Kapitel 23 Leben wie ein Jäger - Teil 2

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»Hey, hier ist Carmen. Ich weiß, dass du uns mit Absicht ignorierst und Sam meinte ich soll dich in Ruhe nachdenken lassen, aber langsam reicht's. Wo zum Teufel steckst du?? Du kannst doch nicht einfach deine Freunde zurücklassen und abhauen! Ich weiß, was passiert ist, war nicht gerade erfreulich, aber trotzdem... Mel - komm zurück. Wir vermissen dich...«

»Hier nochmal Ich. Mel - was soll das? Warum ignorierst du meine Anrufe?? Bin ich dir jetzt auch nicht gut genug um heranzugehen? Bist du zu feige mit mir zu sprechen? Was ist nur los mit dir??«

»Schon wieder ich - und schon wieder ein nicht angenommener Anruf. Langsam mach ich mir echt Sorgen. Lebst du noch?? Du musst ja nicht mit mir sprechen, aber gib mir wenigstens Bescheid, dass du noch lebst! Bitte!«

ICH LEBE NOCH - nur eine kurze SMS, Ich hoffte damit Carmens Anrufe abstellen zu können. Verstanden sie denn gar nicht, dass ich nicht mit ihnen reden wollte?? Zumindest für eine Weile. Ich brauchte einfach meine Ruhe - keine Probleme, kein Stress, keine Freunde, die Mist anstellten und mich enttäuschten. Nur die Jagd und der Spaß.

GOTT SEI DANK! - Carmen antwortete kaum zehn Sekunden später.

Gott! Klar, als ob es so etwas wie einen Gott geben würde. In meiner Situation glaubte ich nicht mal mehr an die Götter der magischen Existenz. Ich hatte das Gefühl, als verließe mich nicht nur mein altes Leben, sondern auch mein altes Ich, mein Charakter, mein Verhalten, mein Glaube. Das Einzige, woran ich nun nur noch glaubte, war, dass alles verdorben war, um es mit Yrahcaz' Worten auszudrücken. Verderben - ein so großes, vielsagendes Wort, wie ich fand.

Ich streifte durch das Hotelzimmer und wusste nicht was ich machen sollte. Da ich überhaupt keine Lust auf einen Barbesuch hatte, beschloss ich wieder Yrahcaz zu rufen.

Ich stellte eine große, dunkelrote Kerze in die Mitte des dunklen Raumes, zündete sie an und kniete mich vor ihr, als ich den Spruch sprach.

Die Kerze war die einzige Lichtquelle. Sie flackerte, Blätter und Gardinen wirbelten auf. Und dann stand Yrahcaz da. Er sah sich um, wusste nicht wo und warum er hier war. Erst als er mich erblickte, verstand er.

»Ach du schon wieder. Wirst du mich jetzt wirklich jede Nacht rufen?«

»Bis ich das habe, wonach ich suche«, teilte ich mit und stellte die Kerze auf den Tisch in der Ecke.

»Ich glaube du bist einfach nur einsam.« Er nahm auf der Bettkante Platz und sah zu mir auf. »Deine Freunde fehlen dir, und dein Freund ganz gewaltig. Aber das würdest du nie zugeben. Du hast nichts zu tun und deshalb kämpfst du« - er deutete auf den Boxsack am Ende des Raumes- »und quetschst Dämonen aus.«

Ich verdrehte die Augen. »Ich hatte eher gehofft über etwas anderes zu reden, als über meine Gefühle.« Ich setzte mich auf den Stuhl ihm gegenüber. »Was hast du so getrieben? Was macht ein Dämon eigentlich den ganzen Tag, wenn er nicht gern Menschen tötet?«

»Naja...« Er begann auf und ab zu laufen. »Die Dämonin hat mich nicht ohne Grund aus der Hölle gelassen - sie wollte, dass ich für sie arbeite. Mein Job, wenn du es so nennen willst, ist es, Deals abzuschließen.«

»Du schließt Deals ab obwohl du so selbst zum Dämon wurdest??«, fragte ich empört und stand auf.

Er zuckte die Achseln. »Ich verabscheue es, aber das ist der einzige Weg auf Erden zu bleiben, sodass ich mich wenigstens an menschliche Dinge, Erinnerungen festhalten kann.«

Ich nickte paar Mal, während ich mir ein Bier aus dem kleinen Minikühlschrank holte. »Einen Drink?«

»Du musst wirklich sehr verzweifelt sein, wenn du einem Dämon ein Bier anbietest.«

»Ich bin nicht verzweifelt«, behauptete ich und nahm einen Schluck. »Ich wollte nur -«

Ein Lichtstrahl der Kerze fiel auf die Wand, und ich dachte ich hätte einen Buchstaben erkannt.

Ich schaltete den Lichtschalter hastig an.

»Was...?«, kam es von Yrahcaz.

Zwei geschriebene Wörter nahmen die gesamte Wand ein. Sie waren mit etwas dunkelrotem geschrieben worden - Blut. Nur zwei Wörter, aber sie reichten, um mein Herz einen Schlag aussetzen zu lassen.

Hey Baby ...

Ich konnte beim Lesen seine Stimme in meinem Kopf hören. Diesen Kosenamen hatte er immer für mich gehabt.

»Er weiß wo ich bin!«, flüsterte ich voller Panik. »Er beobachtet mich!«

»Wer? Samuel?« Yrahcaz verstand nichts mehr.

»Das hat er immer getan!«, murmelte ich und taumelte rückwärts. »Er war immer in meiner Nähe...!«


Ich war diese Nacht zu lustlos noch irgendwie jagen oder „arbeiten"zu gehen. Also blieb ich im Hotel und schlug mir die Zeit mit Recherche tot. Trotz Lustlosigkeit war ich jedoch nicht müde. Ich schaltete die restlichen Stunden das Licht nicht an, sondern zündete eine einzige Kerze an und stellte sie dorthin, wo das Licht nicht auf die beschriftete Wand fallen konnte.

Ich hörte meine Mailbox ab. Wieder 3 Nachrichten. Die erste war vonCarmen:

»Hi, nochmal Carmen hier, wer sonst?! Ich wollte nur ... keine Ahnung was ich eigentlich wollte, ich ... tut mir leid, dass ich dein Handy vollquatsche, ich will nur mal deine Stimme hören. Du fehlst uns. Vor allem Sam. Ihm geht's wirklich dreckig... Er weiß nicht, dass ich versuche dich zu erreichen und wenn er es erfahren würde, würde er mir wahrscheinlich den Kopf abreißen. Er sagt ich solle dich in Ruhe lassen. Ich glaub mittlerweile ist er sich nicht mehr ganz sicher, ob du überhaupt noch zurückkommst. Ehrlich gesagt mach ich mir da auch Gedanken drüber... Mel - komm bitte wieder zurück.«

Tüüüt!

Die nächste Nachricht war von Rufus: »Melinda - ich hab gehört, dass du abgehauen bist! Stell keinen Scheiß an, ja? Ich kenn' das, wenn man nur eins im Kopf hat und wie besessen davon ist, aber denk an meine Worte: Begib dich nicht auf die falsche Fährte. Wir kriegen das alles wieder hin.«

Tüüüt!

Die dritte Nachricht kam von Nik: »Wo steckst du, Mann? Carmen dreht hier voll am Zeiger. Von Tag zu Tag wird sie immer mehr verrückt vor Sorge. Deine SMS hat sie nicht besonders beruhigt. Und Sam ... oh Gott, ich hab ihn gar nicht mehr unter Kontrolle, ich sehe ihn kaum noch! Er zieht sich immer weiter von uns zurück! So langsam hab ich Angst um ihn. Bitte, Mel ... Tu ihm und Carmen das nicht an! Ich bitte dich...«

Tüüüt!

Mit Tränen in den Augen starte ich auf mein Handy hinab. Ich hatte mich so um meinen Kram gekümmert, dass ich gar nicht daran gedacht hatte, was meine Freunde dabei empfanden.

Zum ersten Mal kam ich mir nun ziemlich egoistisch vor und fragte mich, was ich hier eigentlich verloren hatte. Ich war einfach vor meinen Freunden abgehauen und in ein Hotel gezogen, folterte Dämonen und verdiente mir Geld mit pokern statt mit einem Job. Das sah mir ganz und gar nicht ähnlich.

Ich sollte zu ihnen zurück gehen und mich bei ihnen entschuldigen. Ich sollte sie anflehen mir nicht mehr sauer zu sein.

Und genau das würde ich tun.

Morgen.




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