8 - Neue Herberge und Tess

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Etwas an der Art wie ich Kjetill an seinem Auto lehnend zurückgelassen hatte, gab mir das Gefühl stärker geworden zu sein als je zuvor. Zwar war es ein Stich in meinem Herzen einen Fuß vor den anderen zu setzen ohne mich ein weiteres Mal umzudrehen, aber irgendetwas sagte mir, dass er mich nicht verlassen hatte. Vielleicht stimmte es und Gott höchstpersönlich hatte seine Hand im Spiel. Der Gedanke, dass Gott überall war und mich schützen konnte, kam mir gar nicht mehr so fremd vor.

Mit diesem tröstendem Gefühl stand ich vor der Tafel der vielen Busfahrpläne und versuchte überfordert eine Strecke in die nächste Stadt zu finden. Es war gar nicht so einfach wie ich gedacht hatte den Überblick zu bewahren. Ich hätte jemanden fragen sollen, jedoch waren nicht viele Leute in meiner Nähe und auch an den Gleisen der Züge sah ich nur vereinzelt Leute stehen. Zudem scheute ich mich davor jemanden anzusprechen, da sich mein Mut durch die flüsternden Stimmen in meinem Kopf in Grenzen hielt.

Es war immer noch Dunkel und ich beschloss keine große Sache aus meiner Ahnungslosigkeit zu machen, sondern es als Möglichkeit zu sehen mich frei zu fühlen. Ich würde mich einfach in den nächsten Zug setzen, von dem ich wusste, dass er nicht zurück in meine Heimatstadt fahren würde. Völlig spontan und ungebunden. Ich würde ein Nickerchen machen und dort aussteigen, wo mein Bauchgefühl mir sagte, es wäre gut.

Mit neu geschöpftem Elan für meine Reise, griff ich nach meinem Gepäck und marschierte die Treppen zur Unterführung der Bahnen hinunter. Als ich einen Automaten entdeckte, zog ich mir ein Ticket für eine beliebige Strecke und setzte mich dann oben an der Bahnstation auf eine der ranzigen Metallgitterbänke. Das würde schon alles irgendwie werden. Vielleicht würde ich neue Menschen auf meiner Reise kennen lernen und Bekanntschaften knüpfen. Ich könnte neue Orte entdecken und vielleicht sogar noch irgendwo einmal Klavier spielen. Ich versuchte nicht daran zu denken, welche Hindernisse sich mir noch in den Weg stellen könnten und ignorierte all die ungeklärten Fragen in meinem Kopf. Stattdessen begann ich vor mich hin zu träumen. Ganz zaghaft und vorsichtig. Das war etwas, was ich zu lange nicht mehr getan hatte. In der Welt in der ich zuvor lebte, wurden mir meine Träume ausgeredet. Ja, zertrampelt und zunichte gemacht. Man hatte sie in etwas verwandelt, was es nicht mehr Wert war aufzuleben. Sie wurden zu naiven Kindskopfvorstellungen, die es mir unmöglich machten noch an sie zu glauben.

"Pianistin?", hörte ich die verächtliche Stimme meines Vaters in meinem Ohr. "Vergiss es, damit erreichst du gar nichts. Du wirst Ärztin und damit ist das Thema beendet."

"Was willst du eigentlich immer bei diesem Noah? Falls du vor hast dich auf eine Beziehung mit ihm einzulassen, rate ich dir sofort deine Finger von ihm zu lassen. Ich will dir bloß die Enttäuschung ersparen, die sowieso auf dich zukommen wird."

"Bernd, jetzt sieh doch was das Kind wieder in ihr Hausaufgabenheft gekritzelt hat! Unfassbar, was soll denn dieses ganze Kitsch-Zeug, das ist ja lächerlich!"

Schnell kniff ich die Augen zusammen, um bloß die Stimmen in meinem Kopf zum Schweigen zu bringen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt sich davon runterziehen zu lassen! Ich hatte doch eh schon viel zu lange unter diesen Stimmen leben müssen.

Als ich auf die digitale Tafel der Zugabfahrten blickte, registrierte ich, dass meiner in drei Minuten kommen würde. Das flaue Gefühl in meinem Magen verwandelte sich in Aufregung und so erhob ich mich von der Bank und stakste mit steifen Schritten näher an das Gleis, bereit dazu einzusteigen. Als der Zug dann mit einem lauten Quietschen zum stehen kam, übermannte mich die schreckliche Erinnerung an den Laster, der ein ähnlich ätzendes Geräusch von sich gegeben hatte. Schnell rief ich mir in Erinnerung, dass mir in einem öffentlichen Zug so etwas nicht noch einmal widerfahren würde.

HE WILL SEND HIS ANGELSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt