11. Kapitel (Tris)

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Ich schlage die Augen auf.

Der Boden unter mir ist hart und wackelt. Ich rapple mich auf und realisiere, wo ich mich befinde. Ein Ferox-Zug.

Das Abteil ist leer, außer mir ist hier niemand. Ich klopfe mir den Staub von der Hose und spähe aus der geöffneten Tür. Die Stadt zieht an mir vorbei. Das Ganze fühlt sich so ungeheuerlich echt an, dass es mir schwer fällt zu glauben, dass ich mich in einer Simulation befinde – doch irgendwo hier in der Nähe muss Christina sein.

Ich beuge mich aus dem Waggon und versuche in den anderen Wagen vor mir hinein zu linsen. Doch es scheint so als wäre er ebenfalls leer. Ich drehe mich um und überprüfe den Waggon hinter mir und tatsächlich – sie sitzt am Rand des Zugabteils und lässt die Beine herausbaumeln. Ihr Blick ist stur nach unten gerichtet und ihr Haar fällt ihr so ins Gesicht, dass ich ihre Augen nicht erkennen kann, doch ich bin mir sicher, dass sie es ist.

»Hey«, rufe ich in der Hoffnung, dass ich den Lärm der ratternden Schienen übertöne. »Christina!«

Sie blickt auf und als sie ihr Gesicht mir zuwendet, sehe ich ihr blasses eingefallenes Gesicht. Ihre Augen sind glasig und ihre Lippen spröde. Sie starrt mich an und kneift die Augen zusammen.

»Wer bist du? Was willst du von mir?«, schreit sie und ihre Stimme ist heiser und rau.

»Ich bin es. Tris!«, antworte ich laut, während meine rechte Hand sich an den Türgriff klammert.

»Wer?«, schreit sie zurück und schüttelt den Kopf. So hat das Ganze keinen Zweck. Ich muss zu ihr.

Es ist nur eine Simulation, rufe ich mir ins Gedächtnis und nicke zuversichtlich. Es ist nicht gefährlich.

Mit der linken Hand klammere ich mich an die Tür und mit der rechten greife ich nach einer hervorstehenden Metallstange. Ich taste mich mit einem Fuß auf einen leicht herausragenden Vorsprung und ziehe vorsichtig den anderen nach. Jetzt umklammere ich mit beiden Händen die Metallstange.

»Bist du verrückt?!«, kreischt Christina und springt auf. Ich atme tief ein und schwinge mich zu einem kleinen Fenster, an dessen Sims ich mich festkralle. Meine Finger bohren sich schmerzhaft in das Metall. Der Zug fährt auf eine Brücke und unter mir geht es mindestens fünf Meter runter. Jetzt kommt der schwierigste Teil – ich muss auf den hinteren Wagen gelangen.

Ein Ruck geht durch den Zug. Meine Füße rutschen von dem schmalen Rand. Ich kralle mich so sehr es geht an dem Fenstersims fest und werde hart gegen die Wand geschleudert. Ich schreie mit zusammen gebissenen Zähnen, als meine Füße hilflos in der Luft herum baumeln.

»Ich schaffe das! Es ist nur eine Simulation«, flüstere ich mir zu. Langsam taste ich mich an der Wand entlang und suche nach der nächsten Festhaltemöglichkeit. Ich finde eine lose Metallplatte, die sich qualvoll in meine Handfläche schneidet – ich umfasse sie mit beiden Händen. Jetzt bin ich nahe genug am nächsten Waggon, um mich rüber zu hangeln. Ich beiße die Zähne zusammen und schwinge meine Füße auf das Gerüst, welches beide Abteile miteinander verbindet. Mit den Armen hangele ich mich zur Tür des hinteren Waggons. Christina starrt mich fassungslos an. Ich fasse nach dem Türgriff und mit einem Sprung lande ich neben ihr. Ich lehne mich gegen die nächste Wand und sinke langsam zu Boden. Mein Herz rast und mein Gehirn ist voll mit Adrenalin. Es ist furchtbar und gleichzeitig liebe ich es.

»Du bist eine Ferox, oder?«, fragt Christina mich.

»Sowas in der Art«, murmele ich und stehe auf. Ich trete ihr gegenüber und betrachte sie von oben bis unten. Sie ist dünn, ihr Haar ist zerzaust und ihr Blick abwesend – und dann dämmert mir das eigentlich Offensichtliche – sie wurde resetet.

Die Bestimmung - Letzte AngstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt