Ich schwieg, bis wir ankamen. Sam parkte meinen Wagen zu den übrigen Autos am Straßenrand. Zu meiner linken befand sich der Friedhof. Er war klein, nur wenige Quadratmeter groß und dazu ziemlich schlampig und düster. Der Regen war nun sehr stark geworden und durch den heftigen Wind schien er in jede erdenkliche Richtung zu fliegen. Einzelne Herbstblätter wehten durch die Straße und selbst Äste flogen uns entgegen, als wir die Türen öffneten.
Ich setzte mir die Kapuze meiner Jacke auf, bevor ich aus dem warmen Innerem herauskam. Der eisige Wind peitschte mir direkt ins Gesicht und verschlug mir für einen Moment dem Atem. Ich holte tief Luft und schlang meine Jacke fester um mich, bevor ich einen Fuß nach draußen setzte. Meine neuen Boots gaben einen ekligen Laut von sich, als sie in den schlammigen Matsch traten. Ich führte auch den zweiten Fuß nach draußen und schloss die Tür hinter mir. In weniger als ein paar Sekunden war ich von oben bis unten klatschnass und ich fror fürchterlich.
Sam trat an meine Seite. Er schlang die Arme um mich, doch nicht mal er konnte mich wärmen.
Der Friedhof war nur abgetrennt von der Straße durch den Rasen. Selbst am sonnigen Mittag hätte er nicht unheimlicher wirken können. Das Gras - soweit man es im strömendem Regen erkennen konnte - war schon lange nicht mehr grün und die Grabsteine waren steinalt und heruntergekommen. So gut wie alle Grabsteine steckten schief in der Erde und vor ihnen war schon seit Jahrhunderten keine Blumen mehr gelegt wurden.
Wenn ich einen Zombiefilm drehen würde, wäre dies der perfekte Ort, dachte ich.
Aber egal wie schrecklich und so gar nicht friedlich dieser Ort zu sein schien - irgendwie konnte ich verstehen, wieso Danie hier begraben werden wollte. Wegen der Ironie willen. Danie hatte fast ihr ganzes Leben lang Monster gejagt - wieso sollte sie dann nicht irgendwo begraben werden, wo es genauso gruselig war, wie es ihr Leben war? Wieso sollte sie nicht in einem Friedhof begraben werden, wo man befürchtete, Monster könnten auferstehen?
Ich fand diesen Gedanken urkomisch und ich wusste, dass genau das Danies Gedanken waren. Ich kannte meine kleine Schwester.
Sam und ich traten hinter Carmen, die eilig vor gegangen war, zu den anderen. Als erstes konnte ich die Menge gar nicht sehen, so dicht war der Regen, doch als wir näher kamen, erkannte ich Umrisse einiger Gestalten.
»Melinda!«, rief eine erfreute Stimme.
Oh,nein!, dachte ich.
Brady erhob sich von der Masse und lief auf uns zu. Er sah genauso aus wie ich ihn zuletzt in Erinnerung hatte. Durch die Wassertröpfchen, die an meinem Wimpern klebten, blinzelte ich zu ihm auf. Brady war sehr groß, doch noch lange nicht so groß wie Sam mit seinen einsdreiundneunzig. Er hatte durchaus trainierte Oberarme, war aber sehr schlank und wirkte so etwas schlaksig. Dazu kam, dass er sehr ungeschickt und tollpatschig war. Wäre er nicht so nervtötend, könnte man es vielleicht niedlich finden. Sein honigbraunes Haar war nass und deshalb dunkler als sonst. In diesem Moment fuhr er sich dadurch, als hielt er sich für besonders attraktiv und sexy.
»Brady«, murmelte ich vor mich hin, was im lautem Sturm unterging.
Er blickte fröhlich zu mir herab. Sein Gesicht war schon immer ein wenig markant gewesen, an seinem Kinn entdeckte ich einige helle Stoppeln. Seine blauen Augen strahlten, als er mich erblickte. Ich musste zugeben, für alle anderen Frauen würde Brady als ein gutaussehender Mann durchgehen, aber für mich war er einfach nur ätzend.
Brady entdeckte Sam und sein Gesicht verdunkelte sich mit einem Mal. Schließlich wandte sein Blick auf Sams Arme. Mit einem hielt er mich an sich gedrückt, und die Hand seines anderen Arms wärmte meine.
Plötzlich fand ich es gar nicht so schlimm, dass Brady da war. Ihr müsst wissen - er war seit unserer Kindheit in mich verknallt gewesen und egal wie oft ich ihn abstoßt, er kam immer wieder zurück, wie ein Bumerang. Nun würde er sehen - und er tat es -, dass ich bereits vergeben war. Vielleicht würde er mich dann endlich in Ruhe lassen.
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Dämonenküsse
ÜbernatürlichesEntweder man liebt jemanden oder man hasst ihn. Beides funktioniert nicht - es ist praktisch unmöglich. Zumindest dachte ich das immer.. Doch was, wenn man sich nicht ganz sicher ist, für welche Seite man sich entscheidet? Was, wenn ein Ereignis ode...