Dumpfe Klänge von Hörnern und Trommeln drangen durch den Nebel an Magerys Ohr heran, als sie in einer Karawane aus tanzenden Frauen in weißen Kleidern und gänzlich bemalten Priestern auf den Ahnenhügel geführt wurde. Zuvor hatte Ava ihr eine Lederhose mit eingebrannten Runen und ein einfaches Leinenhemd herausgelegt. Trotz der Freundschaft die Magery mit der nordischen Sklavin verband, war Ava erstaunlich schweigsam gewesen. Doch die Engländerin konnte es ihr nicht verübeln.
Von allen Seiten drängten sich Wikinger an den Tross heran und jubelten ihr zu. Angespannt krallte Magery die Finger in den Stoff ihrer Ärmel, als der aus Korn gelegte Ritualkreis in Sicht kam. Davor waren sieben massive Holzstühle errichtet worden, auf denen die Jarlsfamilie thronte. Magery ging auf Zehenspitzen, um Ivar durch die johlende Masse erspähen zu können. Der Jarlssohn war gänzlich in grüngold gekleidet und seine Haare in gedrehten Strähnen zurückgeflochten worden. Nach halt suchend, probierte Magery einen Funken, eine Geste oder wenigstens ein angedeutetes Lächeln in den Augen des Knochenlosen zu erspähen. Vergeblich.
Hvitserk schenkte ihr ebenfalls keinen Blick, doch anders als das seines Bruders, schien sein Antlitz vor Ausdruck fast zu bersten. Obwohl er demonstrativ in die andere Richtung schaute, konnte der Wikinger ein tiefes Bedauern, das aus seinen Zügen sprach, nicht verbergen. Lediglich Ubbe schenkte ihr ein Lächeln und Magery verspürte ein wohliges Kribbeln, als das Eisblau seiner Augen auf ihre Iris traf. Doch sie brach den Blick und ließ ihren Fokus erneut auf den Krüppel schweifen, der nach wie vor regungslos da saß. Magery wusste nicht, weshalb sie so verbittert danach strebte ihren Blick auf einem der Jahrlssöhne ruhen lassen zu können. Wahrscheinlich um nicht nach vorne blicken zu müssen, denn was dort im Ritualkreis auf sie wartete war nicht mehr menschlich.
Skulrik der Ränker trug lediglich eine braune Wollhose, die durch einen Gürtel aus Knochen am Platz gehalten wurde. Welche Art Knochen wollte Magery sich gar nicht erst ausmalen. Sein Oberkörper war nackt und glänzte vom Öl, das jeden seiner bis zum bersten gestählten Muskeln hervorhob. Schnell wandte sie den Blick ab und starrte auf den Armreif, den Ivar ihr zuvor geschenkt hatte. Alles war besser als dem Tod ins Auge zu sehen. Oder auf seine ölige Brust gucken zu müssen.Das Mädchen schloss für einige Augenblicke die Lieder und atmete tiefer als gewohnt. Nur einen Moment später spürte sie, wie sich Herzschlag und Puls verlangsamten. Sie musste sich vor dem Kampf sammeln. Eine tiefe Ruhe kehrte in ihrem Inneren ein. Darum zuckte sie auch nur kurz, als zuerst die Königin und dann ein Hohepriester ein paar Worte zum Volk sprachen und ihr mit einer roten Flüssigkeit Zeichen ins Gesicht malten. Die gesprochenen Worte drangen nicht zu ihr durch, da sie auf nordisch waren und Magery alle Kraft der Konzentration auf ihr Inneres legen musste.
Daher wusste sie auch nicht, wer ihr das Kurzschwert reichte, mit dem sie hunderte Male zuvor auf der Lichtung geübt hatte. War es eine der weiß gekleideten Frauen gewesen? Der Hohepriester? Oder ein gezähmter Tanzbär?
Es spielte keine Rolle mehr. Alles was nun zählte, war ihre Wendigkeit, ihre Ausdauer und der blanke Trieb zum Überleben.Ein Rascheln ertönte und aus den Fingern des Hohepriesters segelte eine weiße Feder gen Boden. Der Kampf war eröffnet.
Magery rührte sich nicht. Sie wartete. Wenn auch nicht lange. Denn Skulrik setzte früher als die Engländerin es vermutet hatte zum ersten Hieb an. Er war weder mit besonderer Wucht, noch mit besonderer Schnelligkeit geführt. Doch Magery wusste, was der Hühne tat. Er teste ihr Können. Skulrik war kein Feingeist, aber er war auch nicht dumm. Der Berserker wusste, dass das Mädchen bei Ivar gelernt hatte. Das genügte um Vorsicht walten zu lassen.
Doch Magery erkannte sein Vorhaben und machte es sich zu nutzen. Als hätte sie noch nie einen Seitenangriff pariert, riss sie die Klinge ungeschickt hoch und fing den Hieb nur knapp mit der flachen Seite ihres Kurzschwertes ab. Danach wich sie taumelnd zurück. Kurz überlegte das Mädchen, ob das Taumeln sie vielleicht verraten hatte. Immerhin gab es nicht den geringsten Grund zu taumeln. Doch der Zweite Angriff ihres Gegners verriet ihr, das dem nicht so war. Skulrik kam mit drei Schritten auf sie zu und schlug ohne den eigenen Körper zu schützen nach ihrem Bein. Er hatte sie unterschätzt. Mit einem blitzschnellen Satz nach hinten wich Magery seiner Attacke aus, nur um dann erneut vor zu stoßen und die Spitze ihrer Klinge tief in seinen gespannten Brustmuskel zu rammen. Ein Schauder überkam das Mädchen, als sie durch das Metall am Griff spürte, wie Bänder und Fleisch zerrissen wurde. Doch sie erstarrte nicht. Bevor Skulrik den Schwertarm nach ihr ausstrecken konnte wich sie zurück und befreite die Klinge mit hässlichem Schmatzen aus dem fremden Körper.
Früher hatte Magery Blut gehasst. Sie hasste den Geruch, den metallischen Geschmack im Mund und sogar die Farbe, die nicht aus den Stoffen zu waschen war. Doch das änderte sich als sie sah, wie ein Gemisch aus Öl, Schweiß und Blut den Boden zu Skulriks Füßen rot färbte. Ein Seufzen entwich ihren Lippen, getragen von einem wohligen Kribbeln, das ihren ganzen Körper zu durchlaufen begann. Sie wusste nicht wie ihr geschah, was der dunkle Sud mit ihr machte und was das bedeutete. Aber eine Sache wusste sie nur zu gut....sie wollte mehr. Und sie würde mehr bekommen. Das dachte die junge Engländerin zumindest, als sie zum ersten Mal in ihrem Leben Züge eines Blutrausches spürte. Ein aphrodisierendes Gefühl, das sie wie ein Sturmauge erfasste und immer höher trug. Doch ihr taumelndes Siegesgefühl verebbte augenblicklich, als Skulrik sich aus seiner Starre löste und den Blick zwischen ihr und seiner frisch geschlagenen Wunde pendeln ließ. Daraufhin warf er den Kopf in den Nacken und spannte jeden Muskel seines Körpers an, sodass noch mehr Blut über seinen Oberkörper quoll. Ein zum Himmel gereckter Schrei dröhnte aus dem Hühnen hervor. Doch es war kein Schmerzensschrei eines verletzten Mannes. Es war der Schrei eines Monstrums. Ein Monstrum, das geweckt worden war. Mit zwei Sätzen war er bei ihr und schlug nach ihrem Kopf. Gerade noch rechtzeitig schaffte es Magery ihr Schwert hochzureißen und das schlimmste abzufangen. Doch der Wucht des Hiebes konnte sie nichts entgegensetzen. Ihre Arme gaben an den Ellenbogen nach und Magerys eigenes Schwert krachte mit der flachen Seite auf ihren Scheitel. Ein hoher Ton stach in ihr Ohr und für einen kurzen Moment verschwamm das Bild vor ihren Augen. Das Mädchen ging auf die Knie, als ein dumpfer Schlag auf ihre Wange traf und ihr Kopf zu Seite flog. Doch sie schaffte es vor dem nächsten, womöglich todbringenden, Hieb zu weichen und erneut auf die Beine zu kommen. Magery blinzelte mehrfach, um ihren Blick zu klären. Doch Skulrik ließ ihr keine Chance. Mit einer Reihe von einhändig geführten Angriffen kam er blitzschnell auf sie zu. Dabei konnte das Mädchen keine Spur der Versehrtheit in seinen Bewegungen erkennen.
Mit einem Sprung wich die Engländerin aus und flüchtete zur Seite.
Sie hatte sich nie damit beschäftigt, was einen Mann von einem Berserker unterschied. In England hatte sie noch nicht einmal gewusst, dass solche Männer existierten.
Doch nun fiel ihr die grausame Wahrheit wie Schuppen von den Augen. Skulrik verspürte keinen Schmerz. Oder nur in stark abgestufter Form. Entsetzen breitete sich in Magery aus. Was waren ihre Treffer wert, wenn sie ihren Gegner nur kaum verlangsamten?
Ein neuer Hagel aus Angriffen prasselte auf sie ein. Wie ein in die Ecke gedrängtes Tier versuchte Magery aus der unmittelbaren Reichweite der Klingen zu entkommen. Doch jeden ihrer Versuche erkannte der Schlechter sofort und wusste ihn zu verhindern.
Magerys Hände begannen zu zittern. Es würde Blut fließen. Ihr eigenes.
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Ruthless (Ivar, Vikings)
Romance[Ivar Fanfiction, Vikings] 900 nach Christus, England Sie kamen im Morgengrauen. Niemand wusste woher sie kamen oder wohin sie gingen. Doch wo ihre drachenköpfigen Schiffe am Horizont auftauchten herrschte bald Tod und Verderben. Davon erzählten zum...