Ich atme ein. Ich atme aus. Ich atme tief durch. Dann schaue ich Karl an, den ich die letzten etwa vier Minuten keines Blickes mehr gewürdigt habe.
"Und das hättest du mir nicht früher sagen können?", frage ich schnaubend.
Karl zuckt mit den Schultern und rührt klirrend mit dem Löffel Zucker in seinen Kaffee, "Du hast nicht danach gefragt. Ich wusste nicht, dass das für dich relevant sein könnte."
Mit einem Seufzen reibe ich mir die Schläfen, dann trinke ich den letzten Schluck Kaffee aus und stelle meine Tasse extra laut auf das schicke Beistelltischchen an meinem Sofa. Karl zuckt zusammen. Ich mustere ihn, wie seine umherhuschenden Augen meinem Blick ausweichen.
"Ok Chef", sage ich schließlich, ohne auch nur ein einziges Wort darüber zu verlieren, dass die Leute von N0PE mich wohl noch schlecht in Erinnerung behalten haben und vielleicht nicht so ganz erfreut darüber sein werden, wenn Karl ausgerechnet ihrem ehemaligen Erzfeind den Arsch rettet, "Wie lautet der Plan?"
Karl räuspert sich geräuschvoll und stellt die leere Kaffeetasse ebenfalls auf dem Tisch ab.
"Wenn man davon ausgeht, dass die Backdoor überbrückt werden kann, damit er sie nicht mehr ohne weiteres benutzen kann, brauchen wir keinen Plan. Dann müssen wir uns einfach nur an die Arbeit machen. Nach meinem aktuellen Wissensstand ist DIZZORDER aber nicht dumm und falls er wirklich an deinen Daten interessiert ist, was ich momentan nicht annehme, sonst wäre er längst wieder da, dann hätte ich eine Idee!", sagt er.
Anstatt "Was für eine Idee?" frage ich aufgebracht: "Wie, er ist nicht an meinen Daten interessiert? Wie kann irgendjemand an irgendwelchen anderen Daten als an meinen interessiert sein?!"
Karl zuckt mit den Schultern, "Die Frage ist eher, ob wir nicht die Chance haben, ihn zu schnappen, wenn wir uns seine Backdoor zu nutzen machen und ihn in eine Falle locken. Das heißt, wir brauchen nur noch einen Weg, dass er sich für deine Daten interessiert und sobald er dann zurückgekrochen kommt, machen wir seinen Standort ausfindig und räumen ihn aus der Bahn."
"Bist du vom Wachhund zum Informanten befördert worden oder wieso bist du so scharf darauf, N0PE zu helfen?", ich lege meine Stirn in Falten.
Das macht doch alles überhaupt keinen Sinn!
"In diesem Fall hat es nichts mit N0PE zu tun", sagt Karl aber, "Ich will nicht denen helfen - ich will dir helfen. Wenn du DIZZORDER vor N0PE stellen könntest, läge die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein weiterer Krieg ausbricht und am Ende wieder irgendein Underground-Hacker wie DIZZORDER auf den Plan treten kann. Wenn wir die Szene aber frei von solchen Trollen halten wollen, sehe ich keinen anderen Ausweg, als dass DU Kontakt mit N0PE aufnimmst!"
"Nur über meine Leiche!", entfährt es mir, "Nicht in diesem Leben, in tausend kalten Wintern nicht, niemals mache ich gemeinsame Sache mit DIESEN Trollen! Da musst du dir schon was besseres einfallen lassen. Es war ja echt ganz lustig, Karl. Aber ich halte es für besser, wenn du jetzt gehst."
Und damit stehe ich ohne weiteren Blick auf die zusammengesunkene Gestalt auf und kehre ihm den Rücken zu.
"Nicht interessiert!", schnaube ich noch immer, "An meinen Daten nicht interessiert! Pah, der hat keine Ahnung, wen er da vor sich hat!"
Karl steht ebenfalls auf und bringt beide Kaffeetassen in die Spülmaschine. Auf dem Weg zur Garderobe bleibt er kurz noch einmal stehen und schaut in meine Richtung. Ich weiche seinem Blick auffällig aus und schalte auf stur. Wenn Karl meint, dass er alles besser weiß - nur zu!
Ich komme schon allein klar. Ich bin vor Karl allein klar gekommen, ich werde auch nach ihm allein klarkommen. Er soll sich bloß nichts drauf einbilden, dass ich einen einzigen Moment lang unachtsam war. Er scheint vielleihct zwar auch ein bisschen was auf dem Kasten zu haben, ja.
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Sing Me To Sleep [✓]
Sci-fi[ abgeschlossene Geschichte ✓ ] Berlin, 2033. Gar nicht mal so weit entfernt von der heutigen Stadt, einfach nur ein bisschen mehr. Größer. Schneller. Enger. Lauter. Heller. Voller. Hektischer. Mehr. Die virtuelle Welt ist zum Alltag geworden. Such...