1. Kapitel (Tobias)

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Knüpft direkt an das letzte Kapitel von "Die Bestimmung - Letzte Entscheidung" an

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»Ich bin nicht wichtig. Die anderen werden sehr gut ohne mich zurechtkommen.« Ich schwinge mich in den Waggon und lehne mich schwer atmend gegen die Wand.

»Du würdest bestimmt zurechtkommen. Vielleicht nicht gleich, aber du würdest weitermachen und tun was du tun musst.«

Ich schließe die Augen.

Vielleicht nicht gleich, aber du würdest weitermachen und tun was du tun musst.

Ich höre ihre Stimme – ihre Worte in meinem Kopf wiederhallen. Sie sagte es zu mir, als sie sich entschloss, zu den Ken zu gehen. Als sie sich entschloss zu Sterben ...

Weitermachen. Das ist jenes, was ich mir jeden Morgen aufs Neue sage. Es hört sich so leicht – so einfach an. Gestern habe ich den ersten Schritt gewagt. Ich habe ihre Asche verstreut. Ich habe sie gehen lassen – oder zumindest einen Teil von ihr. Doch als ich heute Morgen aufgewacht bin, hat die Tatsache, dass sie nun endgültig fort ist, mich so sehr erdrückt, dass ich einfach losgerannt bin und mich in den nächsten Zug geschwungen habe.

Die Häuserblöcke ziehen an mir vorbei und in der Ferne beobachte ich, wie langsam die Sonne aufgeht. Sie taucht den Horizont in ein warmes orangenes Licht. Ich springe vom Zug ab und lande stehend auf dem harten Betonboden. Ich sehe dem Zug hinterher, wie er dem Weg folgt, welche die Gleise für ihn festgelegt haben. Staub wirbelt auf. Staub. Das ist alles was sie jetzt ist. Bei dem Gedanken wird mir schlecht und ich zwinge mich an etwas anderes zu denken.

Ich befinde mich auf dem Dach, wo früher die erste Initiationsprüfung stattfand. Normalerweise würde ich mich nicht einfach so hier hoch trauen, doch heute ist in mir alles so taub, dass mir die Höhe nichts ausmacht. Langsam schreite ich über den Kies bis hin zur Dachkante.

Als ich das erste Mal hier oben stand, war ich vollgepumpt mit Adrenalin und dem Triumph meinem Vater mit meiner Wahl ein Messer ins Herz gerammt zu haben. Ich wusste nicht, ob dies meine richtige Entscheidung gewesen war, doch ich konnte nichts mehr rückgängig machen. Hätte ich mich an diesem Tag anders entschieden, wie wäre mein Leben dann verlaufen? Wäre ich bei den Altruan geblieben und wäre von Jeanines Marionetten erschossen worden? Wäre ich vielleicht zu den Amite gegangen, hätte ein friedliches Leben geführt und mich aus jeglichem Kriegen herausgehalten? Ich werde es wohl nie erfahren. Doch eins steht fest: Hätte ich mich damals anders entschieden und wäre nicht zu den Ferox gegangen, hätte ich niemals Tris kennengelernt. Ich wäre niemals der geworden, der ich heute bin. Aber wer bin ich denn überhaupt noch ohne sie? Schließlich war sie der einzige Mensch, der mir je wirklich etwas bedeutet hat und dem ich etwas bedeutet habe. Sie war der Grund, dass ich nicht alles hingeschmissen habe, dass ich weitergekämpft habe, doch jetzt ist sie fort und ich weiß nicht mehr wofür es sich noch zu kämpfen lohnt.

Ich atme tief ein und mache einen Schritt nach vorne. Ich falle und der Wind bläst mir um die Ohren. Es ist schrecklich, doch ich ignoriere meine Angst, da sie so gering gegenüber der Leere in mir ist, dass sie keine Chance hat die Oberhand über mich zu gewinnen. Ich schlage mit dem Rücken auf dem Netz auf und werde wieder nach oben gefedert. Ich warte, bis ich wieder ruhig liege, dann krieche ich zum Rand und lasse mich auf die Füße fallen. Meine Hände zittern, doch ich vergrabe sie in meinen Hosentaschen und gehe einfach weiter.

»Erste Springerin: Tris!«

Schon bei ihrem ersten Anblick erinnerte sie mich an mich selbst. Sie wollte ihre Altruankleider ablegen und zur Ferox werden. Sie wollte gewinnen und den anderen Beweisen, was in ihr steckt. Doch auch sie bemerkte irgendwann, dass die grauen immer noch unsere besten Kleider sind. Sie sind das Beste, was wir haben. Und letztendlich brachten sie sie zu ihrem Opfer. Sie brachten ihr ihren Tod ...

Die Bestimmung - Letzte AngstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt