~22~

30 7 7
                                    

Jaguna

Wir standen ausgeliefert vor einer Wand aus Menschen, die mich mit so intensiven Blicken durchlöcherten, dass es mir kalt den Rücken hinunter lief.
Wer ist das? Und woher kommen sie?
Wir sind doch noch Stunden vom Dorf entfernt!
Ich versuchte, meine Gedanken unter Kontrolle zu bekommen und schließlich gelang mir dies auch.
Sie sehen nicht so aus, als wären sie gerade auf der Jagt also muss es einen anderen Grund geben, wieso sie hier sind...
Ein flüchtiger Blick in seine Richtung verriet mir, dass ich mit meiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte.
Liam!
Er hat ihnen nicht gesagt, dass er abhaut!
War es das, was er mir gerade unbedingt erzählen wollte?
Tja, jetzt ist es eh zu spät... Ich meine, was soll ich denn jetzt tun!?
Die haben keinen blassen Schimmer, wer ich überhaupt bin!
Niemand sagte etwas und niemand traute sich, sich zu bewegen, worin ich die Gelegenheit sah, mir einen Fluchtplan zu überlegen, da ich dachte, dass sie uns höchst wahrscheinlich nichts Gutes wollten.
Okay, also wenn sie uns frontal angreifen, können wir zu den Seiten hin flüchten... Aber was wenn das hier nur eine Ablenkung sein soll und...
Vorsichtig sah ich mich einmal nach links und rechts um und hob dann den Kopf nach oben, um sicher zu gehen, dass sie keinen Überraschungsangriff planten.
Hinter uns befand sich nur einige Meter entfernt der Fluss und wir hätten es bemerkt, wenn sich weitere Menschen hinter uns positioniert hätten, weshalb diese Möglichkeit ausschied.
"Liam!"
Vor lauter Schreck tat ich einen Schritt rückwärts und starrte dann den breitschuldigen Mann an, der sich vor die anderen Dorfbewohner gestellt hatte und der den Jugendlichen neben mir wohl erst jetzt bemerkt hatte.
"Was hast du dir nur dabei gedacht, einfach wegzurennen!?"
Seine Stimme erfüllte die Stille und ließ mein Herz für eine Sekunde aussetzten.
"Dad, bitte, ich kann das erklären!"
Liam stellte sich beschützerisch vor mich und ich kämpfte mit mir selbst, mich nicht wieder neben ihn zu stellen, da ich mich selbst zu verteidigen wusste.
"Ach wirklich? Dann sag mir doch mal bitte, wer SIE ist!"
Er deutete geradewegs auf mich und ich unterdrückte ein Knurren.
Das reicht.
Es bringt nichts mehr, weg zu rennen.
Manchmal muss man sich einfach der Situation stellen. 
Der Jugendliche vor mir sah zu mir und ich konnte die Verzweiflung in seinen Augen deutlich erkennen, doch ich wusste, was zu tun war.
"Mein Name ist Jaguna und ich bin die letzte Überlebende eines Waldbrandes, der mein Dorf vor einigen Jahren zerstört hat." sagte ich ohne den Blick von Liams Vater zu nehmen.
"Und wie kann ich sicher sein, dass das die Wahrheit ist?"
Ohne zu Zögern zeigte ich ihm meine Narben und erzählte den Dorfbewohnern, wie ich von den Wölfen angegriffen wurde, das Feuer gesehen hatte und schließlich auf Liam traf, wobei ich einige Stellen ausließ.
"Ihr habt euch also beim Beerensammeln kennen gelernt..?" fragte der Mann mit dem dichten, rostfarbenen Bart nach.
"Genau." bestätigte Liam überzeugt und meine Anspannung verflüchtigte sich innerhalb weniger Sekunden.
"Okay. Ich glaube euch aber trotzdem war es nicht in Ordnung, ohne Bescheid zu sagen, zu ihr zu rennen, Liam!"
"Ich weiß."
Betreten sah er zu Boden und sprach dann weiter.
"Und es tut mir leid, doch ich wollte ihr nur helfen! Bitte, Vater, darf sie mit in unser Dorf?"
Eine Weile sahen sich die beiden an, ohne, dass noch etwas gesagt wurde, bis sich der Erwachsene schließlich dazu erbarmte lächelnd zu nicken und seinen Sohn in die Arme zu schließen.
"Natürlich darf sie das, mein Junge. Du musst nur verstehen, dass wir uns alle große Sorgen um dich gemacht haben, okay?"
Jetzt grinste auch er und sah ihm dankbar in die erdbraunen Augen.
"In Ordnung, Dad."
Die beiden lösten sich von einander und der Anführer der Dorfbewohner streckte mir die Hand entgegen.
"Ich bin Werk. Willkommen in unserer Familie, Jaguna."
Er hat mich akzeptiert!
Voller Freude ergriff ich seine rechte Hand und schüttelte sie kurz.
"Danke."

Zum Anbruch der Nacht hatten wir das Dorf erreicht und ich konnte es immer noch nicht ganz fassen; Ich besaß wieder ein richtiges Zuhause. Ich besaß wieder eine Familie!
Unbewusst fing ich an zu grinsen und plötzlich tauchte Liam neben mir auf.
"Danke. Danke für alles. Ohne dich würde ich wahrscheinlich immer noch in meiner Höhle irgendwo im nirgendwo hocken oder schlimmeres..."
Er sah mir direkt in die Augen und lächelte, doch mit einem Mal verblasste dieses.
"Was meinst du damit?"
Besorgt blieb er stehen und ich tat es ihm gleich.
"Naja, also... Wenn es dich nicht gegeben hätte... Dann hätte mich vielleicht jemand anderes gesehen. Jemand, der es ohne mit der Wimper zu zucken hinter sich gebracht hätte. Jemand, der in mir nichts weiteres als einen wunderschönen Pelzmantel für seine Frau gesehen hätte..."
Bei dem Gedanken traten mir die Tränen in die Augen und keine Sekunde später spürte ich Liams Arme um meinen Oberkörper geschlungen und hörte seine warme Stimme nah an meinem linken Ohr.
"Sssh... Alles ist gut... Denk nicht an die Vergangenheit, denk nicht an was hätte passieren können, denk nur an das hier und jetzt, ok?" flüsterte er und ich wischte mir die Tränen von den Wangen.
Schluchzend hielt ich mich an ihm fest und nickte.
"Du hast recht. Ich sollte nicht mehr daran denken."
Mein Blick glitt hoch zu den Sternen und ich begann wieder zu lächeln.
Dann gingen wir Hand in Hand weiter, bis zu seinem Haus.
Dort begrüßte uns sofort Liams Mutter, die von Werk schon alles erzählt bekommen hatte und uns kurzerhand noch etwas zu Essen gab, da sie der Meinung war, dass wir bestimmt einen Bärenhunger haben mussten.
Nachdem wir fertig gegessen hatten, gingen wir in Liams Zimmer, das sich auf dem Dachgeschoss befand und ich setzte mich auf sein Bett.

"Bist du müde?" fragte er mich und ich nickte.
"Du nicht?"
"Doch, ich bin auch ganz schön k.o...."
Er ließ sich neben mir nieder und ich grinste.
"Denkst du, deine Eltern werden mich immer bei dir schlafen lassen..?"
"Klar, wieso nicht? Ich meine, wenn du kein eigenes Haus willst..."
Liam drehte sich weg und zog sich sein Shirt aus, da wir laut Werk bald einschlafen sollten.
"Wenn du mit mir darin wohnen würdest, würde ich vielleicht eins wollen..." sagte ich gerade noch so laut, dass er es verstehen konnte und plötzlich gehörte mir wieder seine gesamte Aufmerksamkeit.
"Ist das dein Ernst?"
Ich grinste erneut und kam dabei langsam auf ihn zu.
"Was glaubst du denn..?"
Meine Hände entfernten mit einer Bewegung den Mantel, der noch immer auf meinen Schultern gelegen hatte und legten sich dann um seinen Hals.
Mittlerweile war ich ihm so nah gekommen, dass ich seinen Herzschlag spüren konnte und fing aufgrunddessen an zu lachen.
"Was machst du nur mit mir..." flüsterte er und schon lagen seine Lippen auf meinen.
Das selbe könnte ich dich auch fragen...

_____

Und Ende!
😂😅😇 Alles was jetzt noch passieren könnte, könnt ihr euch selbst überlegen aber eine Sache muss ich euch einfach noch verraten; Dies ist nicht das aller letzte Kapitel. 😉😘
Es kommen noch:

• 7 Jahre Später (😏😏😏)
• Danksagung 
Und vielleicht auch:
• Fanart ❤

Hoffe, dass das für euch ok ist... 😅 Aber glaubt mir, es ist für mich auch nicht gerade leicht, dieses Buch zu beenden... 😞
Bis bald!

#1135 Wörter
~09.03.18

Jaguna ~ das GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt