21. Kapitel (Tobias)

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»Beeil dich mal ein bisschen!«, rufe ich leise zu Zeke. Dieser macht sich gerade an den Essenausgaben zu schaffen und stopft so viele Muffins wie nur irgendwie möglich in seine Jackentaschen.

»Wehe, da ist nachher Blut auf einem von den Schokomuffins!«, zischt Matthew und schüttelt immer noch den Kopf. Ihm muss das Ganze mehr als riskant vorkommen.

»Keine Sorge, ich habe meine Hände vorhin gut abgewischt«, sagt Zeke mit vollem Mund und zieht eine Grimasse in meine Richtung. »Oh Mann, die sollten die Ferox echt mal nach 'nem besseren Rezept fragen!«

Es ist ein beängstigender Anblick, die reglosen Menschen, welche sich im halbdunklen vom Boden abheben, zwischen all den Bänken und Tischen. Überall baumeln Infusionen und Monitore geben ab und zu leise Piep-Geräusche von sich. Tris steht auf und ab wippend neben mir. Eine Strähne hat sich aus ihrem Zopf gelöst und ich bin versucht sie ihr aus dem Gesicht zu streichen, als plötzlich ein schriller Alarm losgeht. Ich fahre zusammen.

»Was ist das?«, fragt Caleb panisch und starrt mich mit weitaufgerissenen Augen an.

»Zeke!«, rufe ich und winke ihn hektisch zu uns. Er kommt beladen mit einem riesigen Haufen an Muffins angetrabt.

»Wir müssen sofort hier raus!«, sagt Tris energisch und zieht mich am Arm mit sich.

»Ich wusste doch, dass es eine dumme Idee war hierherzukommen«, beklagt Matthew sich und hält sich mit den Händen die Ohren zu. Ich packe ihn und Caleb und schiebe sie vor mir her, während wir schnellstmöglich zum Ausgang sprinten. Zeke versucht irgendwie den Berg an Kuchen zu balancieren, wobei er immer wieder etwas fallen lässt. Der Alarm schrillt in meinen Ohren und übertönt unsere schnellen lauten Atemzüge. Tris schießt auf sämtliche Überwachungskameras, die unseren Weg kreuzen, wobei sie kein einziges Mal verfehlt. Dort wo die Kugel mich gestreift hat, pocht ein undeutlicher Schmerz. Wahrscheinlich werde ich es erst richtig spüren, wenn sich mein Geist beruhigt hat.

»Stehen bleiben!« Eine laute Frauenstimme durchdringt das Kreischen der Alarmanlagen. »Stehen bleiben oder ich erschieße euren Freund hier!«

Mit quietschenden Schuhen komme ich zum Stehen. Tris, die mir einige Schritte voraus ist, dreht sich als erste um. Zeke schliddert noch einen halben Meter über den glatten Boden, ehe er mit einer beinahe eleganten Umdrehung stehen bleibt und vor Schreck sämtliche Muffins fallen lässt. Matthew steht direkt neben mir und hält zitternd die Hände hoch. Dann drehe auch ich mich um. Vier Security-Leute stehen mit gezückten Waffen vor uns. Einer von ihnen ist der Mann von vorhin, aus dessen Fingern ich Zeke befreit habe. Seine Miene ist wutverzerrt. Doch meine Aufmerksamkeit gewinnt die Frau in der Mitte; sie hat Caleb fest an sich gedrückt und hält ihm den Lauf ihrer Pistole an die Kehle. Caleb ist wie gelähmt und sein Blick geht hilfesuchen von mir zu Tris. Den Karton hat er fallen gelassen und dessen Inhalt hat sich über den Boden verstreut. In diesem Moment hört der Alarm auf. In meinen Ohren bleibt ein dumpfes Summen.

»Waffen auf den Boden!«, befiehlt die Frau mit eiserner Stimme, die keinen Widerspruch erlaubt. Ich werfe einen kurzen Blick zu Tris, doch sie sieht genauso ratlos aus wie ich.

»Ich sagte: Waffen auf den Boden oder ihr könnt das Gehirn von eurem Freund von der Wand kratzen!«, schreit die Frau ein weiteres Mal und feuert in die Luft. Vor Schreck zucke ich zusammen und befürchte für einen Moment, dass die Decke gleich auf uns herabstürzt, doch das tut sie selbstverständlich nicht. Ich ziehe meine Pistole hervor und lege sie vor mich auf den Boden. Tris tut es mir gleich. Ich wage einen Seitenblick in Richtung Zeke. Dieser legt – umgeben von heruntergefallenen Muffins – seine Waffe ebenfalls auf den Boden. Die Frau schaut erwartungsvoll zu Matthew, doch dieser schüttelt nur den Kopf.

»Ich bin nicht bewaffnet. Ehrlich nicht!«, sagt er schnell und hebt seine Hände noch ein Stück höher.

»Durchsucht sie!«, befiehlt die Frau ihren Mitläufern. Zwei Männer und eine weitere Frau kommen auf uns zu. Der mir unbekannte Wachmann tastet mich nach weiteren Waffen ab. Natürlich findet er die zweite Pistole, die ich vorhin seinem Kollegen abgenommen habe. Ich verziehe keine Miene, als er sie vor meinem Gesicht kreisen lässt. Er holt aus und hält kurz vor meinem Auge inne. Ich zucke nicht mal mit der Wimper.

»Soll mich das jetzt beeindrucken?«, frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Der Mann gibt einen seltsamen Grunzlaut von sich und kehrt dann zurück an seinen ursprünglichen Platz.

»Sie haben was sie wollen. Lassen sie Caleb los!« Tris' Stimme ist fest, man hört ihr keinen Funken von Nervosität an. Die Frau kneift die Augen zusammen und betrachtet Tris auf einer Weise, die mir Angst macht. Dann lässt sie Caleb los und stößt ihn von sich. Einen Moment atme ich auf, doch dann sehe ich das Zucken in ihrer Hand. Es ist nur eine winzige Handbewegung, doch es legt in mir einen Schalter um. Die nächsten Sekunden geschehen wie in Zeitlupe. Ich mache einen Satz nach vorne und werfe mich auf Caleb. Die Frau hat bereits zum Schuss angesetzt. Ihr Finger zieht am Auslöser. Ich stoße Caleb zu Boden und der für ihn vorgesehene Schuss, trifft mich.

Erst spüre ich nicht, wo die Kugel eingedrungen ist, bis sich ein entsetzlicher Schmerz in meinen Oberkörper breitmacht. Ich höre Tris schreien, doch es dringt nicht zu mir durch. Irgendwo vernehme ich Zekes Stimme, aber auch sie ist wie ein dumpfes Hintergrundgeräusch, welche es nicht schafft sich den Weg in mein Bewusstsein zu erkämpfen. Ich versuche mein Gleichgewicht zu halten, doch es tanzen so viele weiße Flecken vor meinen Augen. Meine Beine verlieren ihre Kraft. Meine Knie geben nach. Ich falle. Sacke leblos zusammen. Ich spüre den dumpfen Schmerz, als mein Kopf auf dem Boden aufprallt. Wieder höre ich Tris etwas schreien, kann die Worte aber nicht sinnvoll zusammensetzen.

Ich muss aufstehen, sage ich mir. Aufstehen. Doch alles was ich tun kann, ist meine Augen zu schließen. Meine Glieder sind so schwer wie Blei. Alles ist so schwer. Alles tut so weh. Mit meiner letzten Kraft rufe ich mir das Bild von Tris ins Gedächtnis. So wunderschön...

Die Bestimmung - Letzte AngstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt