5. Kapitel

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Trotz der verhängnisvollen Lage, in der sich Magery befand, hatte das Verbot Ubbes sie unzüchtig zu berühren eine gewisse Erleichterung über das Mädchen gebracht. Die Grafentochter wusste, dass die Wikinger sie brauchten und ihr daher kein Leid zufügen würden. So hoffte sie zumindest. Doch mit jedem Tag bröckelte das einst so feste Gefühl der Sichherheit. Und es waren viele Tage. Nach dem 56 hatte Magery aufgehört zu zählen. Die lange Zeit auf See war nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Ihre sonst so vollen Haare hingen der Adeligen in fettigen Stränen von der Stirn herab und sie hatte das Gefühl eine Schicht aus Dreck und Schmutz hätte sich auf ihrer Haut gebildet. Doch selbst das konnte die gierigen Blicke der Männer nicht abhalten, welche sie trafen und mit jedem Tag hungriger zu werden schienen.

"Na sieh einer an"
Verwirrt blickte Magery sich um. Vor ihr stand eine kräftig gebaute Gestalt, die von zwei weiteren flankiert wurde. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis das Mädchen realisierte, dass es drei Frauen waren. Genau wie die Männer trugen sie ebenfalls Waffen und Trinkhörner.
"Wenn das nicht mal die kleine Christin ist.", sagte die Mittlere bitter und spuckte über die Reling. Ihr Name war Brynna.
Magery antwortete nicht. Was hätte sie darauf auch erwidern sollen? 'Ja?' 'Nein?' oder gar 'vielleicht?'....wohl kaum.
"Weißt du, was mich an euch Christen schon immer fasziniert hat?",fragte Brynna weiter.
Unter anderen Umständen hätte Magery an dieser Stelle am liebsten 'die Weiblichkeit' geantwortet. Denn das war etwas, was der Kriegerin vollkommen fehlte. Jedoch sah die Wikingerin nicht so aus, als hätte sie eine Posse dieser Art gut aufgenommen. Also schwieg das Mädchen weiter.
"Eure Religion macht euch schwach. Das Buch was ihr so verehrt sagt, dass ihr die andere Wange hinhalten sollt."
Zu spät als dass sie noch hätte zurück weichen können, vernahm Magery ein unheilvolles Surren. Kurz darauf traf Brynnas Handrücken auf ihre Wange und verursachte einen heißen Schmerz. Geschockt starrte das Mädchen die Schildmaid an. Nie zuvor hatte es jemand gewagt auf diese Weise mit der Adeligen zu sprechen, geschweige denn eine Hand an sie anzulegen. Insbesondere keine Frau.
Mit einem Mal versetzte Brynna dem immernoch erstarrten Mädchen einen groben Stoß gegen die Schulter, woraufhin sie nach hinten taumelte und gegen den Mast stieß. Magery zog scharf die Luft ein, als ein weiterer Schlag, diesmal mit der Handflächen, sie auf der Wange traf.
"Na los Prinzesschen! Halt schön die andere Wange hin."
Tränen liefen über das Antlitz der Grafentochter.
Brynna hatte sich an ihre Gefährten gewandt. "Ein eigenartiger Gott nicht wahr? Fast so als würde es ihn erfreuen, wenn ihr Christen leiden müsst. Nicht einmal rächen sollt ihr euch, um eure Ehre zurück zu verlangen. Ganz im Gegenteil...ihr sollt eure Feinde lieben nicht wahr?" Nun hatte sie sich erneut Magery zugewandt und fokussierte sie aus angriffslustigen braunen Augen.

Zögerlich nickte Magery. "Gott will, dass wir unsere Feinde genauso sehr lieben, wie wir uns selbst lieben.", antwortete sie wahrheitsgemäß. Doch ihre Stimme klang dünn und brüchig.

Brynna stieß ein freudloses Lachen aus. Blitzschnell packte sie in die Haare des jungen Mädchens.
"Und Sklavin? Liebst du mich?", die Stimme der Wikingerin wurde lauter.
"Liebst du mich, huh? Liebst du mich?", bei jeder Frage verstärkte Brynna ihren Griff und donnerte Magerys Kopf gegen den hölzernen Mast. Nach dem dritten Mal begann das Mädchen das Blut in ihren Ohren rauschen zu hören und spürte ein schmerzhaftes Pochen an ihrem Hinterkopf.
Ein gequältes Schluchzen entwich ihren Lippen. In der Hoffnung er könnte ihr helfen, suchten ihre Augen das Deck verzweifelt nach Ubbe ab. Doch sie konnte ihn nirgends erspähen.
"Sieh dich nur an.", mit einem angewiederten Gesichtsausdruck ließ Brynna von ihr ab. "Dein Gott macht dich schwach. Voller Angst weinst du wie ein Kind. Ich hingegen kenne keine Angst. Der Göttervater Odin nahm sie mir bei meiner Geburt. Ich fürchte nichts!"

"Nicht einmal mich?" Erschrocken blickte Magery in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ivar saß mit schiefgelegtem Kopf auf der Reling. Brynna und ihre Gefährtinnen wirbelten herum.
"Ivar ich-", begann die Schildmaid, doch er unterbrach sie.
"Ich frage mich..", der Krüppel zog einen Dolch aus seiner Ledertasche. Er sah scharf aus. Wahrscheinlich war er frisch geschliffen worden.
"..ob es wahr ist, was du da gerade so leichtmütig verkündet hast." Langsam ließ Ivar den Dolch zum Hals der Kriegerin fahren und setzte die Spitze des Messers an ihrem leicht hervorstehenden Adamsapfel ab.
"Also frage ich dich noch einmal, Brynna. Fürchtest du dich?"
Ivar begann die Klinge mit drei Fingern zu drehen. Doch er drückte nicht zu. Zumindest konnte Magery kein Blut erkennen. Was sie allerdings bemerkte, war das fast unmerkliche Zittern von Brynnas Lippen. Zu gerne hätte das Mädchen gehört, was die Wikingerin daraufhin sagte. Doch sie sprach leise und  vorallem in nordisch. Ivar setzte den Dolch ab, woraufhin die Kriegerin laut hörbar ausatmete. Als er antwortete klang es so, als würde er sie schelten. Denn etwas warnendes lag in seiner Stimme. Während Brynna sich zum gehen umwandte warf sie der Adeligen noch einen  bösartigen Blick zu. Als die Schildmaid gegangen war, atmete Magery ebenfalls erleichtert auf und rutschte mit dem Rücken zum Mast das Holz herab.
Ivar legte den Kopf erneut schief und musterte das Mädchen. Für eine Weile war es still. Lediglich vom Wind herangetragene Wortfetzen und das Krachen der zerschlagenen   Wellen drangen  an ihre Ohr. Dann brach er die Stille.

"Brynna hat recht. Du bist schwach"

Ruthless (Ivar, Vikings)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt