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Die Nacht brach schon fast ein, als ich endlich wieder aus dem Schutz der Bäume trat und mir der Wind, der heute etwas stärker war als gewöhnlich, in das schmerzende Gesicht blies.
Da ich halbwegs aufrecht gerannt war, hatte ich einige Äste und Pflanzen mitgenommen, die nicht allzu tiefe Schrammen hinterließen hatten.
Ich bin wieder da.
Mein Blick wanderte über die, von dem meisten Gestrüpp verschont gebliebene Ebene, dessen Rand in einen steilen Abhang überging.
Hier war es.
Ich hatte meine Wunden und die Atemnot, die eindeutig vom Laufen gewesen war, sofort verdrängt und stand nur noch mit offenem Mund da.
All die Häuser, an die ich so oft gedacht hatte, waren zu Ruinen geworden.
Das Feuer hatte die Meisten komplett zerstört und nur wenige Pfosten und Nägel übrig gelassen, die allerdings auch heruntergekommen, rostig oder schimmlig aussahen.
Meine Augen entdeckten ein Gebäude, das noch nicht so kaputt schien und ich setzte mich mit vorsichtigen Schritten in Bewegung.
Das Dorf war direkt an den Klippen gebaut worden und der eisige Wind ließ mich frösteln und mit den Zähnen klappern, was ich nur vom Winter gewohnt war.
Das Meer war von hier aus gut zu erkennen und einen Moment lang lenkte es mich von meinem ehemaligen Zuhause ab.
Wellen trafen auf Steine.
Ich sah, wie es spritzte, wie der weiße Schaum sich auflöste nur, um dann wieder wo anders aufzutauchen und wie sich das Ganze wiederholte.
In meiner Kindheit hatte ich dem Wasser oft zugesehen.
Es war so faszinierend gewesen.

Nachdem ich mich ein weiteres Mal krümmte, weil der Wind mich überrascht hatte, ging ich in Richtung Haus.
Irgendwie kam es mir fremd vor, doch irgendwie auch vertraut und ich hatte keine Angst, es zu betreten.
Komisch, dass ausgerechnet dieses Gebäude das Feuer und die Zeit, ohne große Veränderungen, überdauert hat.
Meine rechte Hand drückte die schwere Tür auf und es knarrte so laut, dass ich glaubte, die Schaniere würden nachgeben.
Der Spalt war nun groß genug, um hindurch zu schlüpfen und ich befand mich keine Minute später im Inneren des wichtigsten Raums unserer Gesellschaft.
Hier hatten wir uns immer versammelt, um eine Jagt zu planen oder um zu hören, wie groß unser Wintervorrat war.

Ehrfürchtig stand ich in dem Saal und begutachtete die vielen Wandteppiche, die zwar ziemlich staubig aber nicht verbrannt waren.
Ich ignorierte die Geräusche der Bretter unter mir und trat näher an die handgemachten Kunstwerke.
Direkt vor mir spielte sich eine Szene ab, die zeigte wie gefährlich der Wald sein konnte und ich musste automatisch an die Begegnungen mit den Wölfen denken.
Schnell ging ich weiter und erblickte die Pelze auf der Wand, gegenüber der Tür.
Einer stammte von einem Bären, ein anderer von einem Dachs und daneben hing einer von einem jungen Rehkitz.
Ich konnte mich noch genau an die Tage erinnern, an denen diese Tiere getötet wurden und ihr Fell hier aufgehangen wurde, wobei es immer eine Feier oder ein Ritual gab.
Mein Vater hatte geholfen, den Bären umzubringen und meine frühere beste Freundin schoss damals das Rehkitz.
Sie hatte dadurch bewiesen, dass sie bereit für das Kämpfen war und erhielt eine Kette aus einem dünnen Stück Leder.
Unser Dorf jagte meist nur mit den eigenen Kräften, doch die Kinder, die dies noch nicht so gut beherrschten, durften sich eine Waffe wie Pfeil und Bogen oder einen Speer schnitzen.
Shira...
Meine Gedanken kreisten um meine Freundin, die mit gerade mal neun Jahren in dem Feuer verbrannte und die ich wirklich gemocht hatte, da sie mich verstanden hatte, mir bei allem geholfen hatte und ich mit ihr trainieren konnte, wann immer wir Zeit hatten.
Sie hatte hellbraune Haare mit mehreren helleren Strähnen und fast schwarze Augen, die ich früher wunderschön fand.
Einmal hatten wir uns Nachts heimlich aus unseren Häusern geschlichen und waren zusammen Jagen gewesen, um noch mehr zu üben.
Sie wusste schon viel mehr als ich und ich habe immer zu ihr auf gesehen.
Shira war zwar nicht wirklich größer als ich aber etwas älter und auf jeden Fall schlauer.
Jeder der sie auch nur einmal angesehen hatte wusste, dass sie eine Lebensfreude ausstrahlte wie niemand anderes und es war ein Wunder, wenn man sie einmal sauer oder traurig sah, denn das war sie so gut wie nie.
Ihr Traum war es gewesen, irgendwann mal die Jüngeren unterrichten zu können, damit diese nicht einfach an giftigen Beeren oder Unvorsichtigkeit starben.

Es tat weh, an die Vergangenheit zu denken.
Sehr sogar.
Es schmerzte so sehr, dass ich mich auf einen umgefallenen Balken setzte und den Kopf in den Händen vergrub.
Sie sind alle tot.
Alle, die mir etwas bedeutet haben...
Und ich bin die letzte Überlebende.
Ich bin die Letzte mit diesen Kräften.
Die Letzte, die das Schicksal dieses Dorfes ändern kann.
Ich schluchzte und wischte mir über die feuchten Augen, um nicht los zu heulen.
Es würde mich zwar niemand dabei beobachten aber nun sollte ich nicht mehr weinen.
Mir war bewusst geworden, dass ich etwas unternehmen musste und nach Vorne gucken musste.
Ich musste akzeptieren, was passiert war.

Innerhalb von Sekunden hatte ich mich erhoben und war erneut zu den Fellen gegangen.
Die zwei Pelze, die mir so viel bedeuteten nahm ich mit und verließ daraufhin das Gebäude, um die Ruine meines früheren Zuhauses aufzusuchen.
Meine Schritte verstummten, ich zog die Tür zu und legte mir dann das dunkelbraune Fell um die Schultern, damit ich nicht wieder fror.
Stille.
Ich lauschte meinem gleichmäßigen Atem und dem Rascheln der Blätter.
Zwar war ich es gewöhnt, alleine zu sein, jedoch war es hier etwas anderes.
Hier lag Wehmut in der Luft, man spürte die Angst, die die Leute hier einmal hatten und man roch die vielen Erinnerungen, die mit diesem Ort verbunden waren.
Ich verdrängte die Emotionen, die mit einem Mal auf mich zu kamen und tat einen Schritt nach dem anderen.
Ich stellte mir das Dorf in seinem alten Zustand vor, um die Stelle zu finden, an dem einst das Haus meiner Familie stand und bald wurde ich auch fündig.
Das wenige Material, das überlebt hatte lag trostlos in der Gegend herum und ich versuchte, noch etwas gebrauchbares darin zu entdecken.
Mein linker Arm hielt den Rehkitzpelz und verhinderte, dass mir das wärmende Bärenfell von den Schultern rutschte.
Das kann doch nicht...
Ich stoppte in der Bewegung und starrte auf den Gegenstand vor meinen nackten Füßen, die auch etwas von den Wurzeln und Gebüschen abbekommen hatten.
Langsam hob ich den Gürtel meines Vaters auf und wendete ihn, um die Erde und Asche zu entfernen und mir das Stück besser ansehen zu können.
Das Leder hatte so gut wie keine Macken und passte mir nun perfekt.

Ich suchte noch eine ganze Weile weiter, fand ein Paar Stiefel und freute mich auch über einen kleinen Beutel voll Nähzeug und ein größeres Stück Leder, das sich in einer verschont gebliebenen Hütte, nah des Hauptgebäudes, in dem ich als erstes gewesen war, befunden hatte.

Die Wolken zogen sich noch mehr zusammen und ich wusste, dass ich zurück in meine Höhle musste.
Mit den Fundsachen bepackt, machte ich mich auf den Weg.
Es war richtig, her zu kommen, doch das war das einzige Mal.
Jetzt muss ich sehen, wie ich weiter mache.
Die Schuhe hatte ich mir schon angezogen und ich war wirklich glücklich, sie gefunden zu haben, da es für meine Füße viel besser war, nicht so kalt und verletzt zu werden.
Den Blick stur nach Vorn gerichtet marschierte ich durch den Wald, bis ich Nachts endlich in meinem Versteck ankam.

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Jippieee!!! Geschafft! #1240 Wörter! 😂✨I'm the Best.
(Ok, nicht übertreiben...)
😘Eure Meinung zu dem Kapitel?
Ich liebe diese Story irgendwie... 🌈
Zwar auch ein bisschen traurig aber hey, es macht übertrieben Spaß, diese Situationen zu schreiben! 💕
Was meinst ihr, was wird passieren? 😉
Bis bald!

Jaguna ~ das GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt