Ich stehe vor dem Spiegel in meinem Zimmer und betrachte mich genau von oben bis unten. Meine Haare fallen in leichten Wellen über meine Schulter und auf meiner Stirn hat sich ein fieser, nicht besonders kleiner Stresspickel gebildet. Ich überdecke ihn mit ein bisschen Make up und trage meinen Lippgloss nach. Eigentlich habe ich überhaupt keine Lust, essen zu gehen, aber Dad hat heute ein Essen mit seinem Chef und seinen Kollegen und alle nehmen ihre Familien mit. Und Dad hat sich schon so darauf gefreut, dass er auch endlich einmal nicht alleine, ohne Familie hingehen muss. Er hat sich so über diese Tatsache gefreut, ich konnte ihm diesen Wunsch einfach nicht ausschlagen, auch wenn ich es hasse, wenn er ausgerechnet mit mir angibt.
Ich finde nicht wirklich, dass ich eine Tochter zum angeben bin. Ich habe noch nichts in meinem Leben erreicht. Ich habe nie irgendein Sportwettbewerb in der Schule gewonnen, es sei den teilgenommen, ganz zu schweige von den ganzen Wissenstest die die Schule immer veranstaltet. Meine Noten waren noch nie die besten, doch nach Moms Tod sind sie schlechter denn je. Und zwar nicht einfach nur schlecht, sondern versetzungsgefährdet schlecht. Aber wenn man eine nahestehende Person verloren hat, sind Noten einfach das letzte, an das man denken kann. Alles was man in der Schule lernt, wirkt noch sinnloser als zuvor. Alles wirkt noch unbedeutender und unbrauchbarer. Nichts kommt einem im Leben mehr wichtig vor. Weil eben auch nichts, was man in der Schule lernt einem im Leben weiterhilft. Keine Wahrscheinlichkeitsrechnung kann dir helfen, mit Trauer umzugehen. Kein physikalisches Gesetz hilft dir, den Schmerz zu vergessen. Und keine Worte aus der Literatur von den ach so tollen Philosophen, können deine Wunden heilen.
Ein Klopfen an meiner Zimmertür holt mich zurück aus meinem Gedanken in die Gegenwart. Dad streckt den Kopf zur Tür herein und pfeift anerkennend, als er mich sieht. "Du siehst wunderschön aus, Kleines", sagt er, kommt auf mich zu und küsst mich auf den Scheitel. "Komm, meine Kollegen warten bestimmt schon alle mit ihren Familien auf uns. Wir sind spät dran" "Das ist nichts Neues für diese Familie, Dad", erinnere ich ihn an die traditionelle Unpünktlichkeit bei uns. Dad schmunzelt, schiebt mich aber dennoch aus meinem Zimmer heraus. "Dann sollten wir vielleicht nicht allzu spät kommen", schlägt er vor und ich muss lachen.
Dad fährt uns zum "Belezza", dem beliebtesten Restaurant der Stadt. Könnte vielleicht auch daran liegen, dass es das Einzige hier ist. Der Inhaber, ein kleiner Italiener, begrüßt mich und Dad und führt uns in einen Nebenraum des Restaurants, indem bereits um die vierzig Menschen versammelt sind und durch ihr munteres Gerede den Lärmpegel ziemlich hoch legen.
"Mr.Andrews!", ruft ein Mann und kommt auf meinen Dad zu. Der Mann ist etwas älter, was man an den grauen Haaren und den Falten um seine Augen erkennen kann. Müsste ich schätzen, würde ich sagen er ist fast vor seinem Ruhestand. Er schenkt mir ein freundliches Lächeln und streckt mir die Hand entgegen. "Und du musst Amber sein. Ich bin Mr.Stown, der Vorgesetzte deines Vaters. Aber du kannst ruhig Steve zu mir sagen. Wenn man mich mit meinem Nachnamen anspricht fühle ich mich gleich so alt." Ich schenke Steve ein Lächeln und erwidere seinen Händedruck. "Schön, endlich einmal die Tochter von Andrews kennenzulernen, nachdem man so viel von ihr gehört hat." Ich werfe Dad einen Seitenblick zu, der entschuldigend die Hände in die Luft hebt. "Mit irgendetwas muss ich eben angeben", entschuldigt er sich und zwinkert mir zu. Steve verabschiedet sich von uns und geht zurück zu seinem Sitzplatz neben einer älteren Dame, die wahrscheinlich seine Frau ist.
Ich lasse den Blick durch den Raum über die Menschen schweifen und schwanke zwei Schritte zurück. als ich in der hinteren, linken Ecke zwei bekannte Gesichter erkenne. "Alles in Ordnung, Amber?", fragt mich Dad, doch ich nehme ihn kaum mehr war. Alles was ich sehe sind die zwei Jungen in meinem Alter, die schweigend nebeneinander sitzen und mich mit ihren Augen fixiert haben. Raphael und Jase. Beide wollte ich für heute Abend aus meinem Kopf verbannen, doch das scheint mir das Schicksal wohl nicht gewähren.
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Mindless - Eine Party. Eine falsche Entscheidung. Eine ewige Schuld
Dla nastolatkówDer vierte Juli wird für Amber nie ein Unabhängigkeitstag sein. Sie wird nie wieder am vierten Juli feiern und sie wird dieses Datum auch nie wieder vergessen. Egal wie sehr sie es sich auch wünscht. Der vierte Juli erinnert sie daran, dass sie Sch...