"Shira, warte!"
Ich sah mich um.
Wo war ich?
Um mich herum standen hohe Bäume, die mir irgendwie bekannt vorkamen, allerdings wusste ich nicht wieso.
Auf einmal tauchte ein kleines Mädchen zwischen den Bäumen auf.
Sie rannte auf mich zu, schien mich aber gar nicht richtig wahrzunehmen.
"Du verscheuchst noch die Tiere, bleib doch stehen!"
Ein weiteres Mädchen kam in meine Richtung gerannt und ich starrte sie geschockt an.
Aber... Das bin doch ich!
Plötzlich traf mich die Erkenntnis, dass das alles nur ein Traum war und ich seufzte tief.
Wieso träume ich von mir, wie ich Shira hinterherlaufe?
Warte mal... Shira!?
Ich drehte mich blitzartig zu der weißhaarigen Gestaltenwandlerin um, die anfing zu lachen und schlug mir die Hand vor den Mund.
Ich konnte es einfach nicht glauben.
Was wollte mir mein Unterbewusstsein damit sagen?!
Sie war stehen geblieben und sah nun grinsend zu meinem früheren Ich, das ein wenig außer Atem neben mir Halt gemacht hatte.
"Ich muss dir etwas zeigen!" sagte sie mit ihrer niedlichen Kinderstimme und ich begann zu lächeln.
"Was denn?"
Die beiden konnten mich anscheinend nicht sehen, weshalb ich sie gespannt beobachten konnte, ohne sie zu irritieren.
"Hör doch mal..."
Ich lauschte dem Wind und bemerkte auf einmal das Rauschen eines Wasserfalls, das aus weiter Entfernung zu kommen schien.
"Ist das... Ein Wasserfall?" fragte das braunhaarige Mädchen vor mir und die ältere antwortete mit einen Nicken.
"Na komm, wir müssen da lang!"
Shira verschwand im Wald und das Mini-Ich hatte Mühe, hinterher zu kommen, bis sie sich in einen wunderschönen, schwarzen Jaguar verwandelte.
Ohne darüber nachzudenken machte ich es ihr nach und zusammen jagten wir durch das dichte Geäst.
Angetrieben von Neugier wurde ich schneller, als man das Rauschen deutlicher wahrnehmen konnte und schließlich waren wir angekommen.
Keine Sekunde später verwandelten wir uns zurück in unsere menschliche Gestalt.Für einen Augenblick machte mich der Anblick komplett sprachlos.
Mir war bewusst gewesen, dass wir nach Norden gerannt waren und wir bald auf Felsen und Berge treffen müssten, die nun vor meinen Augen in den Himmel ragten, doch es war nicht, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Nein, es war viel überwältigender.
Wir standen am Rand des Waldes und vor uns ging es steil bergab.
Einige Meter weiter unten befand sich ein riesiger See, der zu meiner Linken in einen Fluss über ging.
Überall konnte ich Tiere ausmachen, die sich am Wasser erfreuten.
Keine drei Meter hinter mir hatte sich eine Vogelfamilie auf den Ästen eines dicken Baumes ein Nest gebaut und genoss die warmen Sonnenstrahlen.Die Quelle des ohrenbetäubenden Geräuschs lag direkt vor uns; der Wasserfall.
Er stürzte sich von den steilen Bergen hinab und an der Stelle, an der er auf den See traf, spritzte es gewaltig.
Eine kleine Wolke hatte sich dort gebildet und wegen der hohen Luftfeuchtigkeit und der Sonne, die schon recht hoch am Himmel stand und erbarmungslos auf uns hinab schien, konnte man auch einen farbvollen Regenbogen erkennen.
"Es ist wunderhübsch, oder?"
Shira unterbrach meine Beobachtung und ich schmunzelte.
Früher war sie meine aller beste Freundin gewesen und ich hatte immer ein bisschen zu ihr auf gesehen, doch jetzt fand ich sie einfach süß und unschuldig, wie sie da am Abhang stand und in meine Richtung sah.
"Ja! Wie hast du das gefunden?"
Die sechsjährige neben mir sprühte geradezu vor Energie und Neugier.
"Ich hab gestern nur etwas die Insel erkundet... Oh, soll ich dir vielleicht noch was zeigen?"
Während mein früheres Ich den Kopf hoch und runter bewegte, wie ein Fisch, der an Land gekommen war und zurück ins Nasse wollte, kamen meine Erinnerungen an diesen Augenblick zurück.
Auf einmal wusste ich, was Shira als nächstes tun würde und bekam Angst.
Nein! Tu das nicht!
Normalerweise sollte ihr nichts passieren, doch ich wusste, dass ich nur selten etwas mit Happy End träumte.
Darum hoffte ich inständig, dass sie es unterlassen und einfach wieder zu mir kommen würde, doch das tat sie nicht.
Ihr kleiner, gebrechlicher Körper würde fallen.
Und ich konnte nichts dagegen unternehmen.Mit aufgerissenen Augen und unter Strom stehenden Gliedern sah ich der Gestaltenwandlerin dabei zu, wie sie mit ausgebreiteten Armen nach hinten fiel und für eine gefühlte Ewigkeit verschwunden war.
Bitte. Bitte, lass sie nicht sterben...
Der Fakt, dass ich nichts machen konnte, tat in dieser Situation genauso weh, wie in der, in der ich mein Dorf hinter mir lassen musste.
Ich will sie nicht noch einmal verlieren.Endlich tauchte eine Schleiereule vor mir auf und wie um zu zeigen, dass es ihr wirklich gut ging, flog sie auf den riesigen Wasserfall zu und machte vor ihm einige Loopings und andere Kunststücke, die Klein-Jaguna total begeisterten und mich erleichtert ausatmen ließen.
Danke.
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Jaguna ~ das Geheimnis
FantasyJaguna lebt vollkommen allein im Wald. Sie befindet sich auf einer großen Insel und kämpft täglich ums Überleben. Alles ist erträglich geworden. Nur ihre Vergangenheit und ihr Geheimnis kommen immer wieder hoch. Ein Geheimnis, das sie niemandem anve...