20. Kapitel (Tris)

257 16 21
                                    

»Vielleicht hat ihn irgendwer mitgenommen«, sagt Caleb gerade, als plötzlich ein Schrei ertönt. Ich horche auf. Es ist weder Zeke, noch Tobias – trotzdem könnte es etwas mit ihrem Verschwinden zu tun haben.

»Folgt mir«, zische ich und renne los. Vielleicht konnte Tobias unseren Verfolger doch nicht abschütteln – wer es auch war, der da geschrien hat – ich muss ihn finden. Kurz vor der nächsten Ecke werde ich langsamer und deute Matthew und Caleb stehen zu bleiben.

»Lass ihn los!« Tobias. Etwas tief in mir drinnen entspannt sich. Er lebt noch. Seine Stimme ist ruhig, doch man hört seine Anspannung heraus. Irgendetwas stimmt da nicht. Ich biege mit erhobener Waffe – den Finger auf dem Abzug – um die Ecke. Schnell durchschaue ich die Situation. Ohne zu zögern, schieße ich auf die Schulter des Mannes, der Zeke im Würgegriff hat – denn, wenn ich erst mal länger darüber nachdenken würde und mir bewusst wird, dass ich ein Loch in einen Menschen schieße, würde ich ewig hier stehen, bis es zu spät ist. Der Mann hat nicht mit mir gerechnet und Zeke schafft es sich zu befreien. Aus seiner Nase fließt Blut und es ist ihm gelungen es über sein ganzes Gesicht zu verteilen. Er ringt den im Gegensatz zu ihm riesigen Typen zu Boden und nimmt ihm die Pistole ab.

»Vielleicht erinnern Sie sich jetzt an meinen Namen«, zischt er und sieht zu mir auf. Der Mann stöhnt auf und will sich wiederaufrichten, doch Zeke stellt seinen Fuß auf dessen Brust und drückt ihn zurück auf den Boden.

»Guter Schuss«, sagt Tobias und kommt zu mir. »Alles okay bei dir?«

»Alles gut«, antworte ich und strecke die Hände nach ihm aus. Doch als ich ihn an der Seite berühren will, fällt mir sein blutdurchtränktes Shirt auf.

»Was ist passiert?«, frage ich erschrocken.

»Ist nur ein Kratzer. Eine Kugel hat mich gestreift«, sagt er und legt mir beruhigend eine Hand auf die Schulter.

»Ganz schön viel Blut für nur ein Kratzer«, erwidere ich, doch er versichert mir, dass es ihm gut geht. Caleb und Matthew kommen zögernd hinter der Ecke hervorgekrochen. Matthew hält den Karton voll mit Verband und Schmerzmittel fest an sich gedrückt und sieht erst von mir zu Zeke und dem sich am Boden krümmenden Mann.

»Was ist passiert?«, fragt Matthew verwirrt.

»Zeke meinte, er müsse sich mit einem zwei Köpfe größerem Wachmann anlegen«, sagt Tobias, wofür Zeke ihn einen abfälligen Blick zuwirft.

»Das war nicht mein Plan. Ich habe Stimmen gehört und da bin ich in den nächstbesten Flur geflüchtet und diesem netten Kerl hier, direkt in die Arme gelaufen«, erwidert Zeke und klopft dem Mann auf die Schulter. »Es war wirklich nett Sie kennenzulernen, aber ich denke wir müssen jetzt los.«

Tobias sammelt zwei Waffen vom Boden auf, steckt eine ein und hält die andere Matthew hin.

»Nein. Auf keinen Fall!«, widerspricht Matthew und schüttelt wild den Kopf. »Ich kann damit nicht umgehen.«

»Aber falls wir nochmal in so eine Situation kommen –«, fängt Tobias an.

»Nein. Ich will das nicht. Bitte zwing mich nicht dazu.«

»Mach ich nicht. Es ist nur zu deiner eigenen Sicherheit, aber wenn du nicht willst, dann nehme ich sie«, sagt Tobias und sieht Matthew ein letztes Mal fragend an, doch dieser schüttelt immer noch den Kopf.

Früher hätte ich auf die Frage genauso reagiert wie er. Ich hätte mich strikt geweigert einen Gegenstand in die Hand zu nehmen, der Menschen umbringt. Vor allem nach der Sache mit Will, war es für mich unmöglich gewesen diese Waffe anzunehmen. Doch die Dinge haben sich geändert. Ich hatte zu oft keine Wahl. Wenn ich überleben oder meine Freunde beschützen wollte, musste ich schießen. Ich musste den Abzug drücken und den Rückschlag standhalten. Ich musste mitansehen, wie ich Menschen verletzte. Und das schaffe ich nur, wenn ich jegliches Gewissen in diesen Augenblicken abschalte. Mich nur auf die Technik konzentriere und nicht darüber nachdenke, was ich eigentlich gerade tue. Dies ist eine Fähigkeit, die ich an meisten an mir hasse – aber sie hält mich und die Menschen, die ich liebe am Leben.

»Wollt ihr ihn etwa hier einfach so liegen lassen?«, fragt Caleb skeptisch und zeigt auf den sich am Boden windenden Mann. Es ist befremdlich Caleb sprechen zu hören. Die letzten Stunden hat er kaum ein Wort rausgebracht und ganz plötzlich wollte er sich an unseren Aktionen beteiligen. Ich weiß nicht, was er damit erreichen will. Er steht nur im Weg.

»Ich denke, wir haben keine andere Wahl. Wir müssen so schnell wie möglich weiter«, sage ich, ohne Caleb eines Blickes zu würdigen. »Sie sind uns sowieso auf der Spur, da hilft ihnen die Aussage von dem Typen auch nicht viel weiter.«

Zeke gibt seinem erfolgreich geschlagenen Gegner frei, streicht dessen Jacke glatt und folgt uns dann in Richtung der Laboratorien.

Wir bewegen uns schnell und Caleb hat Probleme mit uns Schritt zu halten. Matthew hat ihm den Karton in die Hand gedrückt und läuft mit mir ganz vorne. Tobias folgt uns und sorgt für Rückendeckung, während Zeke immer noch verzweifelt versucht sein Gesicht von Blut zu befreien, doch es wird immer mehr. Matthew führt uns zu einem Labor, was den mir bereits bekannten sehr ähnelt. Allerdings ist dieses hier mit deutlich mehr Seren ausgestattet. Ganze Schränke voll. Tobias und Zeke warten vor der Tür, indessen betreten Matthew, Caleb und ich den Raum. Zügig beginnen wir die Regale zu durchsuchen, bis Matthew das entsprechende Serum findet.

»Ich hab's«, ruft er und zieht ein schmales kleines Röhrchen hervor. Ich greife nach einer Spritze, welche auf einen der Labortische liegt und überreiche sie Caleb, damit er sie sicher verstauen kann. Schnell machen wir uns wieder auf den Rückweg. Die Gänge sind leer von Wachen, trotzdem wiegen wir uns nicht in Sicherheit. Da Matthew sich hier sehr gut auskennt, leitet er uns durch kleinere Gassen, bei denen es unwahrscheinlicher ist, entdeckt zu werden. Wir kommen an verlassenen, nach außen hin verglasten Büros vorbei und an mehreren Schildern mit der Aufschrift Richtung Terminal 1 oder Terminal 3. Auch hier liegen überall bewusstlose Menschen, doch deutlich weniger, als im Eingangsbereich.

»Wartet mal«, sagt Zeke plötzlich und bleib abrupt stehen, sodass Tobias, welcher direkt hinter ihm läuft und die Augen stets nach hinten gerichtet hat, voll in ihn reinläuft.

»Kannst du nicht aufpassen!«, erwidert dieser genervt und taumelt zurück.

»Pass du mal lieber auf«, entgegnet Zeke grinsend und schmiert sein blutverschmierter Ärmel an Tobias Schulter ab, welcher wiederum angewidert von ihm wegrückt und verzweifelt versucht es abzuwischen. Ich muss lachen und Tobias und Zeke stimmen mit ein. Caleb und Matthew wiederum wechseln fragende Blicke und verdrehen die Augen.

»Lass uns doch noch schnell einen Abstecher in den Speisesaal machen und ein paar Muffins mitgehen lassen«, schlägt Zeke vor, während er den Kopf in den Nacken legt und sich die Nase zu hält, um die Blutung zu stoppen. »Schließlich sind wir alle kurz vorm Verhungern!«

»Was würde ich, nur für ein Stück Feroxkuchen geben«, sage ich hoffnungsvoll und spüre bei dem Gedanken daran, die gähnende Leere in meinem Magen.

»Wir könnten jeden Augenblick gefasst werden und ihr könnt einfach ans Essen denken? Was ist falsch mit euch?«, fragt Matthew fassungslos und schüttelt den Kopf.

»Ferox«, antworte ich zwinkernd. Nun formen sich auch seine Lippen zu einem Lächeln, nur Calebs Miene bleibt düster.

--------------------------------------------

Wenn du bis hier her gelesen hast, dann einfach nur WOW! Die Vorstellung, dass jemand meine Geschichte wirklich ernsthaft liest und mitfiebert, ist wunderschön! Aber da ich keine Ahnung habe, wie viele der Leser überhaupt so weit kommen, würde ich mich mega über ein kleines Kommentar freuen, einfach nur damit ich weiß, dass es jemanden gibt, der meinen Text liest. :) Ich würde mich megaa freuen!!! Und lies schön weiter, denn es bleibt spannend ;P

Die Bestimmung - Letzte AngstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt