Jo ließ sich seufzend aufs Bett sinken und schloss sofort ihre Augen. Trotz May und Nikes Eifer, das Geheimnis um den Schatz zu lösen und den Grusel hinter sich zu lassen, hatten sie sich zu dritt dazu entschieden, wenigstens die zweite Nacht hier gut zu schlafen und sich für die kommenden Ereignisse mit Energie zu rüsten. Sie war jetzt schon wie in einer Trance, dabei hatte sie sich nicht einmal zugedeckt.
„Ich bin es gar nicht gewohnt, dass es leise ist." Nikes Bemerkung bezog sich auf das geschlossene Fenster, gegen das kein Regen schlug. Es war unglaublich friedlich.
May zog die Decke über ihren Kopf. Sie hätte direkt einschlafen können, so fertig war sie. Da die Türen zu den Möbelräumen zugeschlossen gewesen waren, und sie Nick nur unter höchstem Krafteinsatz dazu bringen konnten, die Tür nicht einzutreten, hatte sich die Gruppe entschlossen, nur den Graffiti-Raum und die Falltür zu betrachten.
Natürlich hatte niemand sie gewarnt, wie hart der Aufprall auf der anderen Seite war und nun hatte May an ihren Armen einige unschöne Schürfwunden. Als sie daran dachte, begannen sie wieder zu brennen und sie bereute es sofort.
Schlaf einfach, May, denk an nichts anderes.
„Die haben auf jeden Fall was zu verbergen. Diese blöde Daphne, mit ihren blöden Hasenschuhen." Nike drehte sich auf den Bauch und vergrub ihr Gesicht im Kissen.
May, die es inzwischen geschafft hatte, den Schmerz zu ignorieren und endlich gemütlich da lag, brauchte ein wenig, um zu verstehen, was sie gesagt hatte. Und selbst, als ihr der Wortlaut klar war, die Bedeutung kam ihr nicht in den Kopf. „Hasen...?"
Nike nickte, bemerkte aber dann, dass May gar nicht zu ihr sah. „Ihr Pyjama. Ich dachte, sie hat euch auch zurückgeschickt? Die musst du gesehen haben!"
May dachte nach. Nein, hatte sie nicht. „Nein, sie hatte normale – beziehungsweise für Daphne normale – Klamotten an, soweit ich mich erinnere. Ihr könnt ja Alyssa fragen."
„Komisch", entgegnete Nike mit einem Gähnen. Mehr kam nicht.
„Komisch ist auch, dass Alyssa freiwillig in dem Zimmer alleine schläft", murmelte Jo verschlafen. Eigentlich war sie ganz erleichtert darüber, sie wollte nämlich nicht unbedingt Alyssas nächstes Volltext-Opfer sein.
Die anderen sagten nichts dazu, dachten aber wohl in etwa dasselbe.
May seufzte und stand auf. Irgendwer musste schließlich das Licht ausmachen und Nike und Jo schienen längst in die eigene Traumwelt abgedriftet zu sein. Bevor das Zimmer dunkel wurde, sah May noch auf den Vorhang. Jo hatte ihn mit einem doppelten Knoten am Bett festgekettet. Auch das Fenster schien fest verschlossen und einbruchssicher.
Beruhigt drückte sie den Schalter und spurtete dann zum Bett, in das sie sich mit einem gekonnten Sprung beförderte.
***
Es konnte nicht später als drei gewesen sein, als May erneut hochschreckte. Sie war nicht die einzige, Nike neben ihr saß schon gerade im Bett und blickte Richtung Tür. Sie schien May erst gar nicht zu bemerken.
Und auch Jo angelte neben ihr schon nach ihrer Brille.
„Das darf doch nicht wahr sein", maulte sie, als sie ihre Brille ertastet und sich auf die Nase gedrückt hatte. Die Geräusche hatte sie wohl auch ohne die Hilfe ihrer Brille vernommen.
Draußen schien der dritte Weltkrieg ausgebrochen zu sein.
„W....wer ist das?", fragte May mit zitterndem Körper. Ein weiterer Schrei durchfuhr die Nacht. Er schien schriller als die ersten, die sie gehört hatten. Irgendetwas polterte da auch, genauso laut und unbedacht. Da schien eine Verfolgungsjagd stattzufinden.
Ein neuer Schrei. Dieses Mal länger und noch schriller. Es wurde knapp.
Ehe May sich versah, hatte Nike schon die Decke weggeworfen und bewegte sich vorsichtig aus dem Raum heraus. May und Jo folgten ihr, ebenfalls so leise wie nur möglich.
„Das kann doch nicht wahr sein", murmelte Jo, als sie auf den Flur hinaustraten, der bis auf Nike, komplett leer und unbelebt war. „Irgendjemand spielt hier mit uns."
Nike stolperte durch den Gang. Sie suchte mit ihren Augen jede einzelne Ecke ab. Es konnte nicht ihre bloße Vorstellung gewesen sein. Sie hatten nicht alle denselben schlimmen Traum gehabt. Oder träumte sie einfach noch?
„Wir sollten das Gebäude abgeben", wandte sie sich wieder an die Freundinnen, die in ihren Schlafsachen etwas verloren wirkten. „Irgendetwas stimmt hier nicht."
„Was?", erwiderte May und zog die Augenbrauen nach oben. „Und ich dachte, nächtliche Schreikrämpfe sind auf Burgen normal."Nike rollte mit den Augen, drehte sich um und ging zielstrebig auf die Treppe zu. Jo gab sich Mühe, nicht laut aufzustöhnen. Sie wünschte, alles wäre nur ein Traum und sie könnte nun in ihr Bett zurückkriechen.
May hingegen gab sich Mühe, Nike nicht zu verlieren. Das wäre ja das Mindeste, alleine hier herumzustreunen. Ihr war nun schon unheimlich genug.
Der Boden knarrte unter den dreien und sie hofften, dass niemand wach werden und fragen würde, was sie machten. Kam nie gut, nachts in einer Burg herumzuschleichen.
Wobei die anderen ja auch die markerschütternden Schreie irgendwie verschlafen hatten, da war das nichts im Vergleich.
Der erste Stock war genauso leer wie der zweite. Keine Kampfspuren, kein Lebenszeichen. Gar nichts. Als hätte sich der nächtliche Spuk einfach in Luft aufgelöst.
Auf Nikes Haut bildete sich eine Gänsehaut. Was, wenn Bogie jemanden mit in die Hölle genommen hat? Und wir deshalb keinen mehr finden? Und alle anderen sind auch weg? Sie schüttelte energisch den Kopf, weshalb sie einen verwirrten Blick von May abbekam, die sich aber gerade mit gleichem beschäftigte.
Nur Jo, die einige Meter hinter ihnen lief, versuchte ihren, vollkommen übermüdeten, Kopf freizukriegen und eine rationale Lösung zu finden. Wieso hatten nur sie die Geräusche gehört? Gab es da eine Art Technik? Waren alle anderen mit Betäubungsmittel außer Gefecht gesetzt? Oder wurden sie einfach langsam verrückt?
Sie war sich nicht sicher, welcher dieser Ansätze ihr am meisten Angst machte. Eigentlich hoffte sie, sofort aufzuwachen und glücklich zu merken, dass das alles nur ein Traum war. Warum hatte sie auch wegen einer Person unbedingt mitkommen wollen?
Dann bedachte sie, dass, wenn sie nicht dabei wäre, May und Nike noch aufgeschmissener gewesen wären, als jetzt schon und sie war erleichtert.
Der Flur war komplett ausgestorben und nur die einzelnen Kerzenhalter, die sie kritisch betrachtete, erhellten einzelne Flächen spärlich. Sie konnte nur manchmal die Beine ihrer Freundinnen sehen. Von den beiden zu hören gab es nicht, sie waren still und das war eigentlich ungewöhnlich.
Sie begann, die Kerzenhalter zu zählen, da sie sowieso nicht mit ihren Gedanken alleine sein wollte. Sie alle hatten einen roten Körper, der langsam abblätterte. Ihre Flammen funkelten orange und tanzten immer schnell, wenn Nike und May daran vorbeigegangen waren.
Jo schmunzelte und betrachtete die helle Flamme. Dieser Halter war anders. Er war grün und schien auch ein anderes Material zu beinhalten. Sie trat einen Schritt näher und berührte ihn leicht. Er war ganz rau.
„Leute", wisperte sie, als sie bemerkte, dass er locker zu sein schien. Die beiden hörten sie nicht. Anscheinend hatten sie schon ein zu großes Stück zurückgelegt, um sie noch wahrnehmen zu können.
„Leuteee", sagte sie, dieses Mal etwas lauter, und zog zeitgleich an dem Kerzenhalter. Er klappte mit einem leisen Klicken nachvorne. Und zu Jos Verwunderung gab der Boden unter ihr nach und sie wurde im Kreis geschleudert.
Direkt in die Dunkelheit.
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Sleepless
Mystery / ThrillerNike, Jo und May sind eigentlich nicht sonderlich interessiert an der alten Burg, in der sie nun mit der Schulgruppe ihre Zeit verbringen müssen, eher an den männlichen Mitstreitern. Als dann jedoch einige seltsame Dinge rund um einen alten Fluch ge...