"Ich bin zuhause, Dad!"
Müde ziehe ich die Schuhe aus und lasse sie mitten im Flur stehen.
"Ich bin im Wohnzimmer, Amber!", ruft Dad und erst jetzt höre ich die leisen Stimmen des Fernsehers. Ich schlürfe über den Boden hinüber ins Wohnzimmer und finde Dad auf der Couch sitzen. Er hat sich in eine Decke eingewickelt und sieht fast aus wie ein kleiner Junge. Er schaut auf, als ich im Türrahmen stehe.
"Wie war dein Tag, Amber?"
"Nichts besonderes. Ein Tag eben", sage ich und zucke mit den Schultern.
Dads Gesichtszüge werden weich und er klopft auf die Couch neben sich.
"Setzt dich zu mir und rede" Er schaltet den Fernseher aus und ich gehe zu ihm. Er hebt die Decke hoch und teilt sie mit mir. Mein Kopf fällt schwer auf seine Schulter und ich schließe die Augen, weil ich nicht schon wieder den Tränen freien Lauf lassen will. Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen und unterdrücke nur mühsam ein Schluchzen. Doch ich kann Dad nichts vorspielen.
"Sprich mit mir, Amber. Wenn du mir deine Wunden nicht zeigst, kann ich sie nicht flicken."
"Es ist so ruhig" Mehr sage ich nicht. Doch Dad versteht auch so, was ich meine. Die Leere in diesem Haus lässt sich einfach nicht leugnen.
"Kennst du die römische Legende, in der ein Mann einen Stein immer wieder den Berg hinaufrollen muss und wenn er fast oben ist, rutscht er aus und der Stein rollt wieder bis ganz nach unten. Und er muss wieder von ganz von vorne anfangen"
"Ja, ich habe sie schon in der Schule durchgenommen", murmle ich.
"Genau das passiert, wenn man versucht, den Tod von einem geliebten Menschen zu leugnen. Man kommt immer klar, bis wieder etwas passiert oder bis man wieder etwas sieht, das einen an den Menschen erinnert. Dann rollt der Stein wieder nach unten und man ist wieder am Boden. Man ist wieder ganz am Anfang der Trauer. Und aus diesem Teufelskreis kommt man nicht mehr raus. Erst, wenn man die Tatsachen so akzeptiert, wie sie nun einmal sind. Deine Mutter ist gestorben, Amber. Sie wird nie wieder durch diese Haustüre kommen. Sie ist von uns gegangen"
Mit diesen Worten brechen sämtliche Dämme in mir. Die Tränen laufen meine Wangen hinunter und ich kann sie nicht aufhalten. Mein ganzer Körper bebt, die Kälte der Wahrheit strömt in meinen Körper und lässt ihn Schmerz spüren. Dad nimmt mich und zieht mich auf seinen Schoß, so wie er es früher immer gemacht hat, als ich traurig war. Doch diese Traurigkeit ist nicht mit der von früher zu vergleichen.
"Wie soll ich Moms Tod denn akzeptieren? Ich meine sie war da und dann plötzlich" Meine Stimme bricht und ich drücke mein Gesicht an Dads Schulter. Dad schiebt mich sanft ein Stück nach vorne, nimmt mein Gesicht in seine Hände und zwingt mich ihn anzusehen.
"Es ist schwer. Ich weiß. Glaubst du mir fällt es leicht? Ich habe sie bei der Trennung schon verloren. Aber ich habe sie weiter geliebt. Und jetzt habe ich sie endgültig verloren. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mir wünsche, dass alles anders gekommen wäre, Amber. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich den verlorenen Jahren nachtrauere, die wir getrennt verbracht haben. Wie gerne hätte ich deine Mutter noch immer an meiner Seite. Aber das Schicksal wollte es nicht so. Der Tod hat keine Regeln und er hat auch keine Erklärungen. Aber er gehört zu Leben und er wird dich dein ganzes Leben lang begleiten. Aber das Wichtigste ist, das du ihm nicht alleine gegenübertreten musst. Du bist nicht allein, Amber. Gemeinsam bringen wir wieder Leben in dieses Haus"
Ich kann Dad keine Antwort geben, weil das Schluchzen mich daran hindert. Aber zum ersten Mal spüre ich wieder Hoffnung. Hoffnung, die den Schmerz in meinem Herzen etwas lindert. Sie vertreibt ihn nicht ganz. Aber sie macht ihn erträglich.
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Mindless - Eine Party. Eine falsche Entscheidung. Eine ewige Schuld
Novela JuvenilDer vierte Juli wird für Amber nie ein Unabhängigkeitstag sein. Sie wird nie wieder am vierten Juli feiern und sie wird dieses Datum auch nie wieder vergessen. Egal wie sehr sie es sich auch wünscht. Der vierte Juli erinnert sie daran, dass sie Sch...