter und laufen dann weiter. Es geht wieder auf die andere Seite des Flusses und in den Bezirk Southwark. Der Weg ist dieses Mal nicht so weit. Nach ein paar Minuten sind wir bei der Waterloo Station und bevor ich irgendetwas sagen kann, zieht uns Jacob auch schon wieder nach oben. Es ist unglaublich, dass dieses Dach nur aus Glas und ein paar Stahlträgern besteht. Ich habe so etwas nicht mal bei dem Besuch in New York gesehen, den meine Familie und ich gemacht haben, als ich noch klein war. Bei dem Gedanken an meine Familie werde ich jedoch plötzlich ein wenig traurig und eine Träne fließt meine Wange hinunter. Ich versuche mein Gesicht vor Jacob zu verstecken, aber es ist zu spät. Er bemerkt es und legt eine Hand um mich. "Ist alles ok bei dir?" "Ja, ich musste nur gerade an meine Familie denken. Ich vermisse sie sehr." Er sagt nichts, aber das macht nichts, denn es entsteht dadurch sogar eine sehr angenehme Stille. Nach ein paar Minuten holt Jacob plötzlich eine Schachtel aus seinem Mantel und meint: "Ich habe hier etwas, das dich vielleicht wieder aufmuntert." Ich sehe ihn ein wenig verwirrt an und nehme die Box in meine Hand. Wieso gibt er mir einfach so ein Geschenk. Naja, egal. Ich öffne die Box und kann meinen Augen nicht glauben. "Jetzt kannst du selber jederzeit, wo auch immer du willst, hinauf", sagt er während ich mein Geschenk begutachte. Es ist ein Seilwerfer, genau wie der von Jacob. Ich bringe ihn sofort an meinem Assassinen-handschuh an. Passt perfekt. Ich drehe mich zu Jacob und umarme ihn. "Danke." Doch noch bevor er etwas sagen kann löse ich mich von ihm und verstecke mein leicht rot gewordenes Gesicht. Ich glaube er hat nichts davon bemerkt, denn kurz darauf fordert er mich zu einem Wettrennen zum Zug auf. Ich stimme sofort zu und beginne zu laufen, um mir einen kleinen Vorsprung zu holen und mit meinem neuen Werkzeug katapultier ich mich gleich auf das nächste Haus.
Leider holte mich Jacob ein und als ich zum Zug komme wartet er schon und sagt: "Ich war schneller, also was ist mein Preis?" "Was hast du dir denn da so vorgestellt?" "Triff mich heute Abend in dem Pub, in dem wir vorgestern waren, dann wirst du es wissen." Und noch bevor ich antworten kann ist er schon in seinem Abteil verschwunden. Er ist doch wirklich ein seltsamer Mann, aber genau das ist es, was ihn so interessant macht. Ich steige auf den Zug und gehe in das Arbeitszimmer. Evie ruht sich dort gerade aus und trinkt eine Tasse Tee. Sie fragt mich ob ich auch eine Tasse möchte und ich stimme zu, setze mich neben sie und frage: "Und, was hast du heute so getan?" Eigentlich will ich es gar nicht hören. Wahrscheinlich hat sie nur wieder weiter nach dem Edensplitter gesucht und das interessiert mich überhaupt nicht. Ich frage mich viel mehr, was Jacob heute Abend wieder mit mir vorhat. Ich weiß ich sollte Evie zuhören, natürlich nur aus Höflichkeit, aber ich konnte nur noch an Jacob denken. Ich stehe auf, entschuldige mich bei Evie und gehe dann in meinen Waggon. Evie sieht mir verwirrt hinterher, aber das kümmert mich kein bisschen. In meinem Waggon, entscheide ich mich noch ein wenig auszuruhen. Man weiß ja nie, was Jacob so mit einem vor hat. Ich frage mich ob die Rooks auch dort sein werden oder ob er sie auf irgendeine Mission geschickt hat. Aber das werde ich wohl alles erst heute Abend erfahren.

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