Alles war gut und die Stimmung war einfach der Hammer. Gerade hatte ich mich an die normale Atmosphäre gewöhnt, als ich auf mein Handy schaute und bemerkte, dass ich in zehn Minuten zu Hause sein müsste – nach Hause würde ich aber ein halbe Stunde brauchen. Da ich so oder so zu spät kommen würde, beschloss ich die gute Stimmung auszunutzen und noch länger zu bleiben.
Er war auch da. Ohne sie. Ich war fast darüber hinweg, also verdrängte ich den Gedanken an die Beiden und schaute meiner besten Freundin in ihr grinsendes Gesicht und musste automatisch auch grinsen. Wir tanzten einfach. Auf irgendeinem Feld, mit der Musik aus der Box von einem Freund und gingen dazu richtig ab. Die alten Songs wurden wieder ausgekramt und so gab es ‚Tik Tok' von Kesha oder ‚Down' von Jay Sean und Lil Wayne. Eine Sekunde überlegte ich, ob ich nicht zu ihm rübergehen sollte. Wer weiß was er sich alles erlauben würde, unter dem Einfluss von Alkohol? Andererseits wollte ich keine Affäre oder sowas sein, also entschied ich mich letztendlich dagegen und rockte lieber weiter mit meinen besten Freunden zu ‚Moves Like Jagger' ab. Als mein bester Kumpel neuen Alkohol kaufen wollte, ging ich mit ihm. Wir hatten schon lange nicht mehr gequatscht. „Hey, eigentlich alles cool wegen David und so...", begann er das Gespräch. Da sogar wirklich alles toll war, konnte ich ehrlich sagen, dass alles okay mit mir war. Als ich es laut aussprach, musste ich es noch einmal wiederholen – eher um mich selbst davon zu überzeugen als auf seine Frage zu antworten.
„Es geht mir gut." Diesen Satz hatte ich die letzten Wochen so oft gesagt und nie wirklich ernst gemeint, doch heute kam er aus mir heraus, ohne dass ich danach ein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich einen meiner Freunde angelogen hatte. Mir ging es gut. Ich musste lachen, weil es so absurd war, wenn ich an die letzten Tage dachte; die Tage, die ich nur Schokolade in mich hinein gestopft hatte, nur geweint hatte. Und jetzt war ich glücklich. Einfach so. Ich musste noch mehr lachen. Mein bester Freund schaute mich an, als würde ich von einem anderen Planeten kommen. „Das macht bestimmt der Alk. Mit dir gehe ich nicht in den Laden – du wartest hier.", wies er mich mit einem Lächeln auf dem Gesicht an. „Geht klar, Meister!", rief ich, stellte mich gerade hin und salutierte. Er lachte kurz auf und verschwand im Geschäft. Die Zeit draußen vertrieb ich mir damit, Menschen zu beobachten. Ich sah ein Pärchen, das sich abknutschte als würde es sich für die nächsten 500 Jahre trennen müssen. Ich hasste mich selbst dafür, dass ich schon wieder so viel Alkohol getrunken hatte, da sich jetzt die Nachteile bemerkbar machten, denn plötzlich schlug meine Stimmung um und mir liefen die Tränen über die Wangen. In diesem Augenblick kam auch mein Freund aus dem Supermarkt und sah mich dort stehen, verwahrlost und weinend. „Hey was ist passiert?" „Nein, nichts...", sagte ich und wischte mir die Tränen weg. Dies brachte jedoch nichts, da die nächsten schon auf dem Weg waren. „Hat dich irgendwer blöd angemacht?", fragte er besorgt und ging spielerisch in Abwehrhaltung. „Nein,", antwortete ich mit einem leichten Lachen, „es ist nur...ach keine Ahnung... Alk ist scheiße...Ich dachte ich könnte heute Abend ohne Rückfall überstehen, aber anscheinend..." „Rückfall? Du meinst wegen Tara und David?" „Ja" „Ach Laura, du bist so süß, weißt du das?" „Hör auf das zu sagen! Alle sagen das immer, aber eigentlich stimmt das gar nicht, weil warum stehe ich sonst allein hier rum und nicht, wie die da drüben?", jammerte ich und zeigte auf das knutschende Paar. „Du stehst nicht allein, du stehst mit mir hier. Außerdem ist das Singledasein viel angenehmer, als wenn du vergeben bist. Du kannst schlafen mit wem du willst, du kannst küssen wen du willst, denn niemanden stört es. Du bist niemandem zu irgendwas verpflichtet. Du bist frei." „Kann ich dich küssen?", ich sprach es aus und überlegte gleich darauf schon, wie ich mich da wieder rausreden konnte. Warum brachte Alkohol einen immer dazu, das zu sagen, was man genau in diesem Moment denkt? „Da es uns beiden nichts bedeuten würde, weil du noch an David hängst und ich noch voll und ganz Maya verfallen bin... könnten wir das rein theoretisch schon machen..."
Das war definitiv der Alkohol, der aus ihm sprach. Trotzdem stellte sich mein betrunkenes Ich auf Zehenspitzen und küsste ihn. Kurz. Ohne Zunge. „Okay danke, das reicht mir schon.", brachte ich hervor, nachdem sich unsere Lippen für eine Sekunde berührt hatten. Er lachte auf und lehnte sich nach hinten. „Hier, halt mal.", sagte er glucksend und reichte mir die Schnapsflaschen, die er eben gekauft hatte. Er schlug sich auf den Oberschenkel, beugte sich vorn über und fing noch lauter an zu lachen. Sein Lachen war so ansteckend, dass ich im nächsten Augenblick auch schon aus vollem Halse lachte. Nachdem wir beide uns ausgelacht hatten und dabei mehrere böse Blicke von Passanten einstecken mussten, schlug die Stimmung ein weiteres Mal an diesem Abend um. „Ich überlasse dir die eine Flasche, wenn du mir versprichst, es nicht zu übertreiben und mir sofort Bescheid sagst, wenn du gehen möchtest oder auch einfach nur reden, ist mir egal, aber sag Bescheid. Ich weiß, wie es ist zurückgewiesen worden zu sein und man sagt zwar Alkohol ist keine Lösung, aber meistens hilft es doch irgendwie... Alles klar?" Genau dafür liebte ich ihn, er wusste was ich brauchte, auch wenn er selbst nicht davon überzeugt war, dass es das Beste für mich ist – wenn eigentlich jedem klar ist, dass es das Beste für niemanden ist. Aber er lässt es mich trotzdem machen, weil er wusste, dass es das war, was ich jetzt brauchte: ein bisschen Alkohol und meinen besten Freund, der auf mich aufpasste, wenn ich es selbst nicht mehr konnte. Wenn sich niemand dafür interessierte, ob ich jetzt allein nach Hause gehen würde oder ob direkt im Graben übernachtete. Ich liebte ihn dafür, dass er in solchen Situationen immer für mich da war. Ich liebte ihn. Nicht so, wie ich David liebte – oder glaubte zu lieben – sondern auf eine andere Weise; auf die ‚Großer Bruder'-Weise. Überrumpelt von all den Gefühlen, die in mir hochkamen, musste ich erstmal die Luft anhalten und warten, bis keine Gefahr mehr bestand, dass ich anfangen würde zu weinen. Mit solch einer Art der Liebe möchte ich mein Leben füllen; nicht mehr ständig irgendwelchen Jungs hinterher trauern, sondern mich mit meinem besten Kumpel auf ein Bier treffen und einfach da sein – ich für ihn und er für mich. Mit diesem Gedanken setze ich die Flasche an meinen Mund und ließ die brennende Flüssigkeit meinen Rachen hinunterfließen, wie so oft die letzten Tage, ertrank ich meine Sorgen. Ich wollte mein Leben ändern; ein schönes sorgenfreies Leben führen – aber noch nicht heute. Heute brauchte ich eine weitere Nacht des Verdrängens und Vergessens.
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Kurzgeschichten
Short StoryAlso eigentlich würde ich es noch nicht einmal 'Kurzgeschichte' nennen. Es sind eher Szenen, die mir manchmal einfach in den Sinn kommen, wenn ich denke "Was wäre wenn...". Wahrscheinlich wird es meistens um Liebe gehen, aber ich versuche auch an...