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In dieser Nacht hatte ich außergewöhnlicherweise keine Alpträume.
Das letzte Mal, als ich traumlos durch die Nacht gekommen war, war schon ziemlich lange her und ich war etwas irritiert.
Egal...
Ich strich über einige nasse Blätter und säuberte dann mein Gesicht.
Der Himmel war noch bewölkt, doch das sollte sich dank der erbarmungslos scheinenden Sonne bald ändern.
Schnell aß ich etwas und ging danach wieder nach draußen.
Ich verwandelte mich und rannte los.
Immer weiter Richtung Süden.
Die Bäume standen nah neben einander, doch ich huschte geschwind hindurch.
Schließlich kam ich an dem, mir nur allzu bekannten, Fluss an, ließ mich davon allerdings nicht beirren und sprang in die Fluten.
Mein Fell wurde schwerer und ich war froh, als ich auf der anderen Seite angekommen war.
Für einen kurzen Moment hielt ich inne und schüttelte das viele Wasser von meinem Körper.
Wie erwartet hatte sich die Sonne durch die Wolkendecke gekämpft und trocknete mich solange, bis ich wieder zwischen den Sträuchern verschwand.
Hinter mir machte ich ein Eichhörnchen aus, doch das ignorierte ich einfach.

Nach mehreren Stunden nahm ich den Geruch von Asche und Essen wahr und hörte mehrere Stimmen.
Menschen.
Vorsichtig pirschte ich mich an den Rand des Waldes und beobachtete das Geschehen.
Nur wenige Meter vor mir befand sich ein Dorf mit mehreren Holzhütten und Tieren.
Zucht- und Nutztiere...
Ich verabscheute diese Gesellschaft schon jetzt.
Um ruhiges, unauffälliges Atmen bemüht, kletterte ich auf einen Baum und musterte einen Korb voll totem Fisch.
Der Gedanke, etwas zu klauen und dann zu verschwinden, war ziemlich verlockend, allerdings auch sehr gefährlich und riskant.
Seit wann leben sie hier?
Ich bezweifelte, dass es sich um Fremde handelte und sie nicht von dieser Insel kamen, doch sie konnten unmöglich Überlebende unseren Dorfes sein.
Sie hatten einen komplett anderen Geruch und ich wusste, dass selbst wenn es noch jemanden gab, der es geschafft hatte vor dem Feuer zu flüchten, er niemals so eine große Siedlung hätte erbauen können.
Urplötzlich erblickte ich einen Mann, der in meine Richtung sah und duckte mich leicht.
Zu meinem Glück ging er jedoch schnell wieder aus meinem Blickfeld.
Ich muss wieder verschwinden...
Es ist leichtsinnig, darauf zu warten, dass die Nacht einbricht und sich alle in ihren Häusern schlafen legen.
Ich überlegte krampfhaft, was ich tun sollte.
Einige Frauen in dreckigen Klamotten gingen auf den Wegen.
Niemand nahm Notiz von mir.
Irgendwann glaubte ich, dass der richtige Augenblick gekommen war und sprang von dem Ast runter.
Das Geräusch meines, auf der Erde aufkommenden, Körpers war allerdings lauter als gedacht und dadurch wurde ein Junge, den ich nicht viel älter als siebzehn schätzte, auf mich aufmerksam.
Er kam langsam auf die hohen Bäume zu.
Seine braunen Haare wurden ihm von einem Windhauch nach hinten geweht, fiehlen ihm dann aber schon wieder über die Stirn.
Verwirrt versuchte er sich davon zu überzeugen, dass nichts gewesen war, doch dann erkannte er meine grünen Katzenaugen zwischen dem Gestrüpp.
Mit schnellen Schritten kam er auf mich zu und mein Puls stieg immer weiter in die Höhe.
Was tut er da?
Mit einem Mal löste ich mich aus meiner Schockstarre und lief los.
Normalerweise hätte ich meinen Gegner mit einem Prankenhieb außer Gefecht setzten können.
Ich tat es nur nicht.
Ich tat es nicht, weil sie mich dann jagen würden.
Und das alle.
Die Angst übernahm komplett die Kontrolle und ich hechtete geradewegs über die umgefallenen Baumstämme.
Nach nicht allzu langer Zeit hatte ich ihn abgehängt und wurde langsamer.
Er wird mich nicht vergessen...
Wenn ich ein weiteres Mal auffalle, werden sie mich suchen.

Meine Beine hatten mich zu dem Flussufer gebracht und ich ging in meiner menschlichen Gestalt auf die leichte Strömung zu.
Im Wasser erkannte ich ein Mädchen mit verräterisch grünbraunen Augen.
Über ihr färbte sich der Himmel dunkel und man erkannte fast schon den Vollmond.
Ich werde ewig alleine, in einer kalten Höhle leben und unschuldige Tiere töten.
Niedergeschlagen watete ich auf die andere Seite zu und hoffte schon, dass ich nicht krank wurde.
Ich war bis zum Bauch nass und dreckig.
Wie haben sie es geschafft, ein so großes Dorf zu errichten, ohne dass ich davon wusste?
Mein Revier reichte normalerweise nur bis zu dem Fluss und es ging mich eigentlich auch sehr wenig an, aber ich hatte seit Jahren niemanden mehr gesehen.
Ich hatte ausschließlich Vögel, Rehe, Waschbären, Wölfe, Eichhörnchen, Fische, Hirsche, Maulwürfe und andere Waldtiere wahrgenommen.
Nie Zweibeiner.
Nie Überlebende.
Ich hatte immer angenommen, dass ich die Einzige auf dieser gottverdammten Insel war.
Doch da hatte ich mich wohl schwer getäuscht.

Am späten Abend kam ich erschöpft, hungrig wie immer und klitschnass an meinem Unterschlupf an.
Der pechschwarze Himmel wurde von trilliarden Sternen erleuchtet und für einen kurzen Augenblick fesselte mich der Anblick.
Ich stand auf der Lichtung und dachte über alles mögliche nach.
So viele Fragen kreisten in meinem Kopf und auf keine von ihnen wusste ich eine Antwort.
Es war ein schöner, jedoch auch sehr vergänglicher Moment.
Ein Moment wie so viele vor ihm.

Nach einiger Zeit war mein Kleid wieder halbwegs trocken und ich hatte meinen Hunger mit einigen essbare Wurzeln gestillt.
Dann wurden meine Lider schwer und ich schlief, mit einem Entschluss, ein.
Ich würde das Dorf weiterhin beobachten.
Egal, was es mich kosten würde.
Ich musste mehr über sie erfahren.
Viel mehr.

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Hey, danke, dass du mein Buch liest! 😉😊 Ich hoffe, es gefällt dir! 💖
Naja, bye bye!
#880 Wörter

Jaguna ~ das GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt