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Es gibt Momente im Leben, da scheint man die Welt für einen kurzen Augenblick komplett zu begreifen.

Da werden die geheimnisvollsten Rästel der Menschheit gelöst und der Sinn der gesamten Existenz liegt zum Greifen nah vor einem.

Kurze Sekunden, in denen man das Gefühl hat, dass alles seinen Grund hatte, egal wie schlecht es war, und dass irgendwann alles gut werden wird.

Denn irgendwie ist ja doch nichts so, wie es scheint, und auch wenn Menschen vielleicht die grausamsten Lebewesen im Universum sind, auch wenn jeder Mensch anders ist und auch wenn soziales Miteinander zu einer unmöglich auszuführenden Wissenschaft geworden ist, an der sich nur die allerwenigsten beteiligen, so sind wir im Grunde doch alle irgendwie ähnlich, wenn nicht sogar auf einer bestimmten Ebene verbunden und unser Kern ist derselbe.

Alle haben wir unsere Grundbedürfnisse, aber auch das hörere Streben nach Selbstverwirklichung. Zwischen Nahrungsaufnahme und Erfolg, zwischen Toilette und Geborgenheit, wollen wir irgendwie auch körperliche Nähe und individuelle Anerkennung, sicher sein und verstanden werden, irgendwann ein bisschen schlafen und dann vielleicht sogar mal das große Glück - oder zumindest ein bisschen Zufriedenheit.

Eventuell ist das so ein geschichtsträchtiger Augenblick.

Dieser Moment, in dem ich bei dem Kerl an der Tür klopfe, den ich ohne mit der Wimper zu zucken und sicherlich ein bisschen übertrieben als meinen Erzfeind bezeichnen würde. Zwar erst seit ein paar Tagen, aber egal. Immerhin habe ich eine geladene Waffe dabei, draußen surrt noch meine hochtechnisierte Drohne durch die Luft und ich habe im Rücken zwei bis drei Leute sitzen, die mir zur Hilfe eilen könnten.

Und trotzdem.

Hätte man mich vor einer Stunde gefragt, ich hätte DIZZORDER umgelegt, ohne nochmal darüber nachzudenken, wenn ich die Chance gehabt hätte.

Allerdings gibt es da ein kleines Problem.

"Hmm?", ertönt eine mürrische und zeitgleich komplett erschöpft klingende Antwort, deren Tonlage wohl irgendwo kurz nach dem Stimmbruch einzuordnen ist, "-ich schlafe, Eomma! Geh ins Bett!"

Davon abgesehen, dass man unmöglich schlafen UND konkrete Anweisungen aussprechen kann, läuft es mir eiskalt über den Rücken. So habe ich mir die letzte, epische Schlacht und meinen Triumph nicht vorgestellt.

Ich drücke vorsichtig die Klinke und werde von dem Geruch von heißgelaufener Technik und dem dämmrigen Schein von ein paar großen Bildschirmen begrüßt. Zuerst sehe ich nur einen riesigen Schreibtisch mit einigem an hochmodernen Computerzeug darauf, ein paar Schränke und Regale, über und über gefüllt mit Büchern - tatsächlichen, analogen, physisch gebundenen Büchern! - DVDs, Ordnern mit Aufschriften wie "Mathe", "Deutsch", "Reli", "Bio", "BK", dann fällt mein zugegebenermaßen echt neugieriger Blick auf die Poster an der Wand.

Ich zucke zusammen und friere in meiner Bewegung ein, als mich anklagend Harrison Ford als Indiana Jones von einem riesigen Plakat anglotzt und ich bekomme sowohl Gänsehaut als auch irgendwie einen Kloß im Hals.

Es gibt da wirklich ein Problem, und klein ist es nicht.

"Was zum--" flucht die übermüdetee Jungenstimme genervt und ich höre es rascheln.

"Wer ist da?!" - fast klingt er panisch und ich fühle mich unsagbar schlecht.

Ich trete vermutlich echt unheimlich aus dem Schatten hinter dem Schrank in eine Nische, in der ein riesiges Bett steht, um das herum weitere Rechner und Bildschirme verteilt sind, die man bequem vom Nachtlager aus bedienen kann- auf einem Bildschirm läuft gerade eine uralte Folge von "Rick und Morty".

Sing Me To Sleep [✓]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt