25. Kapitel (Tobias)

256 13 2
                                    


Die Gondeln schaukeln im Wind.

Das Gerüst erstreckt sich schier unendlich in die Höhe. Der Anblick hat schon fast etwas Ungeheures. Auf mich wirkt es, wie ein Schatten der Vergangenheit. Das Ächzen der Stangen – wie ein Echo der Erinnerungen.

Das Riesenrad. Es durchzuckt mich ein heißer Schmerz, als ich mir Tris ins Gedächtnis hole, wie sie ohne zu zögern auf das instabile Gerüst geklettert ist; wie ich sie letztendlich begleitet habe.

Seit ich ihre Asche verstreut habe, suche ich die Orte auf, die ich mit ihr verbinde. Ich weiß nicht genau warum, aber, wenn ich sie loslassen will, dann richtig. Ich will alle Erinnerungen noch einmal durchgehen – bis ich sie irgendwann vielleicht der Vergangenheit angehören lassen kann.

Ich sehe zu Boden und hole tief Luft. Ich glaube mir ja selbst nicht. Ich werde sie nicht einfach vergessen können. Niemals.

Mein Blick heftet sich wieder an das Riesenrad. Es ist schon fast drei Jahre her, doch es kommt mir so vor, als wäre es gestern gewesen. Sie ist immer höher geklettert. Die Streben hinauf, bis nach ganz oben. Ich erinnere mich daran, wie sie fast gefallen wäre. Ich bin so schnell wie möglich nach unten gestiegen und habe das Riesenrad eingeschaltet. Wenn es nicht mehr funktioniert hätte, was hätte ich dann getan? Sie wäre gefallen. Sie wäre wahrscheinlich gestorben, nur wegen so einer verdammten Ferox-Mutprobe.

Das ist sie auch so, denke ich und kämpfe gegen die Tränen an. Sie ist tot und ich werde sie nie wiedersehen. Nie mehr.

Ich fange an zu rennen. Ich beiße die Zähne zusammen. Versuche vor der Gewissheit, dass sie fort ist, wegzulaufen. Ich will es abschütteln, aber der Schmerz sickert immer mehr zu mir durch.

Ich renne schneller, weg von diesem Ort. Es wird mir nicht helfen, alle Erinnerungen mit Tris noch einmal aufzusuchen, im Gegenteil, es wird mich zerbrechen. Es wird mir meine letzte Kraft nehmen ...

Die Wolkendecke über mir wird immer dichter, immer düsterer. Ein Grollen erschüttert die Erde. Blitze erhellen den Himmel für einen flüchtigen Sekundenbruchteil. Es fängt an zu Regnen. Die Tropfen fließen über mein Gesicht und vermischen sich mit meinen Tränen. In Rinnsalen wandert der Regen über meine Haut. Durchnässt meine Kleidung, doch ich spüre es kaum. Das Einzige, was ich wirklich wahrnehme ist das Prasseln der Regentropfen – eindringlich und gleichmäßig. Meine Füße schliddern unkontrolliert über den glitschigen Boden. Tränen nehmen mir die Sicht. Ich weine nicht häufig, da ich den Schmerz nie an mich heranlasse. Meist ist es eher so eine innere dumpfe Taubheit, doch jetzt gelingt es mir nicht ihn von mir fernzuhalten. Ich falle zu Boden. Schlage die Arme über den Kopf zusammen und schreie. Ich kann nichts anderes tun.

Sie ist tot. Tris ist tot.

Dieser Schmerz – dieser Schmerz ist schlimmer als alles, was ich je zu spüren bekommen habe. Er verschwindet nie ganz. Die Wunde reißt immer wieder auf. Sie wird nie ganz heilen.

»Ich bin hier.«

Ich fahre hoch. Panisch reiße ich die Augen auf. Tris hält mein Gesicht in beiden Händen. »Ich bin hier«, murmelt sie und sieht mir fest in die Augen. »Ich bin hier.«

Ein Traum. Es war nur ein Traum. Ich sitze immer noch auf dem hintersten Sitz im Flugzeug. Tris direkt neben mir. Diesmal haben sich nicht alle um mich versammelt, aber sie recken ihre Köpfe von ihren Plätzen und starren mich an.

»Was ist diesmal passiert?«, frage ich und muss mich räuspern, weil mein Hals ganz trocken ist.

»Du hast ganz plötzlich angefangen zu schreien«, antwortet Tris. Sie rückt ein Stück von mir weg und mein Blick fällt auf Peter, welcher nicht weit von mir entfernt im Gang steht. Er hat die Stirn in Falten gelegt. Sein skeptischer Blick ist auf mich gerichtet. Uriah kauert auf dem Sitz in der mir gegenüberliegenden Reihe. Er sieht mich mit großen Augen an. Eine Reihe weiter sitzen Cara und Christina, welche schnell den Blick abwenden, als ich in ihre Richtung schaue.

Ich erhebe mich und schiebe mich an Tris vorbei und schlurfe den Gang entlang zum Ausgang. Weiche allen Blicken aus. Flüchte vor ihren fragenden Gesichtern.

Ich stoße die Tür auf und atme gierig die frische Luft ein. Ich klettere in die dunkle Nacht und laufe einige Schritte, ehe ich stehen bleibe und meine zitternden Hände zu Fäusten balle. Ich trage zwar nur ein T-Shirt, doch ich kriege nicht mal Gänsehaut von der kalten Luft. Mein Atem flackert. Langsam macht sich der Schmerz in meinem Oberkörper wieder breit.

Eine Hand schließt sich um meine. Tris sagt kein Wort. Sie stellt sich neben mich und sieht still in die Ferne. Auch ich schweige, denn es gibt nichts zu sagen. Ich löse die Spannung in meinen Fingern und verschränke sie mit ihren. Wenn die Realitäten um mich herum verschwimmen, dann hält sie mich fest. Ihre Berührung reicht, um mich zurück in die Wirklichkeit zu ziehen.

»Versprich mir, dass du nicht gehen wirst«, sage ich, irgendwann, als die Zeit gekommen ist das Schweigen zu durchbrechen.

»Ich verspreche es«, murmelt sie. Überrascht sehe ich sie an. Ich hätte mit Ausreden gerechnet – dass wir keine andere Lösung haben – ihre üblichen Antworten halt. Doch stattdessen sieht sie mich entschieden an und schüttelt den Kopf. »Ich werde nicht gehen.«


-----------------------------------------------------

Hey du,
Du bist immer noch dabei! Ein riesiges Daaaaankeeeschööön dafür!!! Du bist schon echt weit gekommen, ich hoffe du bleibst bis zum Ende dabei! Kleiner Hinweis: Das Finale steht kurz bevor!;)


Die Bestimmung - Letzte AngstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt