8. Kapitel

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Erneut tauchte Magery ihr Gesicht in das klare Wasser. Doch die Erinnerungen wollten einfach nicht ihren Kopf verlassen. Das zucken ihrer Finger, dicht gefolgt von dem heißen Gefühl des Blutes, das dort aus der Stichwunde strömte, wo Ivars Messer sich tief in ihr Fleisch gebohrt hatte. Auch wenn all dieß nur im Traum geschehen war, hatte sich der Schmerz dennoch unglaublich echt angefühlt. Der wahre Verlauf des gestrigen Abends, hatte sich weitaus unspektakulärer ereignet. Die Klinge war immer schneller zwischen Magerys Fingern hin und her gesprungen, hatte ihre Haut jedoch kein einziges mal berührt. Irgendwann hatte Hvitserk diesem Treiben mit einer abfälligen Bewegung Einhalt geboten. Immernoch benommen vom Schock, war Magery dann durch die tanzende Meute aus der Halle getaumelt und hatte sich frühzeitig in ihre Kammer geflüchtet. Sowohl Ava, als auch Königin Aslaug hatten ihr plötzliches Fehlen bemerkt, jedoch hatten sie keine Anstalten gemacht, um etwas zu unternehmen. Zu unbedeutend war ihnen diese Angelegenheit erschienen.

Mit einem Ruck streifte Magery ihr Kleid über die Schultern und griff nach einem Mantel, als plötzlich die Tür aufschwang und ein breitschultriger Mann in die Kammer trat. Sein hellbraunes Haar hatte er zu einem losen Zopf gebunden, der ihm bis zu den Trägern seiner Lederschürze reichte.
Magery erstarrte wie ein Kaninchen, dessen Bau von einem lauernden Mader ausfindig gemacht wurde.

"Bist du die Engländerin?", fragte der Wikinger trocken und musterte sie von oben bis unten.

Die Grafentochter nickte stumm.

"Dann komm mit. Ich hab Arbeit für dich", murmelte der Mann, bevor er sich umdrehte und davon ging, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Im ersten Moment rührte Magery sich nicht. Alles in ihr sträubte sich, mit dem Fremden zu gehen. Andererseits wollte sie auch nicht riskieren, dass er vielleicht noch einmal umkehren und sie eigenhändig an den Haaren aus der Kammer ziehen würde. Schnell warf sie sich den braunen Mantel über und folgte dem Nordmann durch die vielen verwinkelte Gassen Kattegats, in denen sich Stoffhändler, Viehkarren, Fischverkäufer und andere Gestalten aneinander vorbei drängten. Erst als sie auf eine halb offene Schmiede zusteuerten, ahnte Magery, was das Ziel des Wikingers zu sein schien. Ihr Verdacht bestätigte sich, als der Mann in das geräumige Holzhaus eintrat und zur großen Feuerstelle hinüber schritt, in der ein Haufen Kohle blutrot glomm.
An den Wänden hingen hölzerne Schilde, bemalt mit verschlungenen Mustern. Daneben waren Harken eingeschlagen, auf denen verschiedenen Saxe, Kurzschwerter und Äxte ruhten.

"Nimm den Reisichbesen und feg die Asche unter dem Ofen weg. Danach gehst du hinter das Haus und holst neues Holz, um das Feuer zu schüren. Lass es niemals aus gehen.", unterbrach der Schmied ihr Staunen.
Schnell nickte Magery und machte sich daran die Aufgaben auszuführen, die ihr soeben aufgetragen wurden.

Es war spät, als sich die Engländerin nach ihrem dritten Tagewerk in das Fellbett fallen ließ. Beim Versuch sich auf die Seite zu drehen, verzog sie krampfhaft ihr Gesicht. Denn ihr Rücken schmerzte stark, durch die gebückte Haltung, die sie einnahm, wenn sie auf den Knien die Asche zusammenkehrte oder schwere Holzscheite schleppte. Letzteres hatte auch noch dafür gesorgt, dass sie ein unangenehmes Ziehen in den Armen verspürte, welches sie jedes Mal plagte, wenn sich ihre Muskeln anspannten. Doch am meisten machten der jungen Adeligen ihre Hände zu schaffen, die von Brandblasen und kleinen Splittern überseht waren. Bevor sie sich schlafen gelegt hatte, war Magery noch einmal runter zur See gegangen und hatte ihre Finger in das eisige Wasser gehalten, um den Schmerz zu lindern. Doch anstatt die Verletzungen zu betäuben, fühlte es sich an, als wären ihre Finger abgefroren. Vorher schmerzten ihre Hände lediglich, nun schmerzten sie und waren dazu auch noch kalt.
Gleichwohl blieb es nicht dabei, denn die Kälte schien wie eine kriechende Lähmung ihre Arme hoch zu wandern und sich in ihrem ganzen Körper auszubreiten. Allerdings lag dies nicht nur an ihren kalten Fingern, sondern viel mehr an den schlecht vernargelten Wandbrettern, durch die der Wind pfiff und das letzte bisschen Wärme aus der Kammer jagte. Nicht einmal die dicken Felle vermochten Magery vor dem Zittern zu bewahren, dass ihren Körper fest im Griff hatte. Ihr Blick schweifte über die leere Feuerstelle im Raum, als der Engländerin plötzlich das Bild des Schmiedeofens vor dem inneren Auge erschien. Schnell rappelte sie sich auf, schlang die Felldecke um die Schultern und schlüpfte aus der Tür. Die frostige Nachtluft schlug Magery entgegen. Vor ihr lag Kattegatt in einer tiefen Ruhe, die lediglich von den umherspringenden Schatten der Fackeln unterbrochen wurde. Wie ein Geist huschte sie durch die Gassen, welche sich nun so leer vor ihr erstreckten, dass sie sich das tagtägliche Gewimmel auf den Straßen fast nicht mehr vorstellen konnte. Als sie die Schmiede erreichte, spürte sie ihre Zehen bereits nicht mehr. Umso erleichterter war Magery, als sie das immernoch glühende Feuer in Mitten des Raumes entdeckte. Sie hatte sich also nicht getäuscht und das Schmiedefeuer brannte bei Tag und bei Nacht. So schnell ihre Beine sie tragen konnten, eielte die Engländerin zu dem großen Ofen hinüber und ließ sich davor auf die Felldecke nieder.

Ruthless (Ivar, Vikings)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt