Kapitel 22 Verwirrung - Teil 2

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Im Schlaf - na ja, unfreiwilliger Schlaf, aber immerhin - war sein Gesicht so friedlich und freundlich. Menschlich. Ich strich gedankenverloren darüber und dachte an frühere Tage. Tage, an denen ich mir keine Gedanken darüber machen musste, dass Sam sich von einer Sekunde auf die andere änderte.

Er lag auf dem Eichentisch, mit Schmetterlingsknoten gefesselt, die sich enger um seine Knöchel schlangen, je fester er daran zog. Der Tisch war groß genug, sodass Sam einigermaßen vollständig darauf lag. Seine Lider waren geschlossen, sein Mund einen Spalt offen. Er sah so harmlos aus.

Im Hintergrund hörte ich Gemurmel. Nachdem ich Sam ohnmächtig geschlagen hatte, hatte ich Rufus angerufen, der sich nun mit Carmen unterhielt. Natürlich hatte sie gefragt, wer das sei, aber ich antwortete nur: »ein alter Freund«. Warum ich ihn anrief, wusste ich nicht genau. Wahrscheinlich weil ich einfach nicht wusste, was ich tun sollte. Ich war verzweifelt. Rufus schien sehr klug zu sein und bis auf Nik, der arbeiten musste - irgendein Poltergeist-Fall oder so -, waren die einzigen, die ich kannte, und mir mindestens halbwegs sympathisch vorkamen, hier.

Rufus kam in seinem Rollstuhl auf mich zu. »Alles okay?«

Okay? Natürlich geht es mir okay. Wieso denn auch nicht? War ja nicht so, als ob mein Leben eine reine Katastrophe wär oder dass es sich vollkommen verändert hätte und mir jemand den Boden unter den Füßen gezogen hätte. Nein. Mein Leben hatte sich nicht innerhalb weniger Monate derartig verändert. Neue Menschen ersetztennicht den Platz von Menschen, die alle bereits gestorben waren. Ich hatte nicht neue Leute kennengelernt und meine alten Freunde verloren. Mein Ex terrorisierte nicht mein erbärmliches Leben und mein Freund war nicht ein Halbdämon, der gerade die Fassung verloren hatte und ich ihn bewusstlos schlagen musste, damit er nichts anstellte. Nein, das war ja alles nicht so. Deshalb ging es mir absolut OKAY!!!

Ich zuckte matt die Schultern und rutschte in meinem Stuhl nervös herum. »Klar.«

Rufus sah nicht überzeugt aus. Aber er sagte nichts. Dafür liebte ich ihn, er war ziemlich gut darin jemanden in Ruhe zu lassen.

Er zögerte, wusste nicht, was er machen sollte. Wieder davon rollen oder sich, vielleicht sogar gezwungenermaßen, mit mir zu unterhalten?

»Was ist passiert?«, fragte ich ihn und er beschloss sich mir zu nähern. Ich sah von Sams ruhigem Gesicht auf. »Wie ist das passiert? Und warum?«

Rufus sah mich lange stumm an, er hörte den Schmerz in meinen Worten, den ich vergeblich zu vermeiden versuchte. »Sam gehört also zur Hälfe dieser Spezies an, was?«

Ich nickte träge. Worte blieben mir im Halse stecken. Besser gesagt dieWorte; »Ja,mein Freund ist ein Dämon. Wenn auch zur Hälfte. Nach meinen Befürchtungen wird es nicht lange dauern, bis er es vollständig ist.« Zumindest wenn er so weiter macht ...

»Das scheint dir nicht zu gefallen. Natürlich nicht«, fügte er trottelig hinzu.

Ganz richtig!

Rufus räusperte sich, vielleicht verunsichert über die Tatsache, dass er nun Du zu mir sagte. »Warum und wie?!« Er kam näher und nahm meine Hand behutsam von Sams Gesicht. Normalerweise hätte ich mich dagegen gewehrt, aber nun tat ich es nicht. »Es ist so; Sam teilt sich seinen Körper mit dem Dämon. Ja, so kann man es beschreiben. Bei Zärtlichkeiten, menschlichen Gefühlen und Liebe, Trauer - was auch immer - ist seine menschliche Seite aktiv. Bei Wut, Zorn, Hass, Gewalt, Unterdrückung und so weiter -«

»Der Dämon«, beendete ich mit lebloser Stimme.

»Ja. Ich habe dir doch gesagt, dass bei Extremsituationen der Dämon die Oberhand gewinnt, erinnerst du dich?«

DämonenküsseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt