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Kurze Zeit später sitzen wir gemeinsam in meinem Computerzimmer.

Und wenn ich Computerzimmer sage, dann meine ich auch Computerzimmer. Eigentlich ist es mein Arbeitszimmer, aber da ich grundsätzlich am Computer arbeite, ist dieses Zimmer voll von unzähligen Rechnern und Monitoren, die nicht eins zu eins aufeinander verteilt und haushaltsgenormt aufgebaut sind, weil das erstens komplett unnötig für mich alleine wäre und zweitens nicht nur platztechnisch total unpraktisch.

Stattdessen sind alle Rechner miteinander zu meinem heimischen Supercomputer verbunden, der fast einer Serverfarm gleicht, und die Monitore stehen ebenfalls geballt an einer einzigen Seite des Raumes. Genauer gesagt hängen auch einige an der Wand, weil ich sie dort mit einer unheimlich innovativen Methode befestigt habe. Kabelbinder und Nägel und viel Tape. Aber das genaue Rezept verrate ich nicht.

Es wäre ein bisschen zu riskant für mich, tatsächlich ebenbürtige Hardware an einem Stück aus dem Versandhaus zu bestellen. Würde vielleicht auffallen und natürlich würde sich keiner fragen, was der Ottonormalverbraucher mit solchen Sachen will. Außerdem sind die Sachen, die es zu kaufen gibt, nicht einmal halb so sehr auf meine persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten, wie mein kleiner Retro-Raum.

Karl und ich sitzen in Winterjacken da. Ich auf meinem schwarzen Chefsessel aus Leder, er auf einer umgedrehten orangefarbenen Tonne mit einem Loch im Boden, die in der Theorie eigentlich mal für die Altkleidersammlung gedacht war. Auf dem Loch liegt ein buntes Sitzkissen und in der Praxis lege ich darauf immer meine Beine ab, wenn ich gemütlich hier sitze.

Aber als zusätzliche Sitzgelegenheit für Karl taugt es wohl auch. Die Temperatur hier drin schwankt je nach Rechentätigkeit meiner mehrstöckigen Computerwand innerhalb von minus zwölf und etwa fünf Grad, weil ich es mit der Kühlung ein bisschen übertrieben habe und noch keine bessere Möglichkeit gefunden habe, eine Balance zwischen dem Schutz meiner Hardware und dem Wohlbefinden meines eigenen Körpers zu finden.

Aber bevor meine Babys hier drin auch nur daran denken, irgendwie zu überhitzen, leide ich lieber und sitze schlotternd und mit klappernden Zähnen auf meinem Stuhl, während ich die wichtigsten Komponente und alle Abläufe koordiniere. Vielleicht kann man nach dieser Sache nun ein bisschen erraten, weswegen ich die meisten administrativen Arbeiten auf die massentauglichen Geräte wie Netbook und Smartphone verlege.

Verknüpft ist eh alles miteinander, aber manchmal muss man einer Sache vielleicht doch auch physisch auf den Grund gehen.

Übrigens trage ich mittlerweile eine Hose und Karl scheint nachhaltig traumatisiert davon zu sein, dass ich zwar meinen Bademantel übergezogen habe, den Gürtel für eben jenen aber schon seit ein paar Jahren nicht mehr auftreiben kann. Während er nämlich mit der Pinzette, die ich normalerweise für meine Augenbrauen benutze, an einer kleinen Platine aus der Alarmanlage meiner Wohnung herumbastelt, hat er noch keinen Ton gesagt.

Da Karl aber eh nicht so der gesprächigste Mensch unter der Sonne ist, mache ich mir wenig Sorgen, dass es auffallen wird.

Meine Finger huschen nicht halb so schnell über Tastatur wie es Karls Finger gewohnt sind, aber ich komme trotzdem ganz gut voran und prüfe sämtliche Details noch einmal nach, um mir ein umfassendes Bild von der aktuellen Situation machen zu können. Die Protokolle von zuhause sagen mir, dass die anfängliche Fehlermeldung, durch die ich überhaupt erst aufmerksam geworden bin, mitnichten von DIZZORDER verursacht wurde.

Und als ich weiter nachbohre, stelle ich fest, dass sie der Grund war, warum das alles überhaupt passieren konnte - allerdings auch, und darüber kann ich froh sein, der Grund, warum Karl es geschafft hat, in mein unhackbares System einzudringen, um mir den Arsch zu retten. Warum auch immer er das eigentlich getan hat, aber sicherlich hat er es mir schon im Suff erklärt und ich habe es nur vergessen.

Kurz verschwende ich einen Gedanken an den Drang, Karl in ein klärendes Gespräch zu verwickeln, damit wir uns mal wieder auf demselben Wissensstand befinden, aber Reden ist Silber, Schweigen ist Gold und ich muss noch einige Codes auffrischen, einige Lücken in meiner Verschlüsselung schließen und nicht zuletzt noch sämtliche Scanner in Betrieb nehmen, bevor ich schließlich mit einem lauten "KLACK" auf die Entertaste schlage und mich empört zu dem Kerl drehe, der in sich zusammengesunken auf meinem orangenen Fußableger hockt und die Platine wieder in die Kamera einbaut.

"Karl", sage ich.

"Ja", sagt Karl.

"Hast du auch einen Filmriss oder kannst du dich noch an alles erinnern?", frage ich vorsichtig.

"Prinzipiell kann ich nicht wissen, ob ich etwas vergessen habe", murmelt er, während er meine Winterjacke öffnet, in der seine schmalen Schulter geradezu versinken, "Aber ich bin mir sicher, dass der Alkohol bei mir nicht exakt dieselbe Wirkung wie bei dir gezeigt hat."

Karl kramt in der Tasche seines Pullovers, den er unter meiner Jacke noch trägt, nach seinem Tabak, den Filtern und den Papierchen, zieht alles miteinander heraus und beginnt, sich eine Zigarette zu drehen.

"Aus dem Grund, dass du nach dem zweiten Bier und fünf Schlücken von meinem Mischgetränk aus Red Bull Energy Drink und billigem Wodka angefangen hast, immer mehr für uns beide zu bestellen, kannst du dich wohl an wichtige Details nicht erinnern", erklärt er mir monoton und seelenruhig, während ich fasziniert auf seine Finnger starre, die aus den eben genannten Komponenten auf geschickte Weise eine perfekt geformte Zigarette zaubern.

Er hebt kurz den Blick, schaut auf meinen Bildschirm und kratzt sich am Ohr, ehe er seine Erläuterungen fortsetzt.

"Und da du mein Getränk jedes Mal leer getrunken hattest, ehe ich es überhaupt berühren konnte, bin ich von diesem Zustand verschont geblieben."

Kurz wundere ich mich über mich selbst. Kurz wundere ich mich über Karl. Dann höre ich damit auf, denn es bringt nichts. Anscheinend kann man durchaus mit Karl sprechen, wenn man es versteht, die richtigen Fragen zu stellen. Bis darauf, dass das eben ein Glücksgriff gewesen sein muss, immerhin bin ich jetzt auch nicht schlauer, durch welche Art von Fragestellung und Formulierung man Karl dazu bringen kann, mehr als einsilbige Antworten zu geben.

Ich seufze leise auf, aber ich lächle ehrlich amüsiert: "Ich wüsste gern, was ich alles nicht mehr mitbekommen habe. Zum Beispiel wie wir hierher gekommen sind und wieso du immer noch hier bist. Kannst du mich da mal updaten? Oder gibt es für meine veraltete Version keine standardmäßigen Updates mehr?"

Karl starrt mit offen stehendem Mund direkt auf meine Nasenspitze, "Bitte was? Welche deiner Software ist veraltet?"

Grinsend zwinkere ich ihm zu, "Das war ein Witz. Ich meinte-- ach, egal. Ich fand's lustig! Kannst du mir weiterhelfen?"

"Du warst so betrunken, dass ich es riskant fand, wenn du allein nach Hause gehst", sagt Karl tonlos, klemmt sich die Zigarette hinter sein Ohr und reibt mit den Handflächen gleichmäßig über seine eigenen Oberschenkel, "Und weil du auf dem Küchenboden ohnmächtig geworden bist, dachte ich, ich sollte noch bleiben falls du Hilfe benötigst."

Ich muss schmunzeln. Eigentlich ist er doch ein ganz feiner Kerl. Etwas seltsam manchmal, ja, aber dann schlussendlich: Wer ist das nicht?

"Außerdem bin ich davon ausgegangen, du würdest dich zumindest an unsere Abmachung noch erinnern", fährt er fort und all meine innerlichen Alarmglocken läuten, "Hast du mal Feuer?"

Ich schnaube und springe auf, verschränke bestimmt die Arme vor der Brust und baue mich so vor dem Häufchen Elend auf, "Du wirst hier drin ganz sicher nicht qualmen! Was für eine Abmachung? Worüber haben wir gesprochen?"

Karl lässt sich tatsächlich dazu herab, das menschliche Protokoll zu spielen und mir noch einmal von vorn alles haarklein zu erläutern, was am Mittag wohl über die Bühne gegangen sein muss. Und meine Augen werden immer größer, die Kälte ist vollkommen vergessen, als wir schließlich beide am Fenster stehen, damit Karl sich zum Rauchen ein bisschen zur frischen Luft beugen kann. Zwischen den Zügen erklärt er und führt die Geschichte von heute Mittag weiter aus und ich kann das alles nicht fassen.

Es ist nicht so schlimm wie gedacht, sondern noch viel schlimmer.

Ich bin nicht ganz so glimpflich wie vermutet weggekommen.

Sing Me To Sleep [✓]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt