Die Sonne war gerade erst aufgegangen, als die Häuser Kattegats am Horizont erschienen. Wie ein roter Feuerball, stand sie am Himmel und tunkte die Siedlung in goldenes Licht. Eine Unruhe breitete sich in Magery aus. Obwohl sie ihrer Heimat entrissen wurde, hatte das Schiffslebens eine gewisse Sicherheit für das junge Mädchen geboten. Jeder Tag hatte dem anderen geähnelt. Doch das war nun Vergangenheit. Denn zwischen den Lehmhütten Kattegats, wartete eine ungewisse Zukunft auf die Engländerin.
Je näher die Boote den Stegen kamen, desto mehr Menschen sammelten sich am Ufer. Besonders viele Frauen und Kinder konnte Magery unter den sehnsüchtig wartenden Wikingern entdecken.
Mit freudigen Gesängen und Rufen wurden die Krieger in Empfang genommen. Doch als die Schiffe angetaut waren, rührte sich keiner von Bord. Dieses Privileg schien den Brüdern vorbehalten zu sein. Magery probierte sich im Hintergrund zu halten, doch wie sehr sie auch darum bemüht war, zwischen den Fässern und Kisten zu einer Statue zu erstarren, gelang es ihr nur so lange, bis Hvitserk sie ins Auge fasste und zielstrebig auf sie zu kam. Mit einem festen Griff umschloss er ihren Oberarm und führte sie hinter Ubbe und Ivar von Bord. Der Krüppel hatte seinen Einspänner an Deck gelassen und bewegte sich nun an zwei Krücken, die ihn aufrecht gehen ließen. Die wartende Menge hatte eine Gasse gebildet und bewarf den Zug unter Gesängen und Jubel mit Blumen, Federn und bunten Stofffetzen. Immer wieder merkte Magery, wie neugierige Blicke sie durchbohrten.
Ivar steuerte zielstrebig auf eine große Halle zu, die am Kopfende eines Dorfplatzes lag. Ubbe hob seinen Arm und machte eine Handbewegung, als würde er eine lästige Fliege verscheuchen. Sofort eielten zwei in graue Felle geschlungene Männer zu den Toren und ließen sie aufschwingen. Daraufhin offenbarte sich eine geräumige Halle, die von Fackeln durchleuchtet wurde. Ein Geruch aus Kräutern und gebratenem Fleisch schlug Magery entgegen, als sie über die steinernde Schwelle trat. Das junge Mädchen musste sich anstrengen um mit Hvitserks großen Schritten mithalten zu können. Er blieb stehen, als sie einen massiven Thron erreichten. Auf ihm saß eine Frau mit markanten Gesichtszügen und langen welligen Harren. Sie trug ein feuerrotes Gewand, das von einem weißen Schafsfell umschlungen wurde.
Ein unsanfter Stoß in den Rücken zwang Magery, ihren Blick von der anmutigen Frau abzuwenden."Knie nieder, vor der Schönsten aller Frauen aus ganz Kattegat. Königin Aslaug.", hauchte ihr Hvitserk provokativ ins Ohr.
Etwas zittrig und unbeholfen sank das Mädchen auf ihre Knie. Doch die Königin schenkte der Grafentochter gar keine Beachtung. Vielmehr erhob sie sich und breitete die Arme aus.
"Meine Söhne.", sagte sie mit einem warmen lächeln, während sie die Stufen herunter schritt und jeden von ihnen mit einer herzlichen Umarmung begrüßte.
Mit einem Mal wurde Magery gewahr, aus welchem Grund die drei jungen Männer mit so viel Respekt und Würde behandelt wurden. Sie waren die Söhne der Königin, und damit Prinzen der Wikinger, wenn man das überhaupt so nennen konnte.
Hinter den Söhnen waren nun auch andere Krieger in der Halle eingetroffen. Sie hatten große Kisten in die Mitte des Raumes gebracht. Ubbe war der Erste, der das Wort ergriff.
"Liebste Mutter, das sind die Schätze, die wir diesen Raubzug in England erbeutet haben."
Während er sprach, riss er mühelos die Deckel von den Truhen. Damit legte er den Blick auf unzählige Münzen, Diademe, Stoffe, Ketten und Goldkreuze frei. Magery zog scharf die Luft ein, während die Männer erneut in ungezügelten Jubel ausbrachen.
Die Engländerin zuckte zusammen, als sie zwei Finger unter ihrem Kinn spürte. Dem Druck ausweichend, reckte sie sich soweit es ihr gelang nach oben, bis sie letztendlich gezwungen war aufzustehen. Sie blickte in Ivars Gesicht, der ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, sich Richtung Ausgangstor zu bewegen.
"Wohin so eilig....Bruder?"
Eine Gestalt mit blonden Locken war aus dem Schatten des Thrones getreten und musterte den Krüppel von oben bis unten.
"Ich nehme mir meinen Anteil der Beute Sigurd", antwortete er mit ruhiger Stimme. Es war sichtlich zu erkennen, dass er sich große Mühe geben musste, nicht die Beherrschung zu verlieren.
