Story 6 - Party

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Mein Telefon klingelt, ich weiß wer dran ist. „Es tut mir leid! Ich hab voll verschlafen, aber ich beeil mich. Gib mir zehn Minuten!", rufe ich schnell in mein Handy bevor ich, ohne eine Antwort abzuwarten wieder auflege und mich weiter anziehe. In zehn Minuten werde ich es niemals zu Nina schaffen. Sie wird wahrscheinlich sauer sein, sie hatte sich schon so auf unseren Mädelstag gefreut und jetzt hab ich Idiotin auch noch verschlafen. Eine halbe Stunde später komme ich bei ihr an und steige schon im Fahren von meinem Rad, um es ihre Einfahrt hochzuschieben. Nina steht in der Haustür und ruft mir zu: „Das waren lange zehn Minuten!" „Es tut mir so leid!", ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange zur Begrüßung, „Ich bin so doof! Ausgerechnet heute verschlafe ich!" „Jetzt bist du ja da.", antwortet sie und wir gehen zusammen in ihr Zimmer. Dort ist schon alles für einen perfekten BFF-Tag bereit gestellt: Gesichtsmasken, sämtliche Pflegeartikel, alles um die verschiedensten Frisuren auszuprobieren und natürlich jede Menge Make-Up zum probieren. „Also, womit wollen wir anfangen?", frage ich, als ich mich auf ihre Couch werfe. Jetzt grinst sie über beide Ohren und ihr Ärger scheint komplett verflogen. Als wir mit unseren Füßen in warmem Wasser baden und unsere Gesichtsmasken einwirken, stelle ich die Frage, die mir schon lange auf der Zunge liegt. „Gehen wir heute Abend eigentlich auf die Party?" „Die, die Zwölften organisieren?", erwidert sie skeptisch. „Ja, genau die...", rede ich vorsichtig weiter, „Also ich würde gern hingehen..." „Du willst doch nur hin, weil Fabian dort sein wird." Ich werde rot und bin froh, die Maske auf meinem Gesicht zu haben. „Ich weiß doch gar nicht ob er geht...", versuche ich mich rauszureden. „Aber du hoffst es.", sagt sie und trifft damit voll ins Schwarze.

„Vielleicht musst du mal was ganz verrücktes ausprobieren, sonst wird er doch nie auf dich aufmerksam.", führt sie ihre Gedanken aus, „Vielleicht musst du ihn einfach mal küssen und sehen was passiert und eine Party, wo alle ein bisschen aufgedreht sind ist doch der perfekte Ort." Ich war empört: „Er hat eine Freundin und die ist zufällig auch meine Freundin, also kommt gar nicht in Frage!" „War ja nur so eine Idee, außerdem musst du auch mal an dich denken. Sie steht auf um sich die Maske vom Gesicht zu waschen und sagt: „Auf jeden Fall habe ich jetzt auch Lust auf die Party zu gehen und wenn du schon mal hier bist, kannst du ja auch übernachten, es ist schließlich Wochenende."

Ein paar Stunden später stehen wir auch schon vor dem Spiegel. Meine beste Freundin wühlt sich in den Haaren und ich zupfe an meinem Kleid herum. Es steht mir gut, obwohl ich es mir von Nina geliehen habe. Wir können zu der Feier laufen, da sie nur ein paar Straßen weiter im Strandbad stattfindet. Als wir den großen Strand betreten, überfliege ich sofort die Menge und suche nach ihm, nach seinem Gesicht. „Ich gehe uns mal was zu trinken holen!", ruft Nina mir noch zu, bevor ich sie aus den Augen verliere.

Gefühlte Stunden inmitten von Menschen taucht sie plötzlich wieder neben mir auf mit zwei Bechern in der Hand. Ich rieche an der Flüssigkeit. „Das ist nicht nur Bier, oder?" „Die Oberstufe sammelt für ihren Abschlussball und sie würden nur halb so viel verdienen, wenn sie sich an das Jugendschutzgesetz halten würden, also...", erklärt sie während sie die Hand ausstreckt. „Komm schon! Die erste Runde geht auf mich!" Ich nehme den Becher entgegen und kippe ihn mir vollständig herunter. „Die zweite auf mich!" Sie trinkt ihren Becher ebenfalls aus und grinst. Ich grinse auch als ich spüre wie der Alkohol langsam seine Wirkung zeigt. Viele Becher und Tanzeinlagen später, höre ich die Musik nur noch gedämpft und lasse mich komplett gehen. Meine Sinne sind benebelt und ich sehe ab und zu Ninas besorgtes Gesicht vor mir. Dann nimmt sie mein Gesicht in die Hand und sagt eindringlich: „Nancy, wir müssen gehen. Die Party ist vorbei für dich!" „Ich will aber nicht gehen.", erwidere ich benommen. Sie greift mich am Arm und zieht mich durch die Menschen. Der Abend ist noch nicht vorbei für mich! Eine Sache muss ich schließlich noch erledigen! Ich entreiße mich Ninas Griff und steuere durch all diese Menschen, die jeden Tag mit mir zu Schule gehen. Ich steuere direkt auf Fabian zu. Theresa ist bei ihm. Seine Freundin. Meine Freundin. Meine Gedanken überschlagen sich, jedoch kann ich nur an Ninas Worte von vorhin denken: ‚Vielleicht musst du mal was ganz verrücktes ausprobieren' Also nehme ich all meinen Mut zusammen und trete an ihn heran. Sein klarer Blick verrät, dass er eindeutig weniger getrunken hat als ich. Verdutzt schaut er auf mich herab. Er will mich begrüßen, wie immer, mit einem normalen Handschlag. Wie unter Kumpels. Ich will aber nicht sein Kumpel sein. Also ignoriere ich seine Hand und stelle mich auf Zehenspitzen. Im nächsten Moment liegen auch schon meine Lippen auf seinen. Ich spüre Theresas Blick, der mich wahrscheinlich töten könnte, wenn ich zu ihr schauen würde, aber ich konzentriere mich auf seine weichen Lippen. Nach einer viel zu kurzen Ewigkeit löse ich mich und flüstere: „Es tut mir leid." Mein Kopf ist wieder komplett klar und ich erkenne was ich gerade getan habe. Jetzt drehe ich mich zu Theresa und sehe, dass sie den Tränen nah ist. Die Hand, die mich aus dieser Situation zieht kommt gerade rechtzeitig. Ich bin wie erstarrt und Nina rettet mich, indem sie mich von der Party entfernt und ich wehre mich nicht mehr. Ich habe keinen Grund dazu. Es sah so aus als hätte es ihm gefallen. Jedenfalls hat er mich nicht weggestoßen. Vollkommen in meinen Gedanken versunken stolpere ich nur hinter meiner besten Freundin her. Als wir zusammen in ihrem Doppelbett liegen flüstere ich: „Danke." Ich bekomme ein „Weißt du doch." zurück. Und ich weiß es wirklich. Sie würde mich immer retten und für mich da sein.

Am nächsten Morgen wache ich auf und bin froh keinen Filmriss zu haben. Ich kann mich noch an jede einzelne Sekunde des Kusses erinnern und bei der Erinnerung daran, lecke ich mir die Lippen. „Du bist wach.", höre ich eine überraschte Stimme aus einer anderen Richtung. „Das wird aber auch Zeit. Du hast Besuch." „Besuch?", erwiderte ich verschlafen. „Er wartet in der Küche." „Er?" Ich reibe mir die Augen. Nina grinst nur. Ich muss wohl nachsehen, wer mich da besucht. In ihrem Haus.

Ich trete in die Küche und erstarre sofort. Fabian ist hier. Er sitzt auf einem Barhocker und sieht aus dem Fenster. Wie immer wunderschön. Er bemerkt mich auch schnell und sein Gesicht verrät, dass er unseren Kuss anscheinend nicht so schön fand wie ich. Es schmerzt tief in meiner Brust, doch ich mache dennoch einen Schritt nach vorn. Ein wenig Hoffnung ist immer noch in mir. „Wegen gestern Abend...", fängt er an, während er sich vom Hocker gleiten lässt. Hätte Nina mich nicht vorwarnen können? Was soll ich sagen? Er will reden. Nein, er will nicht reden, er will mir einen Korb geben. Plötzlich weiß ich, was zu tun ist. „Es tut mir leid, ich kann mich an gestern überhaupt nicht erinnern. Totaler Filmriss. Hab' ich etwa was Dummes gemacht, dass du extra hierher kommst?", sprudeln die Worte mit einer überzeugenden Scheinheiligkeit aus mir heraus. „Du kannst dich an nichts erinnern? Gar nichts?", hakt er ungläubig nach. „Ne, sorry. Alles weg." Ich zucke mit den Schultern um meine Aussage zu unterstreichen. Er überlegt und schaut kurz im Raum umher. „Ich wollte nur kurz schauen wie es dir geht. Du sahst fertig aus gestern." Die harte Wahrheit schlägt mir ins Gesicht. Auch meine letzte Hoffnung ist jetzt Geschichte. Meine Augen brennen, als ich mich zu einem Lächeln zwinge und ein „Mir geht's gut, danke." zwischen meinen Zähnen hervor presse. „War schön dich zu sehen.", sage ich noch, als ich mich von ihm wegdrehe und der Druck in meiner Brust immer stärker und drängender wird. Es muss raus. Jetzt. Ich gehe betont langsam die Treppen hinauf bis ich höre wie die Tür ins Schloss fällt. Jetzt renne ich. Er ist gegangen. Er ist mir nicht nachgelaufen. Er hat mich nicht an den Schultern genommen und er hat mich nicht ein weiteres Mal geküsst. Nein. Das hier ist die Realität. Und in der Realität wartet meine beste Freundin in ihrem Zimmer auf mich und nimmt mich in den Arm. Bei ihr kann ich alles raus lassen. All den Schmerz, all die Tränen.

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