"Du bist WAS?", entfährt es mir lauter als geplant.
Karl knetet unruhig die Hände ineinander und sieht ehrlich so aus, als wäre ihm die ganze Chose sehr unangenehm.
"Es tut mir leid, Dom. Es ging nicht anders. Ich musste die Sache so"--
"Halt. Stop!", unterbreche ich ihn, "Jetzt rede ich!"
Reue zeigen ist zwar sehr nobel, bringt mich in dem Fall aber auch nicht weiter. Ich bin wütend, ja. Karl soll sich besser einen guten Grund für die Scheiße überlegen, sonst soll er sich ficken. Sicherlich kann das jeder nachvollziehen und wenn nicht, dann soll er sich eben auch ficken. Mir reicht's. Ich werde hier von Anfang an nach Strich und Faden verarscht.
Was kommt als nächstes? Luke, der mir unter Tränen beichtet, dass er eine neue Identität unter dem Namen DIZZORDER aufgebaut hat und mich in seinen Rosenkrieg mit Karl reinzieht? Ist doch alles gequirlte Kacke! Aber denke nicht daran, Karl zu Wort kommen zu lassen - dafür schäume ich zu sehr vor Wut und er muss sich jetzt erst mal meine Version der Geschichte anhören:
"Ok warte einen Moment. Ich verstehe ja schon - du musstest deine komischen N0PE-Aktivitäten geheim halten, weil es sonst gefährlich wäre. Natürlich wusstest du auch bis vor kurzem noch nicht, dass ich ABYSS bin oder warte, du wusstest es schon die ganze Zeit und ich durfte deswegen immer neben dir sitzen, damit du mich verfolgen kannst und mir immer einen Schritt voraus bist?!"
"Dom", versucht Karl einzulenken, "Das ist doch schon ewig her!"
"Ja, mag sein!", schnaube ich, "Lassen wir mal den Schnee von gestern weg - DU hast Probleme mit DIZZORDER. Aber was zum Geier habe ICH mit der Scheiße zu tun! Ich sag dir mal was, wie ich das sehe - hättest DU mich mal aus dem Spiel gelassen, dann stündest du jetzt ganz dumm alleine da. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du mich zur Zielscheibe gemacht hast, damit ich dich unterstütze! Ist doch so, was?"
Ich durchbohre Karl mit meinem wütenden Blick, aber wie immer schaut er mich nicht an, sondern irgendwie an mir vorbei. Das ist für mich das finale Indiz, dass ich recht habe und so kann mich nichts mehr halten, während ich mich mit all meinen Vorwürfen nicht mehr zurückhalte.
"Damit du nicht allein gegen DIZZORDER ran musst, machst du mich systematisch fertig, jagst mir so nen Schrecken ein und mich aus meiner eigenen Bude. Und nebenbei tust du noch wie ein Unschuldsengel-- Dom, ich hab dir Kaffee gemacht! Dom, ich hab dich vor dem Hackerangriff gerettet! Dom, ich kann nicht lügen, und-- pah! Mir wird schlecht, wenn ich dran denke, was für ne Platte ich mir gemacht hab!", ich schnaufe und streiche mir hektisch den Schweiß von der Stirn, "Meine Kamera hast du sicher nicht repariert, sondern manipuliert! Und was die Sache mit Luke sollte - klär mich auf, hast du ihn genauso verarscht und in die Enge getrieben, damit er mich bei dir vorbeibringt?"
Schließlich bin ich fertig und bebe am ganzen Leib. Ich starre Karl an, der auf den Boden blickt und schnaube:
"SAG WAS! Sag mir, dass ich recht habe! Sag mir, dass du ein verdammter Lügner bist. Wann immer du den Mund aufmachst und dann noch-- Uhh Dom, bitte nutze meine Ehrlichkeit nicht aus, mimimi!"
Kurz herrscht Schweigen und ich fühle mich komplett leer, nachdem ich all meine Wut rausgelassen habe. Leider ist es kein schönes Gefühl, sondern irgendwie beängstigend, wenn man bedenkt, dass Karl nicht aussieht, als würde er gleich in Tränen ausbrechen und sich entschuldigen. Er sieht nicht glücklich aus, nein. Aber er sieht auch nicht aus wie einer, den man gerade auf frischer Tat ertappt hat.
Eher schaut er drein, als würde er körperliche Schmerzen haben und als wisse er weder ein noch aus.
Dann nimmt Karl einen letzten tiefen Zug von seiner Zigarette und drückt sie im Aschenbecher am Fenster aus.
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Sing Me To Sleep [✓]
Science Fiction[ abgeschlossene Geschichte ✓ ] Berlin, 2033. Gar nicht mal so weit entfernt von der heutigen Stadt, einfach nur ein bisschen mehr. Größer. Schneller. Enger. Lauter. Heller. Voller. Hektischer. Mehr. Die virtuelle Welt ist zum Alltag geworden. Such...