2 - Kaffee und Tee

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Man sollte denken, das Geschehene hätte mir eine Lehre sein müssen. Aber ich sah das Angebot eher als eine Chance, als eine Gefahr. Außerdem hatte ich keinen Nerv mich mit den Wahrscheinlichkeiten einer weiteren Belästigung aufzuhalten.

Also zögerte ich nicht lange und stieg erschöpft in den grauen Ford, einfach nur froh nicht laufen zu müssen. Da ich keine Ahnung hatte wo ich mich überhaupt befand, schnallte ich mich etwas langsamer als nötig an, um noch etwas Zeit zu gewinnen.

Das Geschehene und der Schreck saßen mir immer noch tief in den Knochen und ich hatte ziemlich Mühe damit mich zusammenzureißen und einen klaren Gedanken zu fassen. Meine Hände zitterten ein wenig und ich schmeckte weiterhin etwas von der vorherigen Übelkeit.

"Geht es dir gut?"

Kurz hielt ich Inne und stoppte meine Überlegungen. Seine Frage war so simple und allgemein. Fast schon oberflächlich, wenn man sich nicht kannte und auf keine tieferen Erklärungen eingehen wollte. Doch die Art wie seine Stimme dabei klang und die Art wie er es fragte, ließen die Frage ernst gemeint und aufrichtig klingen. Ich hob meinen Blick und sah ihn an. Wollte prüfen, ob ich mich nicht täuschte. Aber sein Blick offenbarte mir dasselbe.

Und dann musste ich den Blickkontakt abbrechen, weil mich seine Augen mit einer dermaßen tiefen Ehrlichkeit durchbohrten, dass ich mich viel zu durchschaubar und schmutzig fühlte, um ihm die Wahrheit zu sagen. Dazu kam auch noch, dass mich ein Gefühl der Teilnahme überrumpelte, welches ich in dieser Weise noch nie wahrgenommen hatte. Ehrlichgesagt wusste ich noch nicht einmal, wann jemand das letzte Mal von mir wissen wollte wie es mir ging. Das alles überfiel mich mit einer solchen Heftigkeit, dass ich ein paar weitere Momente brauchte um mich zu sammeln und etwas zu sagen.

"Ich denke..", ich rang um die richtigen Worte, nicht wissend wie ich einem Fremden erklären sollte, dass mein Leben ein einziger Schatten war. "Es ging mir schon mal besser.", sagte ich dann aber bestimmt und zwang mir sogar ein Lächeln auf die Lippen. Das war die Wahrheit. Es gab viel bessere Momente in meinem Leben. Wenn nicht, sogar richtig schöne.

"Du hast geweint.", sagte der Junge, als wolle er mich darauf aufmerksam machen. Ja, dachte ich. Wie aufmerksam von dir. Doch bevor ich etwas dazu sagen konnte, fügte er noch hinzu: "Willst du darüber reden?"

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Wollte ich das? Ich dachte an den Moment als Ralf mir seine Hand aufs Bein legte und stellte mir dann vor, dies einem Fremden zu erzählen. Zwar hatte der Junge eine beruhigende Auswirkung auf mich, jedoch waren die mir zugefügten Narben noch zu frisch, um sie auszuwickeln. Also schluckte ich einmal und schüttelte dann langsam den Kopf. "Nein, lieber nicht."

Der Junge schlug einmal kurz auf den Rand des Lenkrads und lächelte dann. "Okay. Übrigens, ich bin Kjetill."

Einen Moment war ich überrascht über den plötzlichen Themenwechsel, dann jedoch mehr als erleichtert. Ich musste etwas lächeln als ich bemerkte, dass ich bis jetzt keine Ahnung hatte, wie der Junge mit den ehrlichen Augen hieß.

"Kjetill?", fragte ich neugierig. "Kommt der Name nicht aus Schweden?" Kjetill nickte und startete dann den Motor. "Genau. Und weißt du was er bedeutet?" Ich zuckte mit den Schultern. Er begann zu Grinsen. "Helm."

Daraufhin musste auch ich schmunzeln und ich weiß noch wie ich darüber nachdachte, was dieser Name doch für eine Ironie mit sich trug. Vielleicht war er ja mein Helm. Ein wenig Schutz vor einem gefährlichen Sturz, dachte ich halb im Scherz, halb nicht daran zweifelnd.

"Und wo willst du jetzt hin?", holte mich Kjetill wieder aus meinen Gedanken und ich musste feststellen, dass er ziemlich gut roch. Irgendwie nach frischem Kaffee und alten Buchseiten. Aber auch nach etwas Aufregendem... Wie das Adrenalin was man verspürte, kurz bevor man vom Zehner im Freibad springen wollte.

HE WILL SEND HIS ANGELSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt