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>Wo bringt dich der Zug noch so spät hin?<, fragt er mit seiner tiefen Stimme.
Er hat gegenüber von mir Platz genommen und mustert mich mit seinen grünen Augen.

Ich schultere meinen Rucksack ab und lege ihn neben mir auf den freien Sitz.
>Ich fahre zu meinen Eltern nachhause. Ich habe 3 Wochen frei, deswegen ist es der perfekte Zeitpunkt mich wieder mal blicken zu lassen.<, erwähne ich nebenbei.

Er nickt und hackt noch ein bisschen nach >Du wohnst also alleine?<

>Ja sieht ganz so aus<, lache ich.
Darauf antwortet er nicht, sondern lässt seinen Blick aus dem Fenster schleifen und beobachtet die dunkle Landschaft.
Er ist wohl kein Mann der großen Worte, wie alt er wohl sein mag? 26? Er ist groß, sehr groß, er muss schon etwas älter sein.

>Ist es nicht gefährlich, so spät noch alleine unterwegs zu sein?<, er lässt seinen Blick wieder zu mir schweifen und ich muss wegblicken, da er mich schon wieder so intensiv mustert.

Wenn ich so drüber nachdenke ist es vielleicht nicht die beste Tageszeit, um alleine unterwegs zu sein, der Zug ist leer, es ist hier keiner außer uns aber ich gebe mich lässig und zucke nur mit den Schultern, ich meine ich bin schon alt genug >Ich habe keine Angst<

>Gut<, er lächelt leicht und wendet sich wieder dem Fenster.

>Ich bin übrigens Elaria<

>Harry<, erwidert er, und schaut erneut vom Fenster auf.
>Du hast einen schönen Namen, Elaria<

Augenblicklich werde ich rot und ich sehe ihn leicht schmunzeln.
Warum bin ich so verlegen? Ich kenne ihn nicht mal. Generell bin ich sehr schüchtern, überhaupt bei Jungs, normalerweise redet mich nie jemand an.

Er hat dich nicht angeredet, er hat dir dein Zugticket gezahlt, rufe ich mir ins Gedächtnis.

>Wohin fährst du?<, frage ich ihn als meine Röte verschwunden ist.

>Nachhause, ich wohne in der Gegend<

>Auch alleine?<, frage ich ihn, so wie er mich gefragt hat.

Er hat garantiert eine Freundin, das hätte ich wissen müssen.

>Ja, alleine, noch<

Er hat also eine Freundin, ich kann es ihr nicht verübeln, er sieht gut aus, zu gut. Ich kann aber nichts gegen dieses Gefühl der Enttäuschung machen, was bilde ich mir ein das ein so reifer Mann etwas von mir will? Trotz allem mustere ich ihn unauffällig von oben bis unten.

Was er wohl für einen Haarschnitt hat? Die Kapuze seines schwarzen knielangen Mantels verbergen seine Haare, nur eine kurze leicht ein gedrehte Haarsträhne hängt ihm in die Stirn. Er hat unzählige Ringe an den Fingern, was ich normal bei Männern nicht sehr anziehend finde, aber bei ihm sieht es wundervoll aus. Ich kann ebenso einige Tattoos ausmachen, da wäre zum Beispiel ein Anker an seinem Handgelenk und ein kleines Kreuz am Finger, wie viele Tattoos seinen Körper wohl zieren und welche Bedeutung sie für ihn haben?
Ich schüttle diese Gedanken ab und schäme mich in der restlichen Zeit darüber, ihn gefragt zu haben ob er alleine wohnt, da die Antwort praktisch auf der Hand liegt, deswegen lasse ich mich tiefer in den Sitz sinken und blicke ebenfalls aus dem Fenster.

Aus welchem Grund er sich wohl zu mir gesetzt hat? Aus welchem Grund er sich wohl dazu entschlossen hat mein Zugticket zu zahlen? Tat ich ihm leid, weil ich so stressig nach meiner Geldbörse suchte? Ich würde den Grund gerne wissen, da ich nicht die leiseste Ahnung habe, warum wir hier zusammen sitzen und Frage und Antwort spielen.

Ich lehne meine Stirn an die kalte Scheibe und bemerke dabei, dass Harrys Blick auf mir liegt.
Ich kann seinen Blick nicht erwidern.
Ich traue mich nicht erneut in seine grünen stechenden Augen zu blicken, aber das ist auch nicht nötig, denn ich höre das allbekannte ertönen der weiblichen Computerstimme, die das Anhalten des Zuges verkündet.

Ich greife auf den freien Platz neben mir, schnappe mir meinen Rucksack und stehe auf.
>Ich steige hier aus<
Harry tut es mir gleich und steht ebenfalls auf.
>Ich auch<
>Was für ein Zufall<, schmunzle ich.

Er entscheidet sich als erster dazu zur Tür zu gehen und ich folge ihm und bleibe neben ihm stehen.
Im Stillen warten wir darauf bis der Zug zum Stehen kommt, ehe wir nebeneinander hinaus in die kalte Abendluft treten.
Draußen dreht sich Harry zu mir um

>Wie lange musst du auf deinen Zug warten?<

Ich schiebe meinen Ärmel wieder ein Stück hoch um auf meine Uhr blicken zu können.
>Eine Dreiviertel Stunde<, rede ich etwas lauter, da der Zug gerade abfährt und er mich sonst nicht verstehen würde.

Eine Dreiviertel Stunde in der Kälte und hier gibt es keine Bahnhofshalle sondern nur eine kleine Hütte die nicht geschlossen ist und wo der Wind durchpfeift.

Als hätte er meine Gedanken gelesen und sieht das mir eiskalt ist und ich am ganzen Körper zittere, blickt er unter seiner Kapuze zu mir herab.
>Du kannst bei mir im Auto warten<, er deutet mit dem Kinn auf einen schwarzen Range Rover, der auf dem Parkplatz als einziges Auto geparkt ist.

>Danke für die Zugtickets Harry, aber ich will dich nicht aufhalten, du willst sicher nachhause<, winke ich ab.

>Ich sehe doch wie du frierst<

Ja er hat recht, mir ist eiskalt, meine Finger sind rot angelaufen und taub und meine Nase ist sicher auch rot, trotzdem lehne ich erneut ab.

>Ich will dich nicht aufhalten<

>Schuldest du mir nicht noch etwas?<, grinst er plötzlich.

Ich kann ihm nicht länger ausweichen, denn ich habe das Gefühl er würde sowieso nicht nachgeben.

>Du hast Recht<, schmunzle ich zurück.
Es ist doch keine schlechte Idee, in seinem Auto ist es bestimmt wärmer, als hier draußen oder in der Hütte.

Er deutet mir mit einer Kopfbewegung an ihm zu folgen, also halte ich mit ihm Schritt und folge ihm zu seinem Auto.
Er kramt den Autoschlüssel aus seiner rechten Manteltasche und sperrt auf, öffnet die vordere Autotür für mich, was mich zum Lächeln bringt und ich murmle ein leises ,,Danke'' und steige ein, schlage die Autotür hinter mir zu und beobachte Harry wie er auf die andere Seite joggt und einsteigt.

>Danke Harr<
Plötzlich höre ich ein Knacken und sehe ihn verwirrt an.
Er hat die Tür verriegelt.
>Du hättest nicht einsteigen sollen,Elaria<

Trainy Day [HS]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt