18

15 3 0
                                    


"Warum wird der Fall deines Vaters neu aufgegriffen?", frage ich ihn.

Raphael schweigt lange und starrt auf seine Hände, die immer noch unverändert auf der Tischplatte liegen. Gerade als ich glaube, keine Antwort von ihm zu bekommen, seufzt er laut auf und lässt sich auf seinen Stuhl zurückfallen. In seinen Augen kann ich sehen, dass er mit den Tränen kämpft. Noch nie war das braun in ihnen so traurig und verzweifelt.

"Es ist eine neue Droge im Umlauf. Die Polizei hat sie neulich entdeckt, als ein Mädchen auf einer Highschoolparty davon ohnmächtig im Krankenhaus gelandet ist. Die Droge ist neu und keiner weiß, woher sie kommt. Sie nennen sie Catcher", erzählt mir Raphael. 

Tatsächlich ist mir der Name geläufig. Die Schüler reden viel von dieser Droge, aber bisher habe ich nicht auf diese Gespräche geachtet. Deshalb weiß ich auch nicht viel von dieser Droge. Aber das sie im Moment die Partydroge Nummer 1 ist, ist auch mir nicht entgangen.

"Die Polizei glaubt, dass mein Dad die Droge auf den Markt gebracht hat. Sie können es nicht beweisen, aber die Akte meines Vaters, macht es ihm nicht gerade leicht, alles abzustreiten."

Eine Träne bahnt sich einen Weg über seine Wange und er wischt sie schnell mit dem Ärmel weg.

"Wenn sie auch nur irgendetwas finden, das sie als Beweis gegen ihn verwenden können, verlängert sich seine Haftstrafe um bis zu 30 Jahren. Egal wie sinnlos der Beweis aus scheinen mag. Die Staatsanwaltschaft glaubt meinem Dad nicht. Sie halten ihn schon jetzt für schuldig. Und das ganz ohne Beweise. Meine Mom ist völlig fertig und wird im Supermarkt dumm von den Leuten angeredet, mein Dad solle doch endlich alles gestehen. Aber er war es nicht, Amber. Das schwöre ich bei allem, was ich habe. Wie denn auch? Er sitzt hinter Gittern? Wie soll er da eine neue Droge auf den Markt bringen" 

Die Worte sprudeln nur so aus Raphael heraus, doch es ist nicht einfach für ihn, darüber zu reden. Seine Hände zittern und er kaut immer wieder auf seiner Unterlippe herum. Ich greife über den Tisch nach seiner Hand und lege sie in meine. 

"Wenn es dein Vater nicht war, dann können sie ja auch keine Beweise finden"

"So einfach ist das nicht, Amber. Sie überprüfen die Droge und sollte sie auch nur im geringsten mit den Drogen übereinstimmen, die mein Dad ausgeliefert hat, ist das schon Beweis genug. Es halten ihn doch jetzt schon alle Richter für schuldig.  Wie soll er dann unschuldig aus der Sache herauskommen?"

Raphael legt den Kopf in den Nacken und versucht die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Doch vergebens. Es gibt mir einen Stich im Herzen, als die Tränen beginnen, über seine Wangen zu rinnen und mein Herz bricht, als er vergeblich ein leises Schluchzen unterdrückt. 

Ich stehe von meinem Stuhl auf, gehe um den Tisch zu Raphael und schlinge meine Arme um seinen Nacken. Er vergräbt den Kopf in meiner Halsbeuge und ich streichle ihm beruhigen durch das Haar, in der Hoffnung, das es ihm Kraft und Ruhe spendet. 

"Ich kann es nicht, Amber. Ich schaffe es einfach nicht. Ich meine, ich versuche stark zu sein. Für meine Geschwister, für meine Mom und für Dad, aber was, wenn ich es nicht schaffe? Was, wenn ich versage?" Raphaels Stimme ist kaum mehr als ein Wispern und er klingt so verzweifelt und hoffnungslos, dass ich selbst schlucken muss, um nicht zu weinen anzufangen. 

"Du bist nicht schwach, Raphael. Du trägst das größte und gutmütigste Herz in dir, das ich je gesehen habe. Du kümmerst dich so lieb, um deine Geschwister und tust alles so selbstverständlich und mit Hingabe, wie es die meisten nicht tun könnten. Und du bist nicht alleine. Auch wenn es noch so sehr danach aussieht, du musst das nicht alleine schaffen." 

Ich versuche ihn mit meinen Worten aufzubauen und zu beruhigen, doch noch ehe ich sie ausgesprochen habe, kommen sie mir nutzlos. Den Schmerz, den Raphael spürt, kenne ich nur zu gut. Das Gefühl, nichts tun zu können und am Ende zu stehen. Damals, als Mom gestorben ist, habe ich mich genauso am Boden gefühlt. Und trotzdem nach außen hin gelächelt, egal wie schwer mir das auch fiel. Menschen neigen dazu, ihre Verletzlichkeit vor anderen zu verstecken. Doch meistens wird man dadruch nur noch zerbrechlicher. Denn wen man den Menschen nicht zeigt, was einem im Inneren vorgeht, wie sollen sie dann gemeinsam mit einem den Schmerz tragen? 


Mindless - Eine Party.  Eine falsche Entscheidung. Eine ewige SchuldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt