Wach werde ich wieder viel zu früh.
Ich kann mich nicht erinnern, jemals so tief und fest geschlafen zu haben. Als ich die Augen aufschlage, fühle ich mich körperlich gerädert und geistig in Alarmbereitschaft. Welches Jahr haben wir gleich nochmal? Und warum bin ich jetzt wach? Ohne Wecker und ohne jegliche Art von anderem Lärm. Es steht nicht einmal irgendjemand neben mir, der mich unsanft aus dem Schlaf gerissen haben könnte.
Auch wenn jede Muskelfaser meines Körpers zu schmerzen scheint, bin ich hellwach und setze mich ruckartig auf. Es brennt immer noch sanftes, dämmriges Licht im Zimmer und ich reibe mir die Augen, taste nach meiner Brille, die irgendwo auf dem Kopfkissen liegen muss.
Falls ich irgendetwas geträumt haben sollte, kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.
Aber dann ist da ein ohrenbetäubendes, polterndes Geräusch und ich stehe quasi im Bett - kann man hier nicht mal ein paar Stunden seine Ruhe haben? Aber so plötzlich wie er kam, ist der Lärm auch wieder weg und in der folgenden Stille wird mir mulmig. Ich kann mir einen ungefähren Reim drauf machen, wie ich wach geworden sein muss und suche meine Socken vom Boden auf, die ich im Schlaf wohl irgendwie von meinen Füßen gerissen und aus dem Bett geschmissen haben muss.
Schuhe an, Rucksack geschultert und ich falle beinahe mit der Tür in den Gang, so hastig verzichte ich auf's Duschen und eile Karl zur Hilfe. Ich erwarte insgeheim, dass Einbrecher bei uns sind, entweder die vermummten Schergen von DIZZORDER oder ein Trupp Spezialeinsatzkräfte der Regierung, die das Versteck hier ausfindig gemacht haben.
Als ich in Karls Kommandozentrale trete, ist es verdächtig still. Ich entsichere meine Walther, nur für den Fall, dass--
Ein Schatten in meinem Augenwinkel, ich ziele, mein Finger am Abzug und lasse in der letzten Sekunde die Waffe sinken.
"Mensch!", schnauze ich Karl an, der mit erhobenen Händen leichenblass vor mir steht, "Fast hätte ich dich erschossen! Wie kommst du dazu, dich hier an mich anzuschleichen, verdammt! Was machst du überhaupt hier?!"
"Nun ja", Karl steht der Schreck noch ins Pokerface geschrieben, "In Anbetracht der Tatsache, dass du fast vier Stunden geschlafen hast und ich nicht ahnen konnte, dass du auf einmal hier stehst, wohne ich eigentlich hier."
Ich sichere die Waffe, stecke sie ein und schnaufe erst mal tief durch.
"Was ist passiert?", will ich dann wissen, "Ich dachte, mir fällt die verdammte Decke hier auf den Kopf!"
"Nichts", sagt Karl, "Wenn du den Lärm meinst, das ist die Fabrik über uns. Ganz normal, dass die um diese Uhrzeit die Maschinen neu in Betrieb nehmen. Möchtest du einen Kaffee?"
"Hast du überhaupt geschlafen?", stelle ich eine Gegenfrage, die nicht weit hergeholt scheint, wenn man Karls glasigen Blick und seine tiefen Augenringe betrachtet.
Karl dreht sich um und ich folge ihm in die kleine Küche, wo der Aschenbecher beinahe überquillt und Karls Laptop auf dem Tisch steht.
"Das tut nichts zur Sache", sagt er nur und dreht mit zittrigen Fingern eine Zigarette aus einem fast leeren Tabakbeutel, "Hast du Sarah dabei? Ich muss etwas ausprobieren."
Ich hebe eine Augenbraue und lege fast schon beschützerisch eine Hand an meinen Rucksack, "Ich dachte, zuerst geht's in die Schule?"
"Das war der Plan", sagt Karl und tritt von einem Bein aufs andere, "Allerdings gab es eine kleine Planänderung und"--
"Karl, verdammt nochmal!", ich rege mich auf, ja!
Zu Recht, wer hat denn noch gesagt, dass wir heute fit sein müssen? War das nicht Mister Oberschlau, der jetzt wie ein scheues Reh im Scheinwerferlicht vollkommen übernächtigt vor mir steht und mir weiß machen will, dass unser idiotensicherer Plan schief gelaufen ist, ehe wir überhaupt angefangen haben?
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Sing Me To Sleep [✓]
Science Fiction[ abgeschlossene Geschichte ✓ ] Berlin, 2033. Gar nicht mal so weit entfernt von der heutigen Stadt, einfach nur ein bisschen mehr. Größer. Schneller. Enger. Lauter. Heller. Voller. Hektischer. Mehr. Die virtuelle Welt ist zum Alltag geworden. Such...