Ich schnappe mir Sarah, trenne ihre Verbindung zu Luke, leite die Steuerung wieder auf meine Fernbedienung um und mache mich auf den Weg.
Die liebe Siri von Apple hat kein Problem damit, mich zu ihrem Zuhause zu führen und so stehe ich kurze Zeit wieder in meinem verschwitzten Ninja-Outfit auf der Straße vor meinem Haus und ziehe mein Halstuch wie ein Krimineller über Mund und Nase, die Kapuze tief ins Gesicht und summe leise die Titelmusik von Indiana Jones vor mich hin, während ich hastig über den Gehsteig laufe.
An meinem Gürtel hängt schwer meine Waffe, mein Rucksack ist gefüllt mit meinem Netbook, Sarah plus Fernbedienung und einer noch halbvollen Flasche Pepsi light. Ich komme an einem mittlerweile wieder beleuchteten Schaufenster vorbei und Siri quäkt mit ihrer blechernen Stimme aus meiner Hand:
"In hundert Metern links abbiegen!"
Ich bleibe stehen, verdrehe die Augen und stelle den Ton ab.
Dann fällt mein Blick in die Warenauslage, in der mich verschiedenste Brötchen anlachen und die gute Belinda wischt sich gerade den Schweiß von der Stirn. Mit Sicherheit habe ich noch ein bisschen Zeit übrig - und während ich mich frage, was Karl und Luke gerade machen, schleiche ich mich durch die Tür von "BAKED TO GO", um mir ein paar Brötchen zu kaufen.
Vielleicht haben sie gerade Angst um mich, haben längst Patty alarmiert und denken, dass mir irgendetwas zugestoßen ist.
Ich bezahle etwas zerknirscht und packe die Brötchentüte in den Rucksack; nicht die feine Art, die Freunde zu behandeln, die einem aus mehreren Patschen schon geholfen haben und mit einem in den letzten Tagen wirklich durch ne krasse Scheiße gegangen sind. Aber ich bin mir zu neunundneunzig Komma neun Prozent sicher, dass mir beide von dieser Aktion abgeraten hätten.
Und auch wenn ich ein schlechtes Gewissen habe, das mehr an mir nagt als die Ratte Alina an Karls Ohrläppchen, muss ich tun, was ich tun muss.
Was auch immer das sein wird, aber das wird die Zeit zeigen. Ich laufe durch die halbe Stadt, mehrere Straßen und Seitengassen entlang, über mehrere große Kreuzungen und an unzähligen 24-Stunden-Geschäften vorbei, bis in einen vollkommen anderen Stadtteil.
Und anstatt mich heldenhaft zu fühlen, fühle ich mich einfach nur bescheuert.
Als Siri mir anzeigt, dass es nur noch etwa 600 Meter bis zum Zuhause von DIZZORDER sind, kann ich mich nicht mehr an meinen Plan halten. Geknickt und reumütig fummele ich mir die Ohrstöpsel in die Gehörgänge und schalte wieder meine Verbindung zum Voice-Channel ein.
Scheinbar ist Karl noch komplett auf Alarmbereitschaft eingestellt, denn keine zwei Sekunden später höre ich seine Stimme:
"Dom!", er klingt wie erwartet vorwurfsvoll und besorgt, "Kannst du mir erklären, was du vorhast? Ich bin mir recht sicher, dass du die Verbindung mit Absicht getrennt hast. Luke ist schon unterwegs, falls du Hilfe brauchst. Ist etwas vorgefallen?"
Ich schnaufe und lehne mich gegen eine Hauswand hinter der letzten Ecke, "DIZZORDER hat sein Handy bei mir vergessen. Ich dachte nur, ich bringe es ihm zurück!" - es knackt in der Leitung
"Seit wann denn so hilfsbereit?", fragt Luke höhnisch und außer Atem, "Dir ist schon bewusst, dass du uns einen Schrecken eingejagt hast?"
Schuldbewusst lasse ich nur ein "Mhmm" verlauten.
"Das ist eine schlechte Idee", sagt Karl ruhig, "Es ist sehr wahrscheinlich, dass es eine Falle ist!"
Ich seufze leise.
"Vertrau mir!", bitte ich ihn.
Und Karl vertraut mir.
Wir einigen uns darauf, dass ich den Channel ausschalte, Karl aber eine Verbindung zu Sarah herstellen kann. Nur für alle Fälle. Oder für den Notfall, oder was auch immer. In jedem Fall stehe ich kurze Zeit später vor dem Haus, das in dieser Gegend zwar durchschnittlich, für meine gewohnten Verhältnisse aber echt schnucklig aussieht.
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Sing Me To Sleep [✓]
Science Fiction[ abgeschlossene Geschichte ✓ ] Berlin, 2033. Gar nicht mal so weit entfernt von der heutigen Stadt, einfach nur ein bisschen mehr. Größer. Schneller. Enger. Lauter. Heller. Voller. Hektischer. Mehr. Die virtuelle Welt ist zum Alltag geworden. Such...