"Wieso solltest du die Sklavin bekommen? Ihr alle hattet auf dem Raubzug euer Vergnügen..nur ich bin freiwillig auf Kattegats Schutz bedacht zuhause geblieben. Ihr schuldet mir etwas."
Hvitserk schnaubte verächtlich.
"Ich habe sie gefunden! Ich werde sie mir nehmen.", entgegnete er und machte Anstalten, sich zu Magery hinüber zu begeben, doch sein großer Bruder hielt ihn zurück.
"Niemand von euch, wird sie sich "nehmen". Sie ist eine Adelige und damit bedeutsam für unsere nächsten Beutezüge. Ich nehme mich ihr an", sagte Ubbe bestimmt."Genug!" Aslaug war der Auseinandersetzung ihrer Söhne gefolgt und hatte sich nun erneut erhoben.
"Keiner von euch wird sie sich nehmen. Ich brauche sie. Eines der Mägde ist letzen Mond im See ertrunken. Das englische Mädchen wird ihren Platz einnehmen."
Mit einer fließenden Handbewegung
winkte die Königin ein blondes Mädchen herbei. Ihre Kleidung war aus Leinenstoffen genäht und Magery schätzte sie kaum älter als sich selbst."Ava, zeig der Engländerin ihren neuen Schlafplatz und gib ihr frische Kleidung"
Die Bedienstete nickte ergeben mit ihrem Kopf.
"Jawohl Herrin", sagte sie und warf Magery einen auffordernd Blick zu. Diese entfernte sich mit unsicheren Schritten von Ivar und folgte Ava. Als sie an Ubbe vorbei ging, griff er unsanft nach ihrem Handgelenk.
"Wenn du auch nur auf die Idee kommen solltest zu fliehen, jage ich dich durch die Berge Kattegats und schleife dich in Ketten zurück ins Dorf. Hast du das verstanden?", während er sprach, fixierten seine eisblauen Augen das Mädchen mit so einer Macht, dass sie nicht anders konnte, als eingeschüchtert zu nicken.
Der neue Schlafplatz, von dem Aslaug gesprochen hatte, lag in einer kleinen Hütte an der Hinterseite der Halle. In der Mitte der Kammer stand ein hölzerner Tisch, auf dem sich Schalen, Bestecke und Nähnadeln stapelten. Überall standen Kerzen, die den Raum in ein warmes Licht tunkten. Im hinteren Teil konnte Magery zwei Betten erkennen, die von Fellen bedeckt waren. Von der Decke hingen getrocknete Kräuter und Lavendelsträucher, die einen angenehmen Geruch verströmten.
"Setz dich", sagte Ava mit einem einladenden Lächeln und deutete auf die Bank. Erschöpft kam die Grafentochter ihrer Bitte nach.
Stumm stellte ihr die Bedienstete eine Wasserschale mit einem Tuch auf den Tisch. Dankbar griff Magery nach dem Lappen und begann vorsichtig, sich damit zu waschen. Es war eine Ewigkeit her, seitdem sie das letzte mal in den Genuss einer Waschschale gekommen war.
"Darf ich dich was fragen?" Magery erstaunte selbst, als sie ihre eigene Stimme die Stille brechen hörte. Ava hatte etwas ansich, dass dem Mädchen ein Gefühl von Sicherheit bot. Oder vielleicht lag es auch nur daran, dass sie die erste Person war, die sie seit ihrer Verschleppung nicht von oben herab behandelt hatte.
"Frag ruhig""Warum sprechen so viele von euch meine Sprache?"
"Mir hat sie ein Priester eurer Religion gelehrt. Sein Name war Athelstan. Viele unserer Krieger lernen sie aber auch auf den Reisen und Raubzügen. Hier...das Gewand kannst du für die Nacht anlegen. Und dieses hier brauchst du für morgen."
Ava hatte ihr ein weißes Leinhemd und ein weitaus prachvolleres Kleid mit grüner Borte in den Schoß gelegt.
Magery fuhr mit den Fingern über den Stoff.
"Wieso brauche ich das für morgen?", fragte sie verunsichert.
"Ganz Kattegat wird die Heimkehr ihrer Kämpfer feiern. Es wird ein großes Fest geben. Du bist jetzt auch eine Sklavin und wirst Aslaug und ihre Familie bedienen."
Magery schluckte. Nie hätte sie sich träumen lassen, jemals so tief zu fallen. Vor wenigen Monaten noch, war sie die Tochter und Nachfolgerin eines einflussreichen Grafens gewesen und nun zwang man sie dazu, die Menschen zu bedienen, die sie zu einer Sklavin gemacht hatten.
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Ruthless (Ivar, Vikings)
Romance[Ivar Fanfiction, Vikings] 900 nach Christus, England Sie kamen im Morgengrauen. Niemand wusste woher sie kamen oder wohin sie gingen. Doch wo ihre drachenköpfigen Schiffe am Horizont auftauchten herrschte bald Tod und Verderben. Davon erzählten zum...