Es ist wirklich nichts Neues für mich, in peinlichen Situationen zu stecken. Aber die Situation jetzt hier mit Jase und Raphael sprengt eindeutig die Peinlichkeitsskala. Warum konnte ich auch nicht einfach meinen verdammten Mund halten? Nein, Amber musste wieder die Klappe aufreißen.
Ich schließe die Augen und bete, dass ein Wunder geschieht und ich plötzlich am karibischen Strand liege, mit Blick auf ein wunderschönes, Türkises Meer. Aber es bleibt mir leider verwehrt. Stattdessen spüre ich die zwei Augenpaare, die auf mir ruhen und mich teils geschockt, teils überrumpelt ansehen. Jase rückt auf der Bank ein Stück nach vorne und räuspert sich. Raphael hat sein Gesicht in den Händen vergraben und schüttelt ganz leicht den Kopf.
"Weißt du, Amber, man sollte nicht alles glauben, was andere, dahergelaufene Jungs erzählen, deren Vater im Gefängnis sitzt", sagt Jase schließlich und verschränkt lässig die Hände hinter dem Kopf. Ich mustere ihn vorsichtig von der Seite. Eine solche patzige Aussage war ich von Jase nicht gewöhnt. Er hat nie andere mit Worten verletzt. Für ihn waren Worte immer etwas Kostbares. Etwas, das man bedacht einsetzen musste, nicht etwas, das man wahllos in den Raum hineinwirft, so wie ich es meistens tat. Jase hasste es, andere mit Worten zu verletzen und er hasste immer sich selbst, wenn er es getan hatte. Auch, wenn es nur ein Versehen war. Andererseits habe ich Jase jahrelang nicht mehr gesehen und glaube nicht, dass ich noch viel über ihn weiß. Dass ich nicht viel über ihn weiß, was auf den Jase zutrifft, der jetzt vor mir sitzt. Nicht der Jase von früher. Umso schwerer fällt es mir, Raphaels Worte als Lüge oder Wahrheit zu bezeichnen. Aber ich kann es einfach nicht glauben. Ich will es einfach nicht glauben.
Vielleicht will ich auch nur, dass alles wieder so wird wie früher. Früher, als alles noch unkompliziert war. Als alles, was jetzt nicht mehr selbstverständlich ist, selbstverständlich war.
"Entschuldige, Jase, ich wollte deine weiße Weste, die du trägst, nicht mit der dreckigen Wahrheit beschmutzen", sagt Raphael schroff und funkelt Jase zornig an. Die Aussage über seinen Vater hat ihn verletzt, das kann ich in seinen Augen sehen.
"Es sei dir verziehen" Jase macht eine übertrieben theatralische Verbeugung nach, an seiner Haltung sehe ich jedoch, dass er damit nur seine Wut überspielt. Das Zittern vor Wut hat er sich nämlich all die Jahre anscheinend nicht abgewöhnen können.
"Aber ein Geheimnis, das kein Geheimnis ist, sollte auch Amber nicht verborgen bleiben" Raphael schnalzt mit der Zunge und fährt sich mit der Hand durch die schwarzen Locken.
"Man sollte sie aber auch nicht mit Lügen verwirren", kontert Jase.
"Ich denke, Amber ist alt genug, Wahrheit und Lüge unterscheiden zu können"
Ähmmm, nein. Nein, nicht wirklich. Darin war ich noch nie gut.
"Ich denke, dass sie früher oder später erkennen wird, wer wirklich vor ihr steht. Also sieh dich vor, Raphael"
Was zum?!
"Ich denke, dass sie zu klug ist, mit dealenden, verlogenen..."
"Das reicht!", unterbreche ich Raphael scharf. Verdammt man, jetzt kann ich Wahrheit und Lüge definitiv nicht mehr unterscheiden!
Aber spielt das überhaupt noch eine Rolle? Ich erkenne im Moment keinen der Jungen, die neben mir sitzen. Weder Jase, noch Raphael. Beide strahlen einen solchen Hass gegeneinander aus, dass man sich am liebsten verkriechen würde, damit man ihn nicht zu spüren bekommt. Normalerweise würde ich das auch tun, aber ich hasse es unwissend zu sein. Und ich hasse es, nicht die wahre Geschichte zu kennen. Aber manchmal ist es auch einfach besser unwissend zu sein. Sich eine perfekte Welt vorspielen zu können, obwohl die wirkliche Welt gerade vor seinen Augen zerbricht.
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Mindless - Eine Party. Eine falsche Entscheidung. Eine ewige Schuld
Dla nastolatkówDer vierte Juli wird für Amber nie ein Unabhängigkeitstag sein. Sie wird nie wieder am vierten Juli feiern und sie wird dieses Datum auch nie wieder vergessen. Egal wie sehr sie es sich auch wünscht. Der vierte Juli erinnert sie daran, dass sie Sch